Ein neuer Anfang

Benutzeravatar
Meister
Beiträge:916
Registriert:22 Dez 2006, 22:48

Beitrag von Meister » 19 Aug 2010, 16:12

HEUTE


Nordküste

"Siehst du sie schon?", fragt der Dicke ungeduldig.
"Halt endlich deine Klappe, sonst nähe ich sie dir zu!", fauchte das Mädchen.

Der Horizont ist leer. Noch...


Tiefenwald

"Und wenn sie es nicht schaffen?"
"Sie müssen. Eis und Feuer erwarten sie..."
Alea iacta est.

Die Würfel sind gefallen!

Benutzeravatar
Meister
Beiträge:916
Registriert:22 Dez 2006, 22:48

Beitrag von Meister » 24 Aug 2010, 13:19

Bretonia


Wilon

Wilon, Thain der Nordmärker, stand neben seinen Mannen auf der Mauer, die zum Wilderland schaute. Sie warf einen großen Schatten auf die von Expeditionen ausgetretenen Pfade.
Von hier konnte er die Ruinen sehen. Feuer und Eis. Zwei Gegensätze, die einander hassten. Warum hatten die Kristallwesen und die Bleichen Brioless wieder freigegeben? War es eine Falle, wie der Völsungar behauptet hatte?
Immerhin hatte Kithei, die seltsame Sprecherin der Wilderländer, behauptet, Skogung, Anführer der Völsungar aus dem Godewald Midgards, das Waldkind wäre ihr und den anderen vor vielen Jahren begegnet. Er hätte ihnen beigebracht, wie man sich vor den Bleichen schützte. Aber Skogung war verschwunden. Das war kein gutes Zeichen.
Ebenso beunruhigten ihn die Neuigkeiten von jenseits der Marmorbrücke:
Das Haus Dryr rüstete sich für den Kampf und fertigte riesige Waffen an - eindeutig für die Riesen aus den Kraterlanden. Und das Haus Glan bestellte den Anführer der Nachtwache, Theornon, in seine Hallen. Die Bleichen hatten behauptet, man würde ihn bezahlen wollen, um Theresia, die Erbin, zu töten.
Zum Glück war sie sicher im Tiefenwald.
Das war sie doch, oder?

Theresia

"Ich bin jetzt eine Frau", stellte Theresia fest. Die Seelen, die sie durch Lazarus Ende aufgenommen hatte, hatten aus ihr eine junge Dame gemacht.
Lariena nickte. "Das bist du. Und eines Tages wirst du Königin sein."
"Man wird mich holen, nicht wahr?"
"Irgendwann. Aber nicht jetzt."
Lariena ließ sie allein. Theresia war dankbar dafür. Ihre künftige Rolle lastete schwer auf den jungen Schultern, und sie musste bereit sein. Aber wie konnte man sich vorbereiten?
Gestern hatte sie das erste Mal den Ruf ihrer Weiblichkeit gespürt, als sie allein in einer der kleinen Baumhütten unter einer Decke aus Gräsern lag. Furcht stieg in ihr auf. Furcht davor, eines der Häuser könnte sie verheiraten wollen.
"Man wird mich holen."

Mercutio

"Fesselt den Gefangenen. Taucht ihn von mir aus in den Fluss, bis er reden will!", fauchte der dunkel gekleidete Lord.
"Das Wasser ist sein Freund, Herr. Es macht ihm nichts, gleich was wir tun!"
Peitschenhiebe konnten den Leutnant der Wache davon überzeugen, seinen Herrn nicht weiter zu enttäuschen.
Der schwarze Priester nickte andachtsvoll, als der Lord vor der polierten Statue aus Obsidian kniete.
"Mein Lord, sorgt Euch nicht. Der Dunkle ist bei uns."

Petyr

"So ein Abendessen hattet Ihr gewiss lange nicht mehr, nicht wahr, Herr Waldyr?"
Theornon nickte knapp. "Ich habe so ein Essen allerdings auch nicht vermisst, Lord Petyr."
"Habt Ihr über unser Angebot nachgedacht?"
"Lord Baelon und Ihr müsst sehr verzweifelt sein. Warum geht Ihr nicht selbst in den Tiefenwald und tötet das Mädchen, wenn es Euch so sehr ängstigt?", raunte der Tectarier.
Petyr von Glan lächelte. "Angst? Hier geht es nicht um Angst. Es geht darum, gewisse Unannehmlichkeiten zu vermeiden und zu beseitigen."
"Wie etwa die Vorbehalte der Armee gegen ein schwaches Haus? Warum folgen Euch die bretonischen Soldaten? Das Haus Dryr oder Tyrell, sie sind wesentlich besser gerüstet als Ihr. Was bietet Ihr? Auch nur Gold?"
"Die Armee scheint zu wissen, wer der Sieger im Spiel sein wird", murmelte Petyr.
"Für Euch ist es ein Spiel. Das wird Euer Fehler sein. Ich spucke auf den Adel, warum sollte ich mich also bezahlen lassen?"
"Weil Ihr es wollt?"
Der Tectarier antwortete darauf nicht, leerte seinen Teller und trank den dritten Krug Wein.
Petyr erhob sich. "Seid unser Gast heute. Überdenkt Eure Möglichkeiten, Herr Waldyr."
Ein Diener brachte den dunklen Krieger zur Tür. "Wenn ich ablehne, was bekomme ich, wenn ich nicht rede?"
"Ihr werdet sicher nicht ablehnen. Mein Bruder möchte Euch morgen etwas zeigen."
Als Petyr allein im Saal saß, die Speisen überblickte und die Gedanken schweifen ließ, war er sehr zufrieden.
"Er wird nicht ablehnen", murmelte er.

Ivar

"Unsere Spione bringen Neuigkeiten, Lord Tyrell."
Der riesige Nordmärker, der durch einen glücklichen Zufall Lord von Wilderberg wurde, nachdem Brioless' Truppen die Seeschlacht gegen Caenor verloren hatten, erhob sich und trat näher an seinen Hofnarr heran. "So?"
"Petyr und Baelon Glan haben einen Gast aus Tectaria."
"Was soll mich das kümmern; sie sind unsere Verbündeten."
"Oh, man munkelt, dass über die Thronerbin verhandelt wird."
"Theresia ist im Tiefenwald, Hofnarr, und niemand wird an sie heran kommen. Haus Helmart hat es versucht, schau was es ihnen eingebracht hat. Legst du dich mit den Waldwesen an, so ist ihre Rache furchtbar!", raunte Ivar von Tyrell.
"Sie hatten eben nicht das richtige...Feuer, oder?"
"Was gibt es weiter?", fragte Ivar. Das Geplapper des Roten Narren nervte ihn zunehmend.
"Die Schmiede Eisenwalls hatte Besuch. Sieht aus, als empfange Lord von Dryr nicht nur Menschen, sondern auch Halbriesen."
"Ein Halbriese war dort?"
"Wie es scheint, Mylord, ja..."
"Mhm. Und sonst noch? Irgendetwas, das wirklich wichtig ist?"
"Es ist immer noch nicht heraus, wo Mercutio von Giltheas die Reste seines Hauses versteckt. Dasselbe gilt für Roan von Carmon und Wilion von Melther."
"Ich will nicht wissen, wo jemand NICHT ist, ich will NEUES hören!" Ivar war nun sehr aufgebracht. Seit er seinen Bruder hatte köpfen lassen, war ihm nur der Narr als Berater geblieben. Der machte sich seinem Namen alle Ehre.
"Oh, wir haben eine Spur gefunden."
"Das Eis?"
"Ja."

Bathir

Bathir von Dryr las die Pergamente, die ihm ein Bote überbracht hatte. "Er fordert WAS?"
"Ja, Lord Dryr, wie es dort steht."
"Es wundert mich, dass Ymir überhaupt einen Brief schreiben kann."
"Er hat vielleicht einen Schreiber, Mylord", schmunzelte Esthelian.
"Möglich. Gut... ich frage mich, ob es klug ist, an zwei Fronten zuzuschlagen. Warum macht er es nicht selbst?"
"Fragen wir doch."
"Wie bitte?"
"Es ist ein Gesandter eingetroffen."
"Herein mit ihm."
Esthelion Silberhaar führte einen Hünen herein.
"Raus mit dir!", raunte Bathir.
Die Soldaten machten sicher schon Witze über den neuen Berater. Wie konnte er sich einen Elaya auswählen? Nun, er war ja nicht irgendein Elaya...

Lucius

Die Mauern Witrins sanken durch die Regenmassen fast ins Moor. Es sah wenigstens so aus. Lucius von Trar stand auf dem Wachturm und lauschte den Fröschen.
"Ihr seid weit weg vom Thron. Und das nicht nur räumlich", flüsterte die Alte.
"Ist mir bekannt. Man unterschätzt mich. Es wird mein Vorteil sein."
"Dann denkt daran, was ich sagte: Es muss beschützt werden."
"Fort mit dir."
Die Alte kroch davon. Lucius starrte ins Mondlicht. Seine dichten Augenbrauen und die scharfen Fingernägel schmerzten.
"Theresia...", murmelte er und lachte leis.
Einige Stunden später war aus dem Gelächter ein Knurren und aus den gelben Zähnen ein messerscharfes Beißwerkzeug geworden...
Alea iacta est.

Die Würfel sind gefallen!

Benutzeravatar
Meister
Beiträge:916
Registriert:22 Dez 2006, 22:48

Beitrag von Meister » 29 Aug 2010, 17:29

Bathir

Bathir von Dryr saß im Eisenwall und brütete über Pergamente und Goldbeutel. Steuern, das war kein Problem; die Schmieden arbeiteten derweil Tag und Nacht - Angst machte sie alle gefügig.
Wie aber sollte er ein Bündnis mit den Nordmärkern schmieden, wenn Ymir deren Feste forderte? Reichten dem Riesen die besonderen Waffen nicht?
"Er wird immer mehr wollen! Sag mir, Esthelion, was ist zu tun?", fragte er den Elaya.
Sein Berater lächelte kühl. "Zuerst befragt Euren Schreiber. Meint Ihr tatsächlich, die Nachtwache fragt UNS, wenn sie einen Mann vermissen?"
"Es war der Bruder der Nordfrau", murmelte Bathir.
"Mylord, ich mahne Euch an, denkt an die Gerüchte. Was, wenn es um etwas anderes geht?"
"Nur zu, sprich weiter."
Eine Stunde darauf gestand der alte Mann unter Qualen, was er wusste.
"Ein Sohn von Darius? Interessant...", murmelte Bathir.

Ivar

"Sagt, gute Frau, warum hat man Euch in den Blauen Turm gebracht?", fragte Ivar von Tyrell.
Sein Narr blinzelte. "Sie weiß etwas. Sie muss wichtig sein. Darum holte meine Feuergeburt sie her."
"Schweig still!", brüllte Ivar.
Doch die Frau antwortete nur wirres Zeug.
"Pflegt sie gut. Ich will Antworten!"
Diener brachten sie fort.
"Kommen wir zu den anderen Dingen", murmelte Ivar, "was gibt es Neues aus dem Süden?"
Der Narr kicherte. "Es ist zu vermuten, dass Lucius von Trar den Handel annimmt. Zumindest hatte er Besuch durch die Tirinaither."
"Waren die 'Wachen' dabei?"
"Oh ja, und sie haben sich gegen die Wölfe zur Wehr setzen müssen."
Ivar knurrte. "Viel mehr sorge ich mich um die Hexe."
"Ich werde es erledigen...", sagte der Rote Narr und schmunzelte.
Ivar hasste ihn.

