Auf der anderen Seite
Glorianna und Gamar
Glorianna wartete in den Trümmern des Labors. Gerade eben noch stand die Verbindung zur anderen Seite, eine Verbindung, die sie gemeinsam mit ihrem Ebenbild aufgebaut hatte. Jetzt war sie fort. Sie hielt die Münze in der Hand, die ihr Sein der anderen Seite geschickt hatte. Eine Kollision der Welten also.
Sie betete, dass dies ausreichen würde, das Schlimmste zu verhindern. Doch den Tod von Emes, vergiftet durch Eraya von Wyrm, den würde es nicht revidieren. Der Tod war endgültig, und dieser Ort war der Tod.
Zwei Jahre später:
"Wenn ich etwas vorschlagen darf?", fragte Gamar.
Sie war in Gedanken. "Ja?"
"Wir sollten Eraya endlich loswerden. Ein Schuss, und es ist vorbei mit ihr."
"Und ihr Vater? Er ist der einzige Verbündete, der uns geblieben ist, seit wir dem Drachen gestattet haben, in Brumalis zu siedeln. Ohne Tenguard werden wir auch den Drachen nicht los."
"Wieso weigert Ihr Euch, seinen Namen auszusprechen."
"Weil ich immer noch nicht glauben will, dass ausgerechnet er es ist."
Gamar nickte. "Tenguard von Wyrm täuscht uns. Ofeigur ist sich sicher."
"Ofeigur. Eines Tages wird auch er im Unrecht sein - und dann? Er ist wie besessen von seiner Suche nach Dunja."
"Ihr auch. Verzeiht. Gebt mir einen Befehl. Irgendwas. Aber das Warten schmerzt allmählich. Yemon ist verschollen, Ofeigur irgendwo in der Wildnis. Und Mortimer..."
"Erwähnt diesen Namen nicht! Ich werde ihm niemals verzeihen können."
Bevor Gamar noch etwas sagen konnte, ertönten die Hörner der Drachendiener. Beide eilten hinaus, liefen durch den von Schwefel und Feuer überschatteten Hof zum Obsidiantor.
"Was noch?", fragte Glorianna matt.
Björn richtete seinen Rothelm, dann deutete er auf den zerstörten Hof. "Ein Gesandter Viburnas."
Seufzend liefen Glorianna, Björn, Gamar und einige Wachen nach vorn.
Ein alter Minotaure: "Grüße, Glorianna. Wie steht es mit Euren Ideen? Wir werden ungeduldig."
"Wachen. Lasst uns allein!", rief sie.
"Aber..", wollte Björn sie unterbrechen.
"Fort! Ihr auch!", raunte sie den Drachendienern zu.
Als sie endlich allein waren, antwortete sie:
"Brimir, es ist lange her. Brumalis...,nun, man will den Ort nicht aufgeben. Der Pakt bindet uns außerdem."
"Ein Pakt, dem das Bündnis niemals zustimmte. Für EUCH ist Tepok gestorben! Für EUCH ist Stomb in den Abgrund gegangen!", brüllte Brimir.
"Wir warten noch auf Ofeigur. Vielleicht findet er einen Weg."
"Der Runenleser ist töricht! Wenn selbst der Herr der Berge nicht widerstehen konnte, wie soll es dann er können?"
Sie wusste, dass Brimir Recht hatte. Sie war die einzige, die ihr Schattenbild nicht in sich aufgenommen hatte. Und doch widerstand sie Lazarus. Aber nicht den Drohungen des Drachen. "Er wird!", schrie sie dennoch.
Albertus und Ofeigur
"Egal wie man sich bettet, immer liegt ein Stein so, dass ich ihn hasse und verfluche!", raunte Ofeigur.
"Hör endlich auf. Versuch zu schlafen."
"Ich kann nicht."
Albertus seufzte. "Es ist neu, nicht wahr?"
"Was?"
"Schlafen. Du wirst müde, verlierst deine Kräfte, je näher wir dem Ringstein kommen."
"Ja. Aber ich glaube, dass sie dort ist", flüsterte Ofeigur.
"Wir sind nicht nur für Dunja unterwegs. Es muss einen Weg geben, den Drachen loszuwerden. Er schadet den Menschen. Er schadet allen."
"Ich hätte ihn töten sollen, als er noch der war, der er war."
"Man HAT ihn getötet, damals, in den Nordlanden", antwortete Albertus.
"Man war nicht gründlich genug. Ich hätte seine Asche ins Meer werfen sollen. Aber dann hat Ymir anders entschieden."
"Es ist nicht deine Schuld."
"Nein. Aber ich trage einen Teil davon", sagte der Runenleser grimmig, warf einen Stein ins Feuertal, wo die Skelette der Tirinaither und Elaya verkohlten.
Drei Stunden später:
Albertus stützte seinen alten Freund. Die Strahlung des Ringsteins überschattete die Kraft Odins, wie sie die Kraft jeden Gottes in die Knie zwang.
Sie erreichten den Norden der Insel, liefen über den Pfad der Knochen, bis sie die Grenze zum Osten erreichten. Auf den Statuen, die so viel Leid verursacht hatten, saßen Ascheläufer und betrachteten die beiden Wanderer. Sie waren wohl harmlos genug, denn keines der Wesen gab nur einen Warnlaut an die Wachen des neuen Feuerkaisers und seiner Braut von sich.
Dann trat ein Gesandter der Shar vor. "Ihr. Was wollt Ihr?"
"Wir wünschen, den Kaiser und seine Gemahlin zu sehen", sagte Albertus, der immer noch Ofeigur stützte.
"Der Feuerkaiser ist sehr beschäftigt. Vielleicht wird sich Kaiserin Cazna die Ehre geben."
Lariena, Fynn, Namid, Phelan und Sheva
Lariena betrachtete den Feuerschein im Lager. Seit sie auf der Flucht waren, tat sie dies jeden Abend. Die Nacht war durch Theresia beendet worden, aber der Preis dafür war hoch gewesen. Der wahre Name des Lazarus - auf ewig gefangen im Ringstein? Sie hoffte, die beiden alten Männer würden Erfolg haben.
Phelan trat an sie heran. Seit Namid und Sheva ihm die Fähigkeit des Sprechens beigebracht hatten, war er ihr ein noch wichtigerer Gefährte geworden. Aber sein Fell war alt und grau geworden. "Sorge dich nicht. Sie ist wohlauf. Ich spüre es."
"Ich weiß. Theresia ist sicher bei ihm. Und doch muss ich sie sehen. Sie allein weiß, wie wir alles beenden können. Ohne den wahren Namen ist es schwer, aber es ist nicht unmöglich."
Namid trat ans Feuer. "Wir müssen gleich weiter. Meine Söhne warten an der Küste auf uns."
Lariena nickte. "Ich bin erleichtert, dass deine Töchter in Sicherheit sind, Namid."
"Ich auch. Deine Schwester ist ein guter Mensch. Und Nei-Silvan die letzte Bastion."
"Ja, das ist es", antwortete sie leise, betrachtete die schlafende Wölfin, als ein Schatten sich näherte. Phelan und Namid knurrten, doch dem wich Erleichterung.
"Du?", fragte Namid dann.
Fynn nahm am Feuer Platz. "Ich lasse Euch nicht allein, Herrin", sagte er zu Lariena, "ich komme mit."
"Du weißt, was wir tun wollen?"
"Der Malstrom ist eine einmalige Reise", sagte Fynn und nickte zustimmend.
Prong, Tikwa und Artim Mudden
"Will einer noch was?", fragte Prong und hielt den Beutel in die kleine Runde.
"Wir müssen rationieren", sagte Artim matt.
"Kommt darauf an."
"Worauf?", fragte er den Kobold.
"Wie lange wir hier noch warten."
"So lange, wie Anna es befohlen hat", sagte er streng.
Tikwa indes schwieg und lauschte. Der Marmorprinz musste doch endlich auftauchen. Die Legendenvase musste zerstört werden! Auch wenn es ein schönes Ding war. So reich verziert und so. Sie musste sich selbst zwingen, es nicht zu stehlen. "Nein, bleib stark", raunte sie zu sich selbst.
"Hm?", fragte Artim.
"Ach, es ist nur..."
"Was ist denn?", fragte Artim leise.
"Muss dieses schöne Ding denn kaputt gemacht werden? Es macht so schöne Geräusche", antwortete Tikwa und klopfte auf die Vase. Plonk plonk.
"Wir haben keine andere Wahl. Oder willst du alle enttäuschen? Wenn der Prinz es nicht tut, dann ist die Reise von Albertus und Ofeigur umsonst; dann wird Glorianna dem Minotauren nie eine andere Antwort geben als in den letzten Jahren, und Larienas Opfer, Namids Opfer, es wird vergebens gebracht."
"Leise!", rief Prong plötzlich und deutete auf einen Fels.
Da war eine Gestalt.
"Ist er das?", fragte Tikwa ganz leise.
Artim erhob sich. "Wer da?"
"Wir müssen reden."
Ihnen stockte der Atem, als Lazarus erschien.
Mortimer und Elea
Ratten. Spinnen. Stinkender Kot hing in den Weben, und das Gemäuer roch nach Tod. Mortimer hatte vor einigen Tagen die Ebene gewechselt, obwohl er wusste, was es bedeutete - für ihn und seine eigene Seele. Doch er musste einen Schlupfwinkel finden, irgendwie.
Elea saß mit dem Rücken an der Wand, ihr Bein notdürftig geschient. "So endet es also", murrte sie.
"Das kann nicht das Ende sein." Mortimer tastete die Wand ab, wie er es jeden Tag in den letzten drei Monaten getan hatte. Jeden Tag hatte Elea einen Kreidestrich an die Mauer gemalt, sodass sie genau wussten, wie lange sie schon eingekerkert waren.
"Sie hat uns betrogen. Uns verkauft! Uns und alle anderen, die hier irgendwo versauern!"
Mortimer schüttelte den Kopf. "Was hätte sie sonst tun sollen? Alle Neugeborenen Lazarus übergeben?"
"Sie hätte sich niemals mit dem Drachen einlassen dürfen. Erst recht nicht, weil sie ihn KANNTE!"
"Sie werden kommen."
"Wer soll noch kommen? Sag mir das, Mortimer, wer?"
"Ofeigur und Albertus. Wenn sie erst den Ringstein..."
"Wie sollten sie? Es ist unmöglich, denn sie würden dafür alles aufgeben."
"Sie haben von der Quelle getrunken. Er kann ihnen nichts mehr anhaben."
"Aber Cazna", sagte Elea leise.
Da wusste Mortimer keine Antwort mehr.
Der dunkle Himmel der Zwischenwelt war durch die schmalen Fugen des Kerkers kaum zu erkennen. Wohl aber die schwarzen Schwingen der Wächter.Statistik:Verfasst von Meister — 05 Jun 2010, 10:36
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