Nordische Mythen - Ragnarök

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Meister
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Beitrag von Meister » 30 Jun 2008, 13:32

Es waren so viele Kämpfe, welche Gott wie auch Sterblicher ausgetragen hatten. Doch die letzten drei Jahre waren Jahre des ununterbrochenen Krieges.
Dann kam der Fimbulvetr, der riesige Winter. Dreimal alle Jahreszeiten, und doch war es stets kalt. Klirrender Frost, Eis und Schnee zu jeder Zeit in diesen drei Jahren. Dieser dreimalige Winter, so wird es am Ende heißen, war der Beginn von Ragnarök…:
Vorher schon ritt Odin zum Mimir, dem abgeschlagenen Kopf eines Riesen. Und doch hatte Mimir Leben in sich und sprach zu Odin, der hier, an der Quelle der Weisheit die Zukunft hören wollte, wie die Nornen sie wohl kennen mochten. Aber an Urds Brunnen schwiegen sie und sprachen nicht mehr zu Odin.
Hier also, an der Heide Utgards, suchte und hörte er also die Worte Mimirs:
‚Das Ende der Welt ist nahe, Odin. Nichts kann ewig dauern. Bald werden Götter und Riesen ein letztes Mal ihre Kräfte messen.’
Und um mehr zu erfahren, nahm Odin Mimir in die Hand, und sie gingen auf ein anderes Feld, wo sie eine Volve fanden, benannt nach dem Stab, den sie tragen und mit dem ihre Seelen in die Welten jenseits dieser reisen konnten.
‚Kannst du für mich in die Zukunft sehen, Volve?’ fragte Odin sie.
‚Wie weit soll ich schauen, Herr?’
’Bis an das Ende der Welt.’
Die Volve nahm die Salbe aus Bilsenkraut und Stechapfel hervor.
‚Hört mich an, und seht: Das erste Zeichen sind drei Hähne, wie sie aus einem Munde krähen und einjeder wird sie hören! Und überall, ob in Asgard, in Hels Reich oder in Walhall, erhören alle Toten den lauten Ruf. Denn die Zeit ist angebrochen, da alles enden muss, was untergeht. Ragnarök wird diese Zeit genannt! Die Zeit, da Mächte vergehen wie Eis an der Sonne. Drei Jahre des Kampfes sehe ich, und den dreimaligen Winter, den Fimbul! Eine Riesin sehe ich, im Eisenwald, wie sie Trolle auf die kalte Welt wirft. Skoll und Hate sehe ich, ihre Kinder, wie sie Sonne und Mond verschlingen! Die Sterne leuchten nicht mehr und die Erde bebt darauf. Bäume fliegen wie Speere durch die Luft, die Weltesche kracht und schwankt! Und ich sehe, wie Fenrir an seinen Ketten zerrt, wie der Wolf sich befreit, genau wie auch Loki. Und Fenrirs Fangzähne streifen die Wolken in der Dunkelheit. Das Meer kocht und wirft Strudel, die Midgardschlange peitscht es in Wellen auf. Gift strömt aus ihrem Maul, und ihr Schwanz fegt Hafen und Dörfer hinfort! Und Loki steht am Ruder von Nalgfari, dem Schiff der Toten, denn es ist aus Knochen der Gestorbenen gebaut. Eine Mannschaft verrottender Leichen ist mit ihm an Bord. Aus Nord und Ost kommen deine Feinde, Riesen, Trolle, Lebende und Tote! Und Surt, der uralte Häuptling kommt mit seinem flammenden Schwert aus Muspilheim. Alles, was er berührt, brennt zu Tode.’
Odin sorgte sich. ‚Kann ich nichts davon aufhalten, Volve?’
Sie sprach: ‚Heimdal stößt ins Horn, und ihr ruft die Streitmacht zusammen! Wie unheilvoll ist doch das Donnern und Brodeln, wenn eure Heere sich sammeln. Und du wirst all deinen Mut verlieren, dennoch. Denn die Schar des Gegners ist riesig. Aber dann naht Frigga, und sie wird dir deinen goldenen Helm reichen, dich rüsten, wie auch alle anderen deines Geschlechts sich rüsten. Wie auch die gefallenen Krieger, die Einherjar, sich rüsten werden zur Schlacht bis an das Weltenende. Aus Folkwang kommen sie auch, wo Freya sie ausgerüstet hat mit Luchskappen und den Klauen von wilden Katzen. Thor, dein Sohn, trägt die eisernen Handschuhe, er trägt seinen Gürtel der Kraft. Und Mjöllnir kreist über seinem Haupt. Du selbst führst sie alle an, auf deinem achtbeinigen Ross, Sleipnir. Hugin und Munin, die beiden Raben, sitzen auf deinen Schultern, wenn ihr wie ein einziger Odem in die Schlacht zieht!
Doch schon beim ersten Aufeinanderprallen mit dem Heer der Nacht verliert ihr Raben, Bock und Wölfe. Und dein Sohn Thor wird gegen die Midgardschlange streiten. Du selbst kämpfst gegen den Fenriswolf!’
‚Werde ich ihn besiegen?’
’Er wird dich verschlingen!’
’Wird es ein guter Kampf gewesen sein?’ fragte Odin die Volve dann.
‚Ja. Doch keiner von jenen, die du erwartest, wird dein Ende rächen. Nicht Thor, denn er wird fallen. Nicht Tyr, denn er wird fallen. Nicht Heimdal, denn er wird gegen Loki fallen.’
’Wer aber rächt mein Ende?’ fragte Odin.
‚Der Wortkarge. Vidar. Er ist es, der sich opfern wird, in den Rachen des Wolfes steigen und ihn dann töten wird, wenn er ihm den Kiefer bricht, bevor er noch verschlungen wird!’
Odin ward still. Dann sprach er: ‚Alle sterben. Die Asen sind besiegt. Kann es schlimmer kommen?`
Die Volve sprach:
‚Sieh. Die Welt wird in Flammen stehen. Alles was lebt, stirbt. Nichts überlebt. Und alles versinkt darauf im Meer.’
Odin sprach nun leise:
’Ich liebte die Welt. Vieles hätte besser sein können, aber sie gefiel mir wie sie war. Kein Stein ist auf dem anderen geblieben. Eine einzige Brandstatt ist es geworden, und alles versinkt im Meer. Alles umsonst. Wir lebten ohne Grund.’
‚Horch nur!’ unterbrach ihn die Volve.
Odin lauschte ihren Worten:
‚Schau hinaus! Aus den Fluten entsteht eine neue Welt. Grün ist sie, schön und fruchtbar. Wie ein Traum. Äcker, die sich selber säen wird es geben, Fisch und Wild im Überfluss. Keiner friert mehr, denn die Sonne hat eine Tochter geboren. Und siehe da, auf der Wiese, wie die gefallenen Asen, dein Geschlecht, sich sammeln. Neues Leben. Und schau, auch in Midgard gibt es welche, die sich wieder hervorwagen, denn nicht alles wurde getötet. Ein einziges Menschenpaar ist es. Lange war der Morgentau ihre einzige Nahrung, aber nun gibt es ja neues Leben. Ein neues Menschengeschlecht wird die Welt bevölkern.’
Odin fragte: ‚Siehst du noch mehr, Volve?’
‚Nein. Das ist alles’, sagte sie. Und Odin und Mimir verließen die Frau.
Mimir fragte: ‚Hast du gefunden, was du gesucht hast?’
Und Odin sprach: ‚Ich weiß es nicht. Vielleicht ist es so, dass ich nur das fand, wovor ich mich fürchtete. Am Ende hätte ich nach dem suchen sollen, was ich mir erhoffe.’
Mimir sagte dann: ‚Mein Freund, mein alter Freund: Alles auf der Welt kann auf 1000 Weisen enden und geschehen. War denn alles finster, was du gesehen hast bei der Welten Ende?’
’Nein. Es gab graue Nebelstreifen in der Dunkelheit, und auch ein Licht, das ich sah.’
Mimir sprach wieder: ‚Dann war es Hoffnung.’
Odin schwieg lange, während sie durch die sternenklare Nacht wanderten. Dann endlich, als sie wieder an der Quelle waren und Odin seinen Freund Mimir zur Ruhe brachte, sagte der Vater der Götter:
’Eines weiß ich gewiss. Nichts davon ist bereits geschehen. Und der Möglichkeiten gibt es viele. Noch haben wir es in der Hand…zu ändern, was zu ändern ist.’
‚Du wirst niemals aufgeben, Freund’, sagte Mimir.
‚Nie’, murmelte Odin.
Dann blickte er in den Himmel und über die Welt, in der vielleicht einst jemand Kunde von der Vergangenheit bringen würde. Schließlich schlug er sich gegen die starke Brust und rief aus Leibeskräften:
NIE!
Alea iacta est.

Die Würfel sind gefallen!

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