Melwin

Melwin von Caenor betrachtete zufrieden die Ergebnisse. Dann zog er sich mit seinem Sohn zurück.
"Sag, Vater, wann greifen wir an?"
"Der Gegner ist stark gerüstet. Wiegen wir ihn noch in Sicherheit, dann wird das Wasser brennen!"

Petyr

"Baelon, warum konnte der Mann entkommen?"
Baelon neigte den Kopf. "Bruder, ich weiß es nicht. Ein Schatten kam herein, dann ging alles schnell."
"Du hast zu viel Wein getrunken, vermute ich eher. Die Nachtwache ist ein Schlüssel zum Erfolg!", raunte Petyr. Sein Bruder war schon immer zu leichtgläubig gewesen.
"Und Skogung?", fragte er dann.
"Mercutio von Giltheas hat ihn verloren...", antwortete Baelon.
"Raus mit dir!"
Als er seinen Bruder in die Kanzlei verbannt hatte, saß er allein am königlichen Tisch.
Es war wohl an der Zeit, die Pläne etwas zu beschleunigen. Wo auch immer Joneth war, auch ohne ihn musste es gehen!
"Wache, bereitet alles vor!"

Lucius

"Wie geht es unserem Gast?", fragte Lucius von Trar.
Die Alte neigte den Kopf. "Wohlauf."
"Und wie steht es um deine Gabe? Hast du etwas lesen können?"
Alea iacta est.

Die Würfel sind gefallen!

Benutzeravatar
Meister
Beiträge:916
Registriert:22 Dez 2006, 22:48

Beitrag von Meister » 31 Aug 2010, 13:48

Melwin

Es war sehr unklug von Petyr, sich zum König eines Reiches auszurufen, worüber das letzte Wort noch nicht gesprochen worden wäre.
Melwins Reaktion, sich zum König der Flüsse zu ernennen, hatte mehr als nur eine symbolische Funktion. So, und nur so, käme er dem Ziel näher. Das Wasser musste brennen, und zwar bald. Aber nicht nur das Wasser, denn es gab da einen, der war ihm ebenso ein Dorn im Auge. Nun, es gab sogar zwei von dieser Sorte.
"Hat mein Alchimist die Schiffe beladen lassen, wie ich es befahl?", fragte Caenor seinen Sohn.
"Ja, mein hoher Vater, das hat er."
"Ausgezeichnet."
"Wann schlagen wir los?"
"Warten wir die Antwort des Nordens ab - vielleicht müssen wir unsere Strategie erweitern. Geh, und sende einen Boten an Tyrell. Er soll wissen, was ich fordere!"
Als sein Sohn die Halle verlassen hatte, ließ Melwin sich von einer seiner Hundienerinnen salben.
"Du verstehst kein Wort, von dem, was ich sage, oder?"
Sie schwieg.
"Weißt du, kleine Blüte, ich habe keine andere Wahl. Die Flüsse gehören ins große Meer. Und das große Meer gehört mir. Die Erbin mag zurück sein, aber wo ist sie? Niemand scheint es zu wissen. Das Land braucht einen König, aber ist Petyr von Glan ein gerechter Mann? Kennt er die Nöte der einfachen Leute? War es nicht sein hoher Onkel, der Terra Brumalis einforderte, anstatt anzuerkennen, dass diese Kolonie am besten in ihrer eigenen Freiheit steht?
Nein, kleine Blüte, ich sage dir, die Welt ist nicht gerecht und ich bin derjenige, der gerecht sein wird!
Bleibt zu hoffen, dass Tyrell teilt."

Ivar

"Es ist töricht von Caenor!", polterte Ivar von Tyrell.
"Was von all den Dingen?", fragte der Narr.
"Er hätte schweigen sollen, als Glan gebrüllt hat wie ein junger Löwe. Jetzt muss ich davon ausgehen, dass unsere Position vakant ist."
Der Narr kicherte. "Das sind alle Positionen in zerstrittenen Landen. So war es schon immer."
"Sag mir lieber, wie weit es mit dem Feuer steht!"
"Das Feuer wartet auf uns. Allerdings gibt es weitreichendere Interessen. Nicht nur Ihr wollt gegen das Eis streiten, Herr", murmelte der Narr.
"So?"
"So!", kicherte der Mann in der roten Gewandung.
"Sprich klare Worte, ehe ich mich vergesse!"
Der Narr verneigte sich tief, bis die Spitzen seiner Kappe über den Boden rasselten. "Ihr hattet kürzlich Besuch. Er gehört zu denen aus dem Moor. Sie forschen. Sie wissen aber längst nicht alles."
"Dann geh und finde mehr heraus! Außerdem möchte ich wissen, was der Zwischenfall von Thyms Rast zu bedeuten hat!"
"Esthelion wurde gesehen", sagte der Narr.
"Ich traue ihm nicht."
"Wer tut das schon?"
"Kennst du ihn gut?"
"Nein."

Bathir

"Wie ist Euer Treffen verlaufen, Berater?", fragte Bathir von Dryr, während er das Verladen der Rohlinge in die Schmiede beobachtete. Das Feuererz aus den Nordlanden würde seinen Dienst tun, allerdings hatte er immer noch keine Vorstellung davon, wie er Ymir erklären sollte, dass Nordstein gebraucht wurde - und zwar MIT den Nordmärkern darin.
Esthelion lächelte kühl. "Wenig erfreulich. Es war eine Falle, wie zu erwarten. Ich wäre darauf eingegangen, wenn nicht schon bei der Raststätte ein Angriff gegen meine Person stattgefunden hätte."
"Und was wollen diese Leute?"
"Sie haben etwas von der roten Substanz. Etwas, das Caenor ebenso sucht, etwas, das, wie ich denke, Tyrell gefunden hat", erklärte er.
Bathir fluchte leise. "Tyrell. Es wundert mich, dass er sich nicht auch gleich zum König erklärt!"
"Dieser Tage meinen viele, einen Anspruch auf den Thron zu haben."
"Wo ist die Erbin?", fragte Bathir.
"In Sicherheit, denke ich. Ebenso Brioless."
"Gibt es sonst noch etwas?"
"Nein."
"Ihr habt nichts erfahren, als Ihr meinen Schreiber 'befragt' habt?"
Esthelion schüttelte den Kopf. "Leider kein Wort. Heute werde ich mich mit der Nordfrau treffen."

Der Rote Narr

"Er will die Substanz?"
"Zweifellos. Und ich nehme an, Bathir von Dryr ebenso."
Der Narr lächelte. Die Gier trieb alle in den Untergang. "Bitte, ich verwehre sie keinem, der mich bittet."
"Ich weiß", sagte der andere.

Lucius

"Soll ich mich jetzt zum König von Schlamm und Ratten ausrufen, oder was schlägst du mir vor, Hexe?", fragte Lucius von Trar.
"König der Werwölfe vielleicht?", spottete die Alte.
"Oder Moorkönig", lachte er. Dass sie ihn auslachte, kümmerte ihn nicht. Noch war die Wetterhexe nützlich.
Die Alte berührte seinen Arm, und ihre Hand war kalt wie der Nebel. "Solang Ihr schweigt und Euch still verhaltet, wird uns nichts geschehen. Lasst doch Caenor die Arbeit verrichten. Ein wahrer Wolf nimmt sich das, was andere verwehren."
Lucius nickte. "Ja. Du darfst nun gehen. Schau, wie es um den Gast steht."
Er grub seine Krallen tief ins moosbedeckte Gestein der alten Burgmauern. Ein Knabe. Irgendwo war ein Knabe. Und wer ihn bekam, hatte einen zweifellosen Anspruch. Wie dumm von Glan! Lucius hatte erwartet, Petyr und Baelon hätten diesen Jungen, über den er selbst nicht einmal etwas erfahren hatte, als er dessen Mutter gefoltert hatte.
Nun, ein Räuber konnte lange warten. Auf den richtigen Augenblick.

Baelon

"Der Zeitpunkt war zu früh, Bruder!", rief Baelon von Glan durch den Hof. Es war unüberlegt.
"Mag sein. Du bist mein Kanzler, also tu, was man dir sagt. Wir haben keine andere Wahl, das weißt du. Die Generäle der Armee wurden ungeduldig", antwortete Petyr scharf.
Baelon verneigte sich und ging zurück in die Amtsstube. So ein Wahnsinn! Und der hatte schon Auswirkungen. Der Zeremonienmeister lag schon mittags betrunken in seiner Kammer, und irgendeine Hebamme hatte auch schon das Weite gesucht.
Er blätterte durch die Kladde, las die Namen des Personals und fand dann auch den der Hebamme.
"Augenblick...", murmelte er, dann rief er einen Diener: "Sag, wie war der Name der Frau, die den Burschen Joneth auf die Welt geholt hat?"
Der Diener antwortete.
"Bei Liras!"

Antonia

"Joneth? Joneth? Oh, Joneth, ich brauche dich. Der Teufel mit den blauen Augen und den Messerspitzen am Kopf sucht nach uns! Joneth, dein Haar, Joneth, dein Antlitz, der Schmerz der Geburt, süßer Wein, ein Baum, ein Tal, ein Turm, Joneth."
Antonia spürte, dass sie nicht bei Sinnen war. Aber kaum dass sie sich sammelte, packten sie wieder die Klauen der Vergangenheit.
"Das Feuer deiner Augen, Joneth..."

Petyr

König des Reiches Bretonia. Es fühlte sich richtig an. Seine Familie hatte den Thron lang genug behütet, und offenbar waren die Behüter Theresias zu feige, ihn zu fordern - nun war es zu spät. Die Götter hatten ihn erwählt und in wenigen Tagen würde er die goldene Reichskrone tragen. Was seinen Bruder anging... nun, Baelon war schon immer derjenige, der das Risiko fürchtete. Mit einer Lanze einen anderen zu Boden zu schleudern, das war eines; aber das Spiel der Höfe zu spielen, war etwas, das Baelon nicht lag.
"Herr?", fragte ein Diener.
"Was ist denn? Und es heißt MAJESTÄT!"
"Majestät, verzeiht, aber ich habe Nachricht Eures Bruders bekommen."
"Sprich."
Nachdem der Diener berichtet hatte, schien ihm die Krone jetzt schon wie ein steinernes Gewicht zu wiegen.
"Schickt meine Spione aus."
"Sie sind alle im Einsatz, Majestät. Euch interessierte, was im Eisenwall und auch im Wilderberg vor sich geht. Nicht zu vergessen der andere König."
"Melwin von Caenor ist ein Flusspirat, aber kein König! Dann gehst du eben selbst!"

Esthelion

"Ich weiß", sagte Esthelion.
Der Narr verließ den geheimen Treffpunkt, wie er gekommen war. Verdammte Feuergeburt.
Esthelion musste aber im nächsten Augenblick lächeln. Eigentlich lief alles wie vorgesehen...
Alea iacta est.

Die Würfel sind gefallen!

Benutzeravatar
Meister
Beiträge:916
Registriert:22 Dez 2006, 22:48

Beitrag von Meister » 04 Sep 2010, 12:57

Bathir

Bathir von Dryr hielt die blutbesudelte Axt in beiden Händen, und er zitterte. Nicht weil sie so schwer wäre, nein, sondern weil sein Zorn ihn brodeln ließ. Der Diener, der ihm die Neuigkeit überbracht hatte, lag - in zwei Hälften gespalten - mitten im Versammlungssaal. Er war so töricht, ihm im falschen Moment die Neuigkeiten zu berichten:
Caenors Angriff stand bevor, und jemand hatte ihn vergiftet, sodass sein Sohn die Flotte führte. Nun würde man nicht nur Eisenwall angreifen, sondern auch den Norden - dabei hatte Bathir ganz andere Pläne für die Nordlande! Erst stand seine Schmiede in Flammen, nun das auch noch.
"Esthelion, sagt mir, warum konntet Ihr die Feuerteufelchen nicht aufhalten, die unsere Waffen vernichtet haben?"
Der Elaya antwortete kühl. "Es waren viele. Und sie waren gut vorbereitet. Caenor ist ein schlauer Mann. Er hat das zerstört, was Euren Handel mit Ymir perfekt gemacht hätte. Der Riese dürfte entsprechend zornig sein."
Bathir knurrte. Ob es wirklich Caenor war? Eine der Wachen schwor, sie hätte dessen Soldaten gesehen.
"Dann hat er sich vermutlich auch selbst vergiftet?", fragte Bathir trocken und warf die Axt in eine Ecke.
"Wir werden es noch erfahren", antwortete Esthelion, bevor er sich entfernte.
"Wischt das Blut weg und verfüttert den Diener an meine Hunde. Oder an die nutzlosen Söldner, die sich den ganzen Tag besaufen, anstatt meine Schmiede zu bewachen!"

Jargu

Jargu von Caenor stand am Steg und schaute der Flotte seines Vaters nach, die gen Norden zog. Sie waren mit dem Seefeuer beladen, trugen Soldaten und Kriegsgerät mit sich - aber nicht ihren Heermeister.
Sein Vater wäre mit ihnen gefahren. Aber sein Sohn nicht. Die Männer spotteten über ihn, der nie zur See gefahren war. Jargu hatte eben andere Pläne, und dazu gehörte auch, den Fuß an Land zu lassen. Sollten sich doch andere die Hände besudeln. Der Anschlag gegen seinen Vater kam zur rechten Zeit, wer auch immer es gewesen war.
"Mein Herr?", fragte der Heiler.
"Ja, sprich."
"Eurem Vater geht es sehr schlecht. Ein sehr tückisches Gift wurde von diesem Julthos benutzt."
Jargu nickte. "Setzen wir ein Kopfgeld aus. Irgendwer wird diesen Burschen schon fassen."
Im nächsten Augenblick stürmte ein Bote herein.
"Was ist denn?"
"Herr, es gibt Neuigkeiten von den Glans, aus Bretonia!"
"Auch das noch. Berichte!"
Nach dem Bericht des Boten fluchte Jargu laut und wünschte sich, er wäre auf den Schiffen.

Petyr

Der künftige König des Reiches Bretonia stand vor einem Spiegel und prüfte das Gewand. Hier und da schien es ihm zu weit, oder zu eng - je nach Perspektive. Und die Krone, die er probehalber aufgesetzt hatte, war doch recht groß und schwer. Nun, er würde sie ohnehin nur zeremoniell tragen müssen.
Die Neuigkeiten aus den Flusslanden Caenors hatten ihn fasziniert. Wer wäre so dumm, im Namen des Nordens und im Namen Gloriannas einen Anschlag auf Melwin von Caenor zu unternehmen? Nein, etwas anderes musste dahinter stecken. Obschon der Zeitpunkt nicht günstiger hätte sein können. Haus Caenors neuer Anführer, Jargu, war ein Schwächling, zweifellos. In der Tjoste vor einigen Monaten hatte Baelon ihn mühelos besiegt. Und wer hätte gedacht, dass Baelon seinen Sieg dem eigenen Bruder schenken würde?
Er lachte, als er sich an die Gesichter der Caenors erinnerte, an Thairas freudiges Lächeln, keinen Caenor heiraten zu müssen - an Ivars Zufriedenheit.
"Heute ist ein guter Tag. Bald versinkt Caenor, Dryr und der Norden brennen", murmelte er, als die Türe aufgestoßen wurde.
Es war Baelon. "Petyr, wir müssen reden."
"Ich stehe kurz vor meiner Krönung, Kanzler, ich hoffe also, dass es wichtig ist?"
"Ich denke schon", antwortete Baelon.
"Du DENKST. Na, lass mal hören, Bruder..."
Baelon antwortete stur. "Jemand hat mit Ephyre gesprochen."
"Meiner Lieblingssöldnerin? Darf sie neuerlich schon nicht mehr reden?"
"Das Thema weiß ich nicht. Aber man ist davon überzeugt, Glorianna bei ihr gesehen zu haben", sagte Baelon.
"Glorianna. Na, dann spreche ich sie heute darauf an. Sie ist einer meiner Ehrengäste."
"Sie wird nicht kommen. Caenors Flotte nimmt sie in Anspruch; sie hat abgesagt."
Petyr warf den Umhang in eine Ecke. "So? Hat sie das also? Nun, das macht die Dinge komplizierter. Hat man etwas von der Hebamme gehört oder von Samgards Inschrift?"
"Nein. Das hat man nicht."
"Schaff mir Ephyre her. Und ist mein zweiter Ehrengast sicher eingetroffen?"
"Ja."
Als Baelon den Raum verlassen hatte, schlug Petyr mit der nackten Faust gegen die Wand. Es schmerzte aber weniger als der Zorn selbst.

Esthelion

Die Soldaten zogen mit Pferden das Kriegserät ans Ufer, um Caenors Ankunft zu erwarten. Ihm hatte man befohlen, sie durch seine Zauberei zu unterstützen. Lächelnd schritt Esthelion durch die Reihen, schaute auf den Fluss und wartete.
Dass die Nordfrau sich nicht an den Handel halten würde, war zu erwarten gewesen. Es kümmerte ihn nicht, denn sie würden sehen, was es ihnen bringen würde. Alles zu seiner Zeit. Dass Joneth immer noch nicht in seiner Hand war, das störte ihn wesentlich mehr. Wo auch immer der Knabe war, er musste ihn finden.
Da traf es sich gut, dass der Rote Narr zwar schwer zu lesen war, aber dennoch seine Vorfreude über einen bestimmten Fund nicht verbergen konnte: Antonia. Und dazu noch Hersilia.
Esthelion lächelte kühl, als er seine Zauber vorbereitete.

Der Rote Narr

Er war sehr erschöpft, wie es immer war, wenn er seine Alchimie einsetzte. Ein Schatten seiner selbst war er, dachte er, während er auf der Strohmatte lag und die Mosaike an der Decke zählte.
Dann musste er lachen, ob der Ironie in seinen Gedanken.

Lucius

Lucius von Trar lag halb benommen in der Kammer. Die kalten und faltigen Hände der Alten fuhren durch sein filziges Haar.
"Ganz ruhig, mein Junge, ruhig...", murmelte sie.
Er spürte, wie seine Knochen sich wieder richteten, die Zähne schrumpften und der Geschmack des Blutes wieder nachließ.
"Sie haben es gefunden. Und sie haben die Inschrift entfernt, bei allen Göttern!", knurrte er.
"Wir werden Joneth auch auf andere Weise finden. Und ebenso die Inschrift, die der Emporkömmling so gern haben will", sagte sie fast tröstlich, und sie meinte damit Petyr von Glan... König Petyr.
"Vielleicht. Ich werde eine alte Bekannte danach fragen müssen."

Ivar

Ivar von Tyrell stand am Fenster seiner Festung, blickte auf seine Heerscharen und war sehr zufrieden mit sich und der Welt. Caenor geschwächt; der Flusskönig, wie er sich nannte. Wer auch immer es getan hatte, er hatte gut daran getan. Leider lebte Melwin noch, aber die Zeit würde es bringen.
Der Bericht Thairas, seiner Schwester, war ebenfalls mehr als zufriedenstellend. Ja, alles verlief genau so, wie er es gehofft hatte. Es war fast zu leicht!
"Thaira?"
"Ja, Bruderherz?"
"Komm her. Dein Kleid muss angepasst werden."
Die Zofe richtete einige Falten, steckte hier und da eine kleine Nadel in den Stoff, nahm Maß und entfernte sich, nachdem seine Schwester sich umgezogen hatte. Auch sie verließ dann die Kammer.
Ivar schmunzelte. Es könnte wirklich nicht besser laufen. Ein Krieg zwischen Dryr und Caenor musste die Glans wirklich beunruhigen. Und Tyrell hätte genau das zu bieten, was Bretonia unbesiegbar machen würde.

Oshinya

Sie dankte dem Erlenkönig, dass endlich jemand gekommen war, um das Grab des armen Tropfes zu öffnen. Zu lange, so kam es ihr vor, hatte sie darauf warten müssen. Diese Frau, Hlifa, und ihre Gefährten hatten sich danach auf den Weg ins Wilderland gemacht, um Kithei zu besuchen.
"Mutter?", fragte einer der Männer.
"Ja?"
"Die Wölfe wandern."
"Wohin?"
"Hierher..."

Baelon

Er brütete in der Kanzlei, die ihm wie ein Kerker schien. Die Mauern zogen mit jedem Tag enger, und durch die Fenster kam einzig die muffige Stadtluft. Baelon von Glan hatte sich sein weiteres Leben anders vorgestellt:
Lieber würde er auf das Schlachtfeld ziehen und die Dinge für das Haus Glan auf seine Weise richten. Stattdessen waren seine Waffen Feder und Pergament; statt Blut sah er nur noch Tinte und Kohle. Aber er war der jüngste Vertreter des Hauses, und seine Aufgabe war klar. Er rüttelte nicht daran, denn Petyrs Macht war groß - ob mit oder ohne Krone.
Es klopfte. "Herein!"
Baelon traute seinen Augen nicht. "Schwester? Du bist hier?"
Irinia lächelte. "Stört es dich?", fragte sie, und ihre schiefen Zähne glitzerten eigenartig im Kerzenlicht der Kanzlei.
"Im Gegenteil. Aber ich dachte, du wärst auf Blyrtindur gestorben. Was ist geschehen?"
"Ich konnte die Insel nicht für unser Haus beanspruchen, und ich werde Petyr sagen, dass sie nichts für uns ist. Ein toter Klumpen Eis und Gestein. Nicht mehr. Hauptmann Aran führt Terra Brumalis. Soll er dort verrotten, da ist nichts von Wert für Glan."
Baelon nickte. "Ich werde dir helfen, es ihm auszureden."
"Danke, Bruder. Und? Wie geht es dir? Wie stehen die Geschäfte? Unser Bruder denkt, er wäre nun ein König, höre ich?"
"Er IST der König", sagte Baelon widerwillig.
"Bitte, von mir aus. Wie geht es weiter?"
"Haus Caenor will Dryr und den Norden angreifen. Petyr hat befohlen, die Armee rauszuhalten."
"Ärgert dich das?"
"Ja. Wir könnten Position beziehen", antwortete Baelon.
"Könnten wir. Müssen wir aber nicht. Ein kluger Herrscher weiß, wann er antritt und wann er abtritt."
"Und wann er ein Feigling ist?", fragte er dann ärgerlich.
"Manchmal auch das. Wer ist das hübsche Mädchen im Salon?"
Baelon antwortete.
"Ach? Ich hatte gedacht, er würde eine ältere wählen", sagte sie, küsste Baelons Stirn und ging hinaus.
Ja, dachte er, das habe ich auch gehofft...
Alea iacta est.

Die Würfel sind gefallen!

Benutzeravatar
Meister
Beiträge:916
Registriert:22 Dez 2006, 22:48

Beitrag von Meister » 05 Sep 2010, 15:25

Jargu

Kaum ein Schiff kehrte zurück. Die Kapitäne beteuerten den Mut der Nordmannen und die Entschlossenheit Eisenwalls auf der anderen Seite.
"Die Schlacht ist verloren", stellte er fest, und im nächsten Moment bemerkte er, wie unnötig diese Bemerkung war.
"Ja", antwortete einer der Kapitäne - wohl um die Peinlichkeit einzudämpfen.
"Wie geht es Eurem werten Vater?", fragte ein anderer.
"Sein Zustand ist unverändert."
"Herr, wir haben den Attentäter gesehen", sprach der nächste.
"Und warum liegt er nicht in Ketten vor mir?"
"Er wird vom Norden beschützt. Wir sahen ihn in der Schlacht, ich habe ihn erkannt."
"Setzt einen Brief auf, Schreiber."
"Der Empfänger?", fragte Justus.
"Petyr von Glan."

Mercutio

Mercutio von Giltheas saß vor den schwarzen Kerzen und lauschte den Gesängen seiner Priester. Ihre monotonen Stimmen waren ihm wie Balsam. Die Monate im Grauloch schienen dann in eine weit gedachte Ferne zu rücken. Und erst wenn die Gesänge nachließen, stiegen ihm Gram und Zorn wieder in die Schläfen, stachen wie Dolche in die Augen und gruben die Erinnerungen wieder aus.
Die Gesänge verstummten wieder. Mercutio berichtete den Priestern und Messdienern, was er durch die Augen des Quentar gesehen hatte. Dass man ihn entdeckt hatte, spielte keine Rolle. Durch den Tausch wusste er endlich, wo die geheime Mine Tyrells war. Tyrell war eine große Gefahr. Und die Heirat Thairas mit Petyr machte die Sache nicht besser, und auch nicht einfacher.
"Herr, was sollen wir nun tun?", fragte sein General.
"Sollen die hohen Herrschaften ihre Kriege ausfechten, und ihre Zwistigkeiten austragen. Das Haus Giltheas hat Zeit. Bringt mir die Karten. Und sagt mir, wieviele Reiter die Hun aufbieten können."

Lucius

Oshinyas Antworten stellten ihn zufrieden. Bald hätte er schon vergessen, wie schön sie war. Er dachte an die Tage seiner Jugend, als Oshinya, genau wie ihre Schwestern Kithei und Sverka, mit ihm im Moor spielten oder durch das Wilderland gezogen waren - und das alles, ohne einen Schritt vor die Türe gestellt zu haben. Das Reisen in den Gedanken war etwas, das er auch bald vergessen hatte.
Wenn er ein Wolf wurde, dann spürte er nur noch den Blutdurst, und alles andere waren blasse Gedanken, die es nicht vermochten, bis in den Geist des Tieres zu steigen, das er dann war. Aber die Verwandlung war ebenso ein Segen. Genau wie die Gefangenen, die ihm Theophil hinterlassen hatte, obwohl Lucius von Trar langsam glaubte, dass einige schon zu Caldorvan von Torbrins Zeiten eingesessen hatten. Im Kerker hatte er auch die Hexe entdeckt. Sie wurde ihm die beste und weiseste Dienerin. Auch wenn er ab und zu daran dachte, er wäre ihr Diener.
"Was bringst du Neues, Hark?"
Der Bote hob den Kopf. "Die Flotte Caenors ist am nördlichen Fluss versenkt worden, und das Wasser brennt immer noch."
"Und Dryr?"
"Seine Grenzen sind sicher. Allerdings sind Riesen durch die Nordlande marschiert."
"Die Blodhord? Haben sie den Norden verheert?", fragte Lucius interessiert.
"Nein. Schaut aus, als gäbe es ein Bündnis mit den Nordleuten."
"Verstehe", murmelte er, und sein Interesse ließ wieder nach.
Der Bote berichtete schließlich vom Besuch des Königs im Norden und von dessen Hochzeit mit Thaira von Tyrell.
"Tyrell und Glan? Dann wird Dryr sich anschließen, nachdem Caenor dank des Nordens kaum noch Schiffe besitzt", stellte Lucius fest.
Sein Hofstaat, bestehend aus dem Boten, der Hexe und einem Gefängnisaufseher, stimmte zu.
"Es muss etwas getan werden. Mylord, Ihr dürft nicht zulassen, dass Haus Trar in Vergessenheit gerät."
"Ach ja? Die Hinweise über Samgard sind unauffindbar, und vermutlich hat Petyr von Glan sie bereits ausgegraben. Einem meiner Männer hat man die Eier abgeschnitten, und der Rest verrottet am See. Ich sage, unser Gast ist der Schlüssel. Bringt ihn her!", raunte Lucius zornig.
Als man Lord Helmart, dessen Burg Waldwacht nunmehr ein Ort des Gestanks war, in den Raum führte, bemerkte Lucius das Lächeln der Hexe.
Wieder fragte er sich, wer hier der Diener war.

Petyr

Sein Besuch im Norden war doch recht interessant gewesen. Er rechnete nicht unbedingt mit der Zustimmung des Nordens, was ein Bündnis anging, aber das war sowieso nur ein Vorwand gewesen, etwas ganz anderes in Erfahrung zu bringen. Dass entweder Hersilia oder Geroth im Norden, oder wenigstens unter dem Schutze Gloriannas standen, war nun sicher. In Kürze würde er einen von beiden haben.
"Du siehst zufrieden aus", sagte Irinia, und nahm noch etwas vom Wildbret.
"Und du bist immer noch hässlich", antwortete er, und fluchte im nächsten Moment leise, weil er wieder den frechen jüngeren Bruder hatte sprechen lassen und nicht den König Bretonias.
"Ich danke dir, Petyr. Aber sag, was macht dich zufrieden?"
"Alles entwickelt sich. Der Gesandte Dryrs ist auch schon eingetroffen. Und zum Glück ist es nicht dieser Esthelion."
"Du fürchtest Esthelion."
Petyr knurrte. "Ich fürchte keinen!"
"Es ist keine Schande, denn etwas Seltsames umgibt ihn. Genau wie den Vetter deiner Ehefrau."
"Deiner Königin", korrigierte er sie.
"Meiner Königin. Der Rote Narr ist verschlagen. Wir müssen vorsichtig sein."
"Natürlich. Aber Ivar wird ihn nicht umsonst zum Narren gemacht haben, und nicht zum Schatzmeister oder Heerführer seiner Flammenarmee", sagte Petyr und trank vom Rotwein.
"Narrenfreiheit", murmelte sie nur und lächelte, als die Tür sich öffnete und Baelon eintrat.
"Du bist sehr spät, Bruder", sagte Petyr.
"Verzeiht, Majestät. Die Amtsgeschäfte. Außerdem darf ich Euch mitteilen, dass die Blodhord die Grenze zum Norden bewacht."
Petyr ließ seinen Kelch fallen. Dann rief er eine Dienerin und befahl ihr, die Flecken zu entfernen und später in seiner Kammer zu warten. "Ach, so ist das? Und glaubt man, mir damit etwas zu zeigen, Baelon?"
"Nein. Man sichert sich ab. Eine überraschende, aber am Ende auch sinnvolle Reaktion: Mit Caenor ist derzeit nichts mehr anzustellen, und Dryr wird in Kürze eine Allianz mit uns eingehen."
"Es soll mich nicht weiter kümmern. Ich habe uns keine Feinde im Norden gemacht. Die Schiffe im Fluss sind nicht meine, und ich hege Sympathie für Hetfrau Branda."
Irinia lachte. "Bestellst du sie auch auf dein Zimmer?"
"Später. Erst Glorianna. Hat man diese Frau in sein Bett bekommen, sind alle anderen Freiwild", spottete er.
Baelon nahm sich etwas Wein. "Ihr wollt die Ernsthaftigkeit nicht sehen? Der Norden mag keinen Hass gegen Glan haben, aber er liebt Glan auch nicht."
"Glan muss man nicht lieben. Glan ist der König. Petyr ist der König", antwortete Irinia.
"Ja. So ist es", sagte Baelon und schwieg.
Petyr lächelte. "Sagt Ascanio, dass ich in einigen Minuten bereit für die Audienz bin. Das Volk braucht einen Lethos."
Ein Diener wurde in die Gemächer des Priesters geschickt. In der Tür stand ein Bote.
"Ja?", fragte Petyr.
"Herr, eine Nachricht von Hohenfels. Man wünscht Verhandlungen."
"Ah, endlich. Ich sage doch, der Norden hat uns geholfen."

Bathir

"Wo seid Ihr gewesen, als Caenor kam?", fragte Bathir von Dryr seinen Berater.
"Man griff mich an. Caenors Leute kamen durch den Fluss."
Bathir sah zum Heermeister. "Stimmt das?"
"Ja, Mylord. Es waren Caenors Soldaten. Esthelion musste sich zurückziehen."
"Und der Norden?"
"Der Norden hat seine Seite des Flusses verteidigt, es kam zu keinen Kampfhandlungen zwischen Dryr und Tilhold oder Midtjord", antwortete der Heermeister, bevor Bathir ihn entließ.
"Esthelion, wie weit sind wir mit den Vorbereitungen?"
"Die Geburt steht bevor. Das Erbe Erwyndylls ist bereit."
Alea iacta est.

Die Würfel sind gefallen!

Benutzeravatar
Meister
Beiträge:916
Registriert:22 Dez 2006, 22:48

Beitrag von Meister » 09 Sep 2010, 14:37

Lucius

"Untote", raunte Lucius von Trar, "sie kamen mit Untoten her!"
Die Alte beruhigte ihn, indem sie durch sein Haar strich. "Überbleibsel Helmarts. Nun sind sie fort."
"Wieviele Wölfe habe ich verloren?"
"Wölfe kann man zeugen. Aber Helmart... Helmart ist uns verloren gegangen", murmelte die Hexe.
"Schafft ihn her! Schafft ihn her! Er weiß alles!"
Die Hexe nickte. Dann schlich sie davon, in ihre stille Kammer, atmete den Duft von Rattenkot und Blut ein, bevor sie ihre Worte sprach.
"Mutter?", flüsterte der Nebelmann.

Mercutio

"Mylord Giltheas, die Priesterschaft hat große Bedenken, was Eure Offenheit den Fremden gegenüber betrifft", sprach der Geistliche vorsichtig.
Mercutio faltete die Hände. "Bruder, ich darf sagen, fremd sind sie nicht. Und das Gegenteil ist der Fall: Ich lenke sie auf genau die Bahnen, die wir benötigen. Die Ebene ist Gebiet meines Interesses. Der Thron kann warten. Ein kluger Mann fegt die Reste mit dem übrigen Kehricht fort, wenn die Zeit der Geier gekommen ist."
Der Priester nickte. "Eure Weisheit wollte ich niemals anzweifeln, Mylord. Was gedenkt Ihr angesichts des Vorfalls bei Lord Trar zu tun?"
"Überhaupt nichts. Helmart ist in Sicherheit, und man tut gut daran, ihn dort oben im Norden zu behalten."
"Und der Schlüssel Torbrins?"
"Alles zu seiner Zeit, Velthan, alles zu seiner Zeit..."

Luwin

Er war diesen Leuten dankbar, zweifellos. Luwin von Helmart hatte alles verloren, was er verlieren konnte. Der Rote Narr, das Haus Tyrell, sie hatten ihm alles genommen. Sein Weib, seinen Sohn, seine Burg, sein Land und seine Ziele. Es wäre so leicht gewesen, ein Bündnis mit den Kelten gegen Trar zu schließen. Das Geheimnis, das Burg Witrin umgab, das alte Erbe der Torbrin, er hätte es lüften können. So war er erleichtert gewesen, Trars Gefangener zu werden und nicht etwa Glans oder Tyrells.
Aber die Befreiung durch die Leute aus dem Norden kam ihm zuvor. Er hatte ihnen alles gesagt. Die Pläne Glans, Caenor zum Werkzeug gegen den Norden zu machen; Dryrs Vorhaben, was den Drachen betraf. Nur das eine, das, was Trar so wichtig machte, behielt er lieber für sich. Man konnte niemals wissen, wann eine Information nicht Leben retten konnte - und sei es das eigene, wertlosere.

Jargu

Jargu von Caenor saß am Krankenbett seines Vaters. Die Wundärzte und Heiler konnten das Gift nicht identifizieren. Ein Teil von Jargu wollte aufschreien vor Glück: Die Zerstörung der Flotte mochte in den Augen aller eine Schmach gewesen sein, doch Jargu betrachtete es in letzter Konsequenz als einen Schritt nach vorn. Er, der nie zur See gefahren war, hatte nämlich ganz andere Pläne mit Hohenfels und dem Land. Der Flusskönig! Als sein Vater sich so nannte, musste er sein Lachen hinter der Maske des Gehorsams verstecken.
Und heute, da er den Verfall des Vaters beobachtete, wollte er am liebsten ein Kissen nehmen und die Sache beenden. Aber da waren die Dienerinnen, treue Hun, die ihm nie von der Seite wichen. Treue Seelen, so nannte sein Vater diese Huren. Sie hatten ein besonderes Recht, und niemand außer Melwin von Caenor konnte ihnen Befehle erteilen.
"Versteht ihr mich eigentlich wirklich nicht?", fragte Jargu.
Die Frauen lächelten nur und hielten die Hände ihres sterbenden Herrn. Nun, wenn er endlich gegangen wäre, hätte das auch ein Ende.
"Herr? Wir haben eine Antwort des Königs."
"Her damit", befahl Jargu.
Nachdem er die Botschaft König Petyrs gelesen hatte, warf er das Pergament ins Feuer. 'Leider sieht sich das Haus Glan nicht in der Lage, seine Reiter für Eure Zwecke entbehren zu können. Die unklare Lage im Norden setzt all unsere Kraft voraus', war dort zu lesen gewesen.
"Bitte, dann eben nicht", murmelte er und gab seinem Boten einen neuen Befehl: "Holt mir den Blutigen Stumpf her."
"Seid Ihr sicher? Der Flusskönig wäre sicher arg verstimmt, diese schwarze Seele in den Mauern zu sehen", gab der Bote zu bedenken.
"Mein Vater sieht bald seine Götter - Ihr tätet also gut daran, meine Befehle zu befolgen, da ich sein Nachfolger sein werde!", raunte Jargu ärgerlich.
Nachdem der Bote die Halle verlassen hatte, erhob sich Jargu, nahm einen Krug Wein und starrte auf den kalten Boden. Sollte Petyr von Glan also ruhig glauben, Haus Caenor würde sich Dryr beugen und damit auch ihm und Tyrell. Sie würden schon sehen, alle würden schon sehen.
Dann spürte er kalten Stahl, der sich auf seine Hand legte.
"Was...?"
"Wir verstehen Euch. Wir verstehen Euch nur zu gut. Eine weise Wahl, Jargu. Eine weise Wahl, den Stumpf zu holen. Wir werden Gefallen daran finden", sagte die Hun.

Wilion

Wilion von Melther saß am Lagerfeuer in trauter Runde. Seine Waldläufer hatten das Tal gesichert. Als die Blodhord angegriffen hatte, waren die Pfeile, die Wilion auf die Riesen hatte feuern lassen, im Hagel all der anderen Geschosse wohl untergegangen - gut so. Noch war es nicht an der Zeit, Position zu beziehen - noch nicht.
"Wie gehen wir nun vor, Mylord?", fragte Lero.
"Die Schlacht am Fluss hat mir gezeigt, dass mit dem Norden stets zu rechnen ist. Er ist der Schlüssel zum Erfolg", antwortete Wilion.
"Ja, doch sehe ich zwei Probleme."
"Sprich nur, Heermeister."
Lero nickte. "Die Armeen von Carmon und Brioless sind praktisch nicht mehr vorhanden. Und der Norden wird niemals Euren Plan unterstützen, Dryr UND Tyrell anzugreifen."
"Ich weiß. Es ist dafür auch noch zu früh. Wir hätten jetzt die Gelegenheit, ins Kernland zu schleichen und über Caenor herzufallen."
"Mylord", gab Lero zu Bedenken, "wenn die Gerüchte stimmen, wird Jargu von Caenor den Blutigen Stumpf ins Spiel bringen."
"Dann müssen wir schneller sein, ehe man die Beute teilt. Wer das Kernland in Form von Hohenfels halten kann, wird Tyrell die Stirn bieten können. Stellen wir uns vor, Dryr käme auf die Idee, gegen Caenor zu marschieren. Das wäre der Anfang vom Ende aller Vorhaben, Lero."
"Und was ist mit Euren Bedenken, was Giltheas betrifft? Der schwarze Lord könnte jederzeit nordwärts ziehen und Hohenfels einnehmen. ER wird sicher nicht warten, bis Dryrs Drachengeburt vollzogen ist. Er wäre vielleicht ein Verbündeter, kein Gegner."
Wilion murrte leise. "Ich soll mich mit Sektierern und Götzendienern einlassen? Eher sterbe ich!"
Lero schwieg. Nach einigen Stunden erhob sich Wilion und gab neue Befehle aus.
"Und Ihr, wohin geht Ihr?", fragte dann Sir Leyris.
"Tilhold."

Baelon

Ein hoch interessantes Gespräch hatte er da an der Abtei geführt. Es war ihm die Bestätigung, seiner Vermutung, dass der Rote Fuchs tatsächlich eine Verbindung zu Glorianna haben musste. Alle Informationen aus der Kolonie Brumalis sprachen auch dafür; die Rebellion, das Fest, die goldenen Pfeile, die angeblich auch diesen Hauptmann namens Aran verletzt hatten. Und wenn Letzterer wirklich aus dem Hause Torbrin stammte, wäre er ein Schlüssel, Trar in die Knie zu zwingen. Denn Trar wusste alles.
Baelon war kein Freund der Ideen seines Bruders. Zweifellos war es ein Fehler, sich zum König auszurufen, ohne auch nur den Anschein zu erwecken, Samgard könnte ihn erwählt haben. Er glaubte daran nicht, aber Petyrs Lage und damit auch die aller Glans, sie wäre sicherer gewesen. Was Trar anging, so beschloss er, zu schweigen. Nur noch Helmart wusste davon, und er war ebenso tot wie sein ganzes Haus. Manchmal würden gewisse Informationen wertvoller bleiben, wenn man sie nicht mit anderen teilte. Eine Lektion, die ihm Irinia beigebracht hatte.
"Was hast du dir bei der Verlegung des Völsungar eigentlich gedacht, Bruderherz?", fragte sie mit ihrem hässlichen Lächeln. Schon als kleiner Junge hatte Baelon sich vor ihren schiefen Zähnen und der fahlen Zunge gefürchtet.
"Das Grauloch hätte ihn umgebracht - er wäre also wertlos geworden. Und in der Stadt hat es Füchse, wie du weißt." Er hoffte, das würde als Antwort genügen.
Leider war dem nicht so. "Petyr ist recht ungehalten, da du es nicht mit ihm besprochen hast."
"Unser Bruder hat wahrlich andere Sorgen. Er hat die Paladina zum Essen geladen, was eine gewagte Idee ist."
"Warum", fragte sie, "sie ist doch von mir, oder zweifelst du an mir?"
"Keineswegs. Aber die Position dieser Frau ist sonnenklar. Er verschwendet damit wertvolle Zeit."
Irinia schmunzelte. "Mag sein, aber er ist der König. Damit ist er unfehlbar. Außerdem will er sich mit seinem hübschen Eheweib präsentieren. Wer will es ihm verübeln? Er hat doch eine wunderbare Wahl getroffen, nicht wahr?"
"Ja, wunderbar", antwortete Baelon gelangweilt. Er hätte lieber eine andere als Königin gesehen. Wenn überhaupt. Alte Sitten wurden in neuen Zeiten eben gern mit Füßen getreten, wenn er auch zugeben musste, dass die Verbindung mit den Tyrells Vorteile hatte. Entscheidende, was den Krieg betraf. Doch leider hatte Ivar schon immer eigene Ambitionen.
"Also, wo ist das Waldkind?", fragte sie forsch.
"In Sicherheit. Willst du dem Kanzler seine Aufgabe absprechen?"
"Aber nein, nein, wirklich nicht. Ich bin nur sehr neugierig. Er hat starke Schenkel und viele Muskeln. Seine Wachen sollten aufpassen", gab sie zu bedenken und grinste wieder.
Baelon erhob sich. "Ich habe für diesen Unsinn keine Zeit, Irinia. Wenn du einen Liebessklaven suchst, dann geh in einen Schweinestall. Schweine haben auch Muskeln!"
Als Baelon durch die Gänge des Palastes schritt, hielt ihn vor der Treppe zur runden Tafel ein Bretonianer auf.
"Was gibt es nun wieder?", fragte der Kanzler.
"Ihr seid zu einer Befragung geladen, Mylord."
"Eine Befragung? Ich musste gerade schon eine durch meine liebreizende Schwester ertragen. Darum hoffe ich, es ist wichtig?"
Der Bretonianer nickte. "Der König will Euch wegen der Verlegung eines Gefangenen befragen, Mylord."

Esthelion

Die Kapsel war kalt wie Eis und blau wie das Meer. Als er noch atmete, sah er, wie die Luft zirkulierte und dann zu feinen Kristallen gefroren wurde. Dann der Atemstillstand, nachdem seine Lungen kristallisierten und Esthelion sie sich wie zwei Schneekugeln vorstellte, die in einem eisigen Leib zitterten.
Der Wald war grün. Erste Herbstblätter fielen zu Boden, und er lächelte. Der Winter kam. Manche sahen ihn noch nicht, er sah ihn immer. Im Sommer sehnte er ihn herbei, und wenn er denn gekommen war, wollte er ihn umklammern, dass er nie wieder fortgehen würde. Denn der Winter war ein kalter Freund, aber immerhin treu. Das konnte man von vielen anderen nicht behaupten.
Dem Treffen zwischen Lord Dryr, König Petyr und Lord Tyrell hatte er nicht beiwohnen müssen. Besser so, denn er hätte vermutlich alles erbrochen, was er in den letzten Jahrtausenden verspeist hatte - das war zwar verhältnismäßig wenig, aber es hätte gereicht, Festung Eisenwall bis in den flammenden Keller zu begießen. Die Flammen vom Tyrellfeuer wären wohl nicht unbedingt gelöscht worden, aber befriedigt hätte es Esthelion auf jeden Fall. Dieses Bündnis war schlecht!
Im Keller hatte er das Ei gesehen, das durch das Feuer erwärmt wurde. Alles andere wäre geschmolzen, aber das Ei des Erben des Schwarzen, es hielt dagegen mit nur wenig Mühe. Der Schatten war schon zu sehen gewesen, zitterte und kratzte an den Innenwänden seiner feurigen Schale. Lord Dryr hatte lächelnd auf der Empore gestanden und sich daran ergötzt.
Nun, Esthelion war weniger begeistert.
Als er durch das Laub schlich, sah er endlich die Pferde und Zelte, die Bewaffneten und das Bündel - derweil wurde die Kapsel, aus der er seinen Geist in die Welt geschickt hatte, immer kälter.

Petyr

"Sehr schön, sehr schön. Das wird meinem Gast gefallen. Gute Arbeit", lobte Petyr von Glan seine Dienerschaft und betrachtete zufrieden die Tafel. Als König musste er etwas bieten, aber ihm war heute an Bescheidenheit gelegen. Immerhin herrschte ja auch noch Krieg. Der wäre in einigen Wochen, spätestens, vorüber, aber er musste ein Vorbild für die einfachen Menschen bleiben. Das Symbol eines geeinten Reiches.
"Dann wäre da noch die Sicherheits- und Waffensteuer, Mylord König", sprach Sir Allyen vornehm.
"Was ist damit? Probleme?", fragte Petyr ärgerlich. Er wollte sich die Stimmung nicht verderben lassen.
"Nicht direkt, Mylord König. Aber die Bauern der Kernlande geben mehr als die Bürger Bredorfs. Es gab schon Scharmützel an den Dorfgrenzen."
"Sind die Menschen nicht zufrieden, dass ich ihr geliebtes Bredorf wie ein rohes Ei in meinen Händen trage?"
"Die Menschen in Bredorf sind es, die Bauern hingegen aus nachvollziehbaren Gründen nicht."
"Was fehlt ihnen denn?"
Sir Allyen begann, eine ganze Liste von Gütern aufzuzählen. "Und zuletzt schlicht und einfach Saatgut."
Petyr betrachtete die Festtafel. Da waren Schinken, ein halbes Schwein, Früchte und Brot. "Ja, dann gebt ihnen Kuchen!", raunte er ärgerlich.
"Mylord König, ich soll Kuchen an die Bauern verteilen?"
"Ich habe einen Krieg zu führen und das Land zu einen. Dryrs Drache ist noch ein Kleinkind, und dieser Esthelion ist unzufrieden. Tyrell hat einen roten Narren - da werde ich meinem Volk doch gern einen Kuchen spendieren", lachte Petyr.
"Wie Ihr wünscht", antwortete der Ritter untertänig.
"Jetzt sagt mir, was habe ich da von meiner lieben Schwester gehört? Man hat den Völsungar verlegt? War es ihm zu nass in meinem Kerker?"
Sir Allyen erklärte ihm alles.
"So. Dann bestellt meinen Bruder her, den werten Kanzler."

Skogung

Es war dunkel. Irgendwo trippelte eine Ratte durch das stinkende Wasser. Vielleicht mehr als eine. Aber was bedeutete das schon? Tage zählte er nicht mehr. Er sprach nur leise immer wieder dieselben Namen. Aber so leise, dass selbst die Ratten es nicht hören sollten. "Joneth, Theresia, Antonia, Velthan."
Irgendwann wurde es hell. Das Licht schmerzte in den Augen, so wie jeder Knochen und Muskel zu spüren war.
"Wer da?", fragte der Anführer der Völsungar, als wäre ihm der Kerker schon zur Heimat geworden und jemand hätte an die Türe geklopft, die in Wahrheit einfach aufgerissen wurde.
"Was für ein großer und starker Mann", säuselte die fremde Stimme.
"Bringt es hinter euch oder lasst mich um mein Leben kämpfen", knurrte er.
"Kämpfen wirst du, mein starker Held. Sei dir sicher."

Bathir

Die Flammen schienen das Drachenei zu tragen. Wie in einer roten Sänfte lag es zufrieden und feurig darüber, darauf und auch darin. Manchmal glaubte Bathir von Dryr, er würde flammende Hände sehen, die das Ei sanft streichelten. Dann schüttelte er sich, und die seltsame Vision war wieder verschwunden.
Es würde noch dauern, bis der Schrecken Edais, der Sohn von Drakos, der Schwarzen Echse, die das Land einst verheert hatte, schlüpfte. Aber bis dahin würde er jeden Tag bei ihm sein. Er musste das erste Wesen sein, das der Jungdrache sehen würde. Er musste ihm und den Befehlen folgen. Ob Petyr oder Ivar, der ihm großzügigerweise das Pulver gegeben hatte, auch nur ein einziges Mal auf den Gedanken gekommen waren, Dryr würde seine Schöpfung nicht auch gegen sie wenden, scherte Bathir nicht. Die Zeit der Abrechnung, sie kam schnellen Schrittes. Mit jedem gewachsenen Glied, jeder Sehne und den bald gespannten Flügeln.
"Es ist alles vorbereitet, Mylord", sagte ein Diener.
"Gut. Man soll für einen sicheren Transport sorgen - bei Nacht."
"Jawohl!"
Bathir runzelte die Stirn. "Wo ist Esthelion? Er soll es sehen."
"Mylord, Euer Berater ist in einer wichtigen Angelegenheit zur Glasinsel gegangen."
"Gut. Ich erwarte seinen Bericht."
Als er allein im Flammenkeller blieb, spürte er einen Dolch im Rücken. Nur ganz leicht berührte die Spitze seine Haut.
"Sehr unklug", zischte Bathir. Seine Wachen waren direkt hinter der Tür, und er fragte sich jedoch im nächsten Moment, wer der unbekannte Schleicher war, der es geschafft hatte, sich unbemerkt bis hierher zu bewegen.
"Vielleicht. Amur mit Dir, Bathir von Dryr", flüsterte eine Frau.
Alea iacta est.

Die Würfel sind gefallen!

Benutzeravatar
Meister
Beiträge:916
Registriert:22 Dez 2006, 22:48

Beitrag von Meister » 11 Sep 2010, 13:25

Kithei

Die freie Frau hatte gerade ihr Gebet für ihre Schwestern Sverka und Oshinya beendet, als Grimo sie mit der Nase anstubste. Der alte Bär hatte dauernd Hunger. Sie warf ihm etwas Fleisch vor, das er genüsslich verzehrte.
"Ich bin froh, dass du bei uns bist", flüsterte sie.
Dann schaute sie über das neue Lager. Die Zelte waren aufgeschlagen worden, ein Loch für das Feuer gegraben und die Palisade aufgebaut. Wachen sicherten alle Eingänge.
"Kithei?", fragte ein Junge.
"Ja, was ist?"
"Wir haben einen Mann gefangen."
"Hat er seinen Namen genannt?"
"Nein. Aber er sieht aus wie ein Ritter aus Bretonia", antwortete der Junge.
"Sprich du mit ihm", sagte Kithei zum Bären, der sich in einen kräftigen Krieger verwandelte. Ja, sie liebte ihre Söhne alle.

Wilion

Wilion von Melther hatte das Tal hinter sich gelassen. Nördlich sah er schon das leuchtende Wäldchen, worüber sich das Lager Sigandis und Bassis erhob, doch waren beide nach Midgard gegangen, wie er vor einigen Wochen von seinen Spähern erfahren hatte. Vor ihm erhob sich die Steppe, die seinen Weg bis zum Tilholdaußenposten geleiten würde.
Dann hielt er inne. Zwei Reiter schienen ihn bemerkt zu haben und verlangsamten ihr Tempo. Eilig nahm Wilion den Bogen von seiner Schulter. "Wenn ihr einen einsamen Wanderer um sein Gold erleichtern wollt, Fremde, dann zögert nicht lang. Ich habe keine Zeit für diesen Blödsinn", sprach er entschlossen.
Die zwei Nordmannen schauten sich kurz an, doch während der größere von beiden schwieg, antwortete der andere. "Dein Gold interessiert mich nicht, Waldläufer. Wir wissen, wer du bist, und der Schwarze Stab hat eine Nachricht für dich."
Der Schwarze Stab also. Lero und auch Sir Leyris hatten ihn gewarnt, dass die Söldner nicht nur auf der Suche nach der Hebamme waren, sondern ebenso ihn und seine Mannen aufspüren sollten. König Petyr fürchtete sich, stellte Wilion zufrieden fest. "Was könnte das wohl sein, wenn nicht eine Nachricht aus kaltem Stahl zwischen meinen Rippen?", fragte er und ließ den Bogen fallen, als seine Hand zum Langschwert griff.
"Lass deinen Zahnstocher, wo er ist, Melther", grunzte nun der größere.
"Ich sterbe nicht kampflos", gab er dagegen.
Beide lachten leise. "Dann spar dir deine Kraft, Lord. Sir Starys hat eine Neuigkeit für dich", sagte der kleinere.
"Und was sollte das wohl sein?"
"Der Bretonenkönig wünscht deine Dienste. Er ist nicht begeistert davon, dass seine Vasallen sich wie Wölfe im Dickicht rumtreiben."
Sie wussten also nicht, wo Lero die Waldläufer versteckte. Gut. "Seine Majestät lässt wohl vielen seiner Vasallen keine andere Wahl, nicht wahr? Will er mich einladen, dass ich nach der Henkersmahlzeit verrecken darf in Würde?"
"Wenn er dich tot sehen wollte, Melther, dann hättest du den Stahl schon gespürt."
"Vorzüglich. Also, was will der König von mir?"
Nach der Antwort und der schnell folgenden Antwort Wilions zogen die Söldner des Schwarzen Stabes weiter. Wilion hob den Bogen auf, fluchte einige Male und stapfte über das Feld, bis er die Station bereits sehen konnte.

Luwin

Die Tage in Tilhold empfand Luwin von Helmart als heilsam. Es war ihm klar, spätestens nachdem er hörte, dass Burg Waldwacht unter neuer Herrschaft stand, dass die Zeiten vorbei waren, in denen er das Spiel der Spiele hatte spielen können. Nun ging es nur noch darum, zu überleben und das Wissen denen zu geben, die das Wohl des Reiches im Sinne hatten. Nun, der Norden war ebenfalls daran interessiert, zu überleben. Aber ob die Motive darüber hinaus auch die Sicherung des Bretonischen Reiches umfassten, das war ihm weniger klar. Er konnte nur abwarten.
"Ihr seid ein Mann, der viel verloren hat", sagte der alte Arne.
"Und Ihr seid ein weiser Nordmann", antwortete er dem Alten sarkastisch. Die Erkenntnis war nun wahrlich nicht neu.
"Ihr versteht nicht, oder?"
"Was meint Ihr? Ich habe Waldwacht verloren, ich habe mein Weib und mein Kind verloren. Für einen Thron, in dessen Nähe das Haus Helmart ohnehin niemals gekommen wäre. Ich stellte mir stets vor, eines Tages als treuer Vasall dem neuen König zu dienen. Oder einer neuen Königin. Jedenfalls dem, der den Thron rechtmäßig beansprucht."
"Es ist nicht zu spät. Roan von Carmon hat sein Heer verloren, aber er kämpft weiter."
"Und an welcher Front? Mit welcher Armee?", fragte Luwin skeptisch.
"Nun, ich kann es Euch sagen. Aber Ihr müsst dafür etwas tun", flüsterte der Nordmann.
"Ich finde es auch so heraus. Auf Täuschungen habe ich keine Lust. Ich bin des Spielens müde geworden", gab er zu.
"Ich kann Euch versichern, zu Eurem Schaden wird beides nicht sein. Weder mein Wissen, noch das, was ich von Euch erwarte."
"Und was wäre Letzteres?"
Der Nordmann erklärte es ihm. Luwin fragte noch einmal nach, ob das alles wäre, und es wurde ihm erneut versichert. "Gut."
Nach vier Stunden kehrte er zurück. "Was auch immer Ihr von diesem Pack wollt, es sagt 'Ja'."
"Wunderbar. Nun hört mich an...", flüsterte Arne.
Luwin staunte nicht schlecht. Ein Gespräch mit der Paladina würde sich also lohnen. Dann keuchte er.
"Seid Ihr krank?"
"Möglich. Die Keller Trars sind kalt und feucht."

Ivar

Der Nordmärker stand im Hof seiner Festung. Wilderberg hatte sich gemacht. Von einem strohbedeckten und nach Pferdepisse stinkenden Bauernhaus Briolessens zu einer Burg aus Stahl und Feuer. Seine Soldaten parierten anständig, und die Neuigkeiten aus aller Welt stimmten Ivar von Tyrell zufrieden.
Das Bündnis mit Glan war durch die Ehe seiner Schwester mit dem König besiegelt worden, und Lord Dryr stellte sich als Bluthund heraus, der jeden Befehl befolgte, solange er ihm selbst ebenfalls diente. Die Anweisung König Petyrs, was den Norden betraf, schien dem Eisenwaller nichts auszumachen - obwohl er das erste Opfer der Blodhord werden könnte. Aber Eisenwall war stark und dank des Drachen hatte Dryr genug Selbstvertrauen angehäuft, auch gegen Ymir antreten zu können, sollte es dazu kommen.
Ein Kichern unterbrach Ivars Gedanken. "Was willst du, Narr? Solltest du nicht dafür Sorge tragen, dass das Pulver verteilt wird? Wie steht es damit?"
Der Rote Narr verneigte sich. "Mylord, damit steht es zum Besten. Alle gieren danach. Selbst die Blodhord hat eine Phiole erhalten, und die Zwerge besitzen sogar das Wissen um die richtige Anwendung."
"Wunderbar. Dann amüsiere dich irgendwo, ich habe jetzt keine Zeit für dich", murmelte Ivar.
"Nein."
Ivar fuhr ärgerlich herum. "Wie war das?", knurrte er.
"Der Erbe des Drakos, er ist verschwunden. Offenbar hat jemand Lord Dryr gezwungen, den Transportweg zu ändern. Das Drachenei hat niemals die Straße zu Eurer Festung genommen, Mylord."
"Hat Dryr sich dazu geäußert?"
"Er hat seine Mannen bestraft, doch ansonsten gibt er sich ebenso ratlos wie wir. Aber ich denke, ich kenne den Verantwortlichen."
"So?"
"Zuerst dachte ich an Esthelion. Aber dann hörte ich gar seltsame Gerüchte, Mylord."
Gerüchte waren spitze Messer, deren Gefahr man oft spät erkannte. "Raus damit!"
"Der Blutige Stumpf. Man sagt, Caenor habe mit ihm verhandelt."
Ivar lachte. "Der Stumpf ist eine Söldnergeschichte aus dreckigen Gassen und Hurenhäusern. Wohin hat sich dein Schwanz getrieben, dass du so einen Quatsch glauben kannst?"
"Habt Ihr jemals von den Eunuchen gehört, die man in den alten Tagen zu Kriegern heran gezüchtet hat?", fragte der Narr.

Marryn

Sir Marryn betrat die Kanzlei. Er salutierte dem Hohen Kanzler des Reiches, Baelon von Glan, und bestätigte, dass er den Anweisungen Folge geleistet hatte, die Hauptmann Clinius ihm im Namen des Königs übermittelt hatte.
Die Augen des Kanzlers schienen müde zu sein. Nun, er war ein viel beschäftigter Mann. Wie viele der anderen Ritter wollte auch Marryn lieber Baelon auf dem Thron sehen als Petyr. Aber in die Angelegenheiten der Familie mischte man sich besser nicht ein.
Sir Allyen hatte zwar bei der letzten Sitzung angemerkt, Baelon wäre ein besserer Heermeister als Kanzler, doch auch hier sprach einzig allein der König das letzte Wort. Nun, Sir Allyen war ein alter Fuchs, und es störte ihn nicht, wenn seine manchmal deutlichen Worte bis an den Hof und ins Ohr König Petyrs gelangten. Seine Meinung hatte Gewicht, sogar beim König. So konnte Allyen erleichtert sein, dass man ihm lediglich das Kommando über den Schwarzen Stab entzogen hatte und an Sir Starys übergeben hatte. Aber Marryn wollte nicht wie Sir Belforr oder Sir Masrari enden, weshalb er wusste, wann er sein Maul zu halten hatte und wann man eine Äußerung als Produkt einer langen Nacht zwischen den Beinen der dicken Berta betrachten konnte.
"Gut. Dann darf ich Euch nunmehr mitteilen, dass Seine Majestät zufrieden mit Eurer Arbeit ist", sagte der Kanzler leise.
"Gibt es noch mehr zu tun, Mylord Kanzler?"
"Ja. Erholt Euch einige Stunden, dann reitet mit einem Trupp auf den Wilderberg."
"Tyrell?", fragte er verwundert.
"Nein, mein wundgesessener Hintern", raunte der Kanzler, "natürlich Tyrell!"
"Mylord, was ist meine Aufgabe?", fragte Marryn und schluckte jede dumme Antwort runter. Baelon war ein guter Mann, der eine schlechte Politik auszuführen hatte. Ja, gebt ihm ein Schwert, dachte Marryn.
"Lord Tyrell vermisst den regelmäßigen Rapport seiner Männer aus der Feuermine des Wilderlandes. Ihr sollt den Spähtrupp anführen."
"Jawohl, Mylord."
Der Kanzler entließ ihn. Ein Ritt ins Wilderland also. Tyrell war sich wohl zu schade, eigene Reiter zu schicken. Durch diese Hochzeit hatte der rote Lord mehr Macht bekommen als es der Sicherheit und Ordnung zuträglich war. Aber Marryn schwieg auch dazu - Befehl war am Ende eben immer ein Befehl. Mürrisch lief er die Straße entlang, bis er das Bordell der dicken Berta sah.
"Ich habe ein oder zwei Stunden, gebt mir also eine, die es schnell und dennoch richtig macht", knurrte er.

Martus

Martus von Brioless lag in einem der zahllosen Haine des keltischen Teils des Tiefenwaldes. Er betrachtete die Feendrachen, die mit ihren Schwestern, den Feen, um die Wette flogen. Riesige Baumgeister stapften in noch größeren Schritten über die von stämmigen Eichen umsäumte Lichtung. Hier war ein guter Ort, und ein Teil wünschte sich, niemals mehr in den Norden gehen zu müssen, um seine Waldläufer zu sammeln, die sich mit denen Melthers vereint hatten. Doch er musste es schaffen. Sein Ziel war Tyrell, eines Tages. Der Krieg musste beendet werden und der Thron für den rechtmäßigen Erben gesichert werden.
Aber wer war es nun? War es Theresia? Oder Joneth, dessen Verbleib nur Skogung bekannt war, der aber in Petyrs Haft saß? Oder gar Velthan? Er hatte den Leuten alles gesagt. Wie das missgestaltete Kind, der Buder Lerhons, geboren worden war, wie das Weihwasser gefror und brannte, wie er den Jungen an die Familie Kelar übergeben hatte, deren Spur durch den letzten Krieg verwischt worden war; wie Eis und Feuer eins waren; von dem Tempel im Moor und dem undurchsichtigen Geheimnis des Caldorvan von Torbrin, das nun Trars Geheimnis sein musste.
Und doch fühlte ein Teil von ihm, dass dies nicht alles gewesen war. Was verschwieg er?
Was hielt er vor sich selbst verborgen?
Er spürte, dass seine Fingerspitzen ganz kalt waren und wie Feuer und Eis um ihn kämpften.
"Alles in Ordnung?", fragte Theresia.
"Ja, mein Kind, alles ist gut."
"Nein. Alles WIRD gut", gab sie zu bedenken und lächelte, als sie ihm etwas Brot und Wein brachte.
Ja, das ist meine Königin, dachte er.

Lucius

"Hast du den Feuergeist gerufen, Hexe?", fragte Lucius von Trar forsch. Er erinnerte sich an die frühen Tage, als man in Edai von der Wetterhexe sprach, die ganze Ernten vernichtete und Schrecken der südlichen Schwarzberge wurde. Damals war er ein junger Ritter gewesen, Sir Lucius, der ohne Lehen und Sitz durch die Lande gezogen war, um gegen das Böse zu kämpfen. Alte Ideale waren wie alte Stiefel. Sie saßen immer noch bequemer als das neumodische Zeug, aber waren voller Risse und Löcher. Es war während des Krieges gegen die Dunklen Alten gewesen, dass Lucius die ersten Löcher bemerkt hatte:
Für das einfache Volk war die Wetterhexe einfach verstummt und das Land gerettet.
Den Ruhm hatte das Haus Erwyndyll eingestrichen, das nun Sitz Dryrs war, während er im Schatten der größeren Ritter für sich behielt, wie er der Hexe begegnet war, um sie endlich niederzustrecken. Doch als das alte Weib damit begonnen hatte, zu jammern, empfand er Mitleid. Er konnte sie nicht erschlagen.
"Du bist eine Hexe. Du musst sterben. Die Bauern verhungen, und alles wegen dir."
"Ich kann es tun", hatte sein Knappe Starys gesagt.
"Bitte, nein, bitte. Ich kann es erklären."
"Aber schnell", hatte Lucius gefordert.
Dass ein uralter Geist, der Nebelmann, sie in Besitz genommen hatte, glaubte er der armen Frau. Dann sprach sie von ihrem Ziehsohn Velthan, den sie so schrecklich vermisste, denn der Krieg hatte beide getrennt.
"Was sollte uns dein jämmerlicher Sohn scheren?"
Die Hexe zeigte ihm ein Pergament, von Sir Martus und König Darius dem Ersten unterzeichnet. Von dem Moment an war alles anders geworden:
Starys, sein Knappe, verließ ihn und suchte einen entschlosseneren Herrn, nachdem Lucius ihm klar gemacht hatte, dass er ihm den Inhalt des Pergamentes niemals sagen könnte; Lord Eldorian freute sich über bessere Ernten; Lucius und die Hexe verließen das Land. Und sie zeigte ihm Zeichen und Wunder. Nachdem Torbrin gefallen war und Sir Theophil nach Blyrtindur gegangen war, hatte Lucius keine Schwierigkeiten, das verwaiste Witrin im Moor zu erobern. Denn die Hexe hatte ihm ein blutiges Geschenk gemacht, die Wölfe.
Sein Teil des Handels war es lediglich, Velthan zu finden. Den wahren und einzigen Erben. Was sich nun als schwierig herausstellte.
Erst ihre Antwort ließ ihn in die Gegenwart zurückkehren:
"Ja, ich rief den Geist, Mylord, doch nur die Frau von der Wache konnte mit ihm sprechen. Sie haben mich verjagt", flüsterte sie.
"Dann beten wir, dass sie das verdammte Drachenei vernichtet haben. Sonst ist Beten auch das Letzte, was wir noch tun können."
Sie nickte. "Ich bin sehr müde. Der Nebelmann fordert viel."
"Wann ist es soweit? Wann stirbt Luwin endlich?", fragte Lucius. Nachdem sie geantwortet hatte, ging er in den Keller, wo er die Werwölfe züchtete. In einer der hinteren Kammern öffnete er den geheimen Schrank.
"Torbrin", flüsterte er, "was ist es, was du uns sagen wolltest?"

Petyr

Das Abendessen war ein voller Erfolg gewesen. Zwar war Petyr von Glan nicht gerade begeistert davon, dass Sir Starys vor den Augen und Ohren der Paladina den Transport des Dracheneis angedeutet hatte, aber was machte es am Ende schon? Wenn das Ei erst in der Flammenhalle der Tyrells geöffnet würde, wäre Drakos Erbe der größte Trumpf in diesem Krieg. Wer würde es wagen, Glan, Tyrell oder Dryr zu trotzen, wenn der schwarze Drache die Rache wäre?
Baelon hatte keine andere Wahl gehabt, als sich zu entschuldigen für sein Versehen, seinen König nicht über die Verlegung des Völsungar informiert zu haben. Nun, er wollte seinem jüngeren Bruder verzeihen. Immerhin hatte er ihm damals das Weib erobert, das nun die prächtige Königin war. Außerdem, dessen war Petyr sich bewusst, war Baelon das einzig brauchbare Werkzeug, um mit den stolzen Rittern um Sir Allyen und Sir Marryn umzugehen. Nachdem Baelon die Sirs Masrari und Belforr in den Strafdienst geschickt hatte, gab kein anderer mehr Widerworte. Nun, immerhin bezahlten die Glans ja auch genug für ihre verdammte Loyalität.
Einzig Sir Starys schien von der Sache überzeugt, ohne dabei das Klimpern des Goldes zu hören. Darum hatte er auch ihm den Befehl über den Schwarzen Stab erteilt, der diese verfluchte Hebamme und den Hausdiener finden sollte. Aber dort gab es noch keine Erfolge. Vielleicht lief es besser mit Lord Melther. Desweiteren hoffte Petyr, jemand anders hätte bei der Befragung Skogungs mehr Erfolg.
"Was gibt es Neues aus dem Norden?", fragte er seinen Herold.
"Mylord König, Hetfrau Branda hat jedes Bündnis mit Bretonia ausgeschlagen."
"Tatsächlich? Das ist bedauerlich. Teilt Lord Dryr meine Wünsche mit. Und reist gleich weiter nach Wilderberg und sagt Lord Tyrell, ich schicke Sir Marryn ins Wilderland, um nach der Mine sehen zu lassen."
"Jawohl, Majestät. Doch ich habe Euch ebenfalls mitzuteilen, dass der Transport verlegt worden ist. Ich spreche vom Drachenei."
Petyr glaubte nicht, was er da hörte. "Tyrell wird außer sich sein. Was denkt Lord Dryr sich?"
"Es lag nicht in seinem Verschulden. Sir Starys ist der Ansicht, dass jemand ihn bestohlen hat."
"Wie stiehlt man ein Ei in der Größe eines Heuwagens, sagt mir das!", zischte Petyr. Wer konnte so etwas tun? Es war der Wille des Königs, das Ei von Tyrell und nicht von Dryr behüten zu lassen!
"Die Gerüchte gehen bis ins Moor, Majestät. Lord Trar könnte damit zu tun haben."
"Ist es das, was Sir Starys denkt? Vielleicht ist es an der Zeit, dass er seine Knappschaft unter Sir Lucius allmählich vergisst? Lord Trar ist ein alter schwacher Mann."
"Es gibt noch eine Theorie, Herr."
"Sprich!", raunte Petyr.
"Caenor."
Jetzt platzte ihm der Kragen. Jargu von Caenor war ein Wichtigtuer, das war er schon immer gewesen, seit sie gemeinsam die Lehren der Götter in der Abtei studiert hatten. Während Petyr folgsam war und lernte, war es Jargu, der alle Mädchen betörte und dennoch die besseren Noten seinem Vater unter die Nase halten konnte. Dafür hasste Petyr die ganze Abtei noch heute. Wie die Mönche ihn den 'Kopflosen' nannten, weil er trotz all der Lernei die wichtigen Dinge nicht behalten konnte.
"Nun, dann schickt ihm Truppen. Ich will Hohenfels zum Abend hin nicht mehr sehen!"
"Unmöglich. Sir Starys und auch Lord Baelon raten davon entschieden ab. Es haben sich die Eunuchen dort eingefunden."
Petyrs Hand zitterte. Auch das noch. Was dachte sich Jargu nur dabei? Natürlich, er will selbst den Thron, dachte er. Aber er könnte ihn unmöglich angreifen, ohne den Zorn der Zwillinge auf sich zu laden.
"Raus mit dir! Raus! Ich will niemanden mehr sehen!", rief er und Tränen der Wut kamen ihm.
"Eure hohe Gemahlin, Majestät, sie wartet auf Euch", sprach der Herold vorsichtig.
"Sie kann warten. Schickt mir meine hässliche Schwester."
Als Irinia kam, entblätterte sie sich, um ihren Bruder wie früher zu trösten.
"Alles wird gut, Bruderherz", flüsterte sie, "alles wird gut", und sie ließ ihn an ihren Zitzen saugen.

Bathir

Sein Zorn war grenzenlos. Der Page, der ihm die Neuigkeit über den Drachen gebracht hatte, war bereits im Schlamm ertrunken, nachdem Bathir von Dryr seinen Stiefel in das Genick des Jungen gepresst hatte. Eine Magd schrie entsetzlich, als er sich ihr näherte und ihr die Kleider vom Leib riss. Nach zehn Peitschenhieben fiel das Mädchen ein letztes Mal zu Boden, aber Bathir fühlte, dass er nicht aufhören konnte. Heute würden noch mehr Diener sterben. All die Unfähigen, die ihn umgaben. Das Ei verloren, der Drache geschlüpft und in den Händen Unbekannter. Niemand wollte wissen, wer den Erben des Schwarzen nun hatte.
"Wenn ich bis morgen keine Antwort habe, wird es Blut von den Zinnen regnen!", drohte er seinen Mannen, die er ausschickte, um jede geringste Spur zu verfolgen.
Das große Tor öffnete sich, und ein königlicher Bote, der ein Schreiben von Kanzler Baelon bei sich trug, trat ein.
"Ich hoffe, es ist immens wichtig!", knurrte Bathir.
Der Bote gab ihm das Pergament mit zittrigen Händen und wartete. Bathir überflog die Zeilen, und in der anderen Hand atmete die Dornenpeitsche aus.
"So? Und das soll wann passieren? Ich habe einen Drachen zu jagen, falls es irgendwem entgangen sein sollte!"
"Mylord Dryr, der König wünscht eine umgehende Umsetzung seiner Wünsche", gab der Bote vorsichtig zu verstehen.
"Wie schön. Dann sagt ihm und seinem Kanzler, Dryr wird sich fügen", knurrte er ärgerlich.
"Jawohl, Mylord."
Er rief seine Mannen zurück, die schon aufgebrochen waren, um den Drachen zu finden. "Neue Befehle. Ihr zieht sofort zum Fluss", brüllte er, "aber du, Leutnant, her mit dir!"
"Ja, Mylord?"
"Schaff mir Esthelion her! Er hat EINIGES zu erklären."

Mercutio

Der schwarze Lord, wie man ihn auswärts nannte, betrachtete seine neue Errungenschaft mit Stolz und Freude. Sie hatten ihn, trotz seiner riesigen Armee, alle unterschätzt. Es wäre so leicht gewesen, erst die Hun zu vernichten, um dann in den Wald oder in die Kernlande zu marschieren. Aber warum sollte Mercutio von Giltheas das tun? Wer würde ihn gern auf dem Thron sehen? Im Gegensatz zu Petyr glaubte er daran, dass der Schlüssel zum Regieren im Volk lag.
Die Suche nach der wahren Erbin war abgeschlossen. Sie war sicher bei den Kelten. Was diesen Joneth betraf, so verlor er langsam das Interesse, nachdem gestern eine ganz neue Information seine kahlen Ohren erreicht hatte. Sein Quentar hatte alles berichtet, und Mercutio war zufrieden.
Noch zufriedener stimmte ihn der Anblick des Drachen. Dieses Kleinod von unglaublicher Gewalt musste dringend an einen sicheren Ort gebracht werden. Er wusste, wo das wäre und gab dem Chentryrr den Befehl, die schwarze Kette zu heben, um den neuen Drachenhort zu öffnen. Mazzrarim erhoben ihre kräftigen Arme und zogen, bis das Bollwerk der Dunkelheit zu sehen war. Dann gab der Quentar wieder einen Befehl in der Sprache der Grauen, sodass der Drache folgsam wie ein Hund in sein Gefängnis kletterte, das bis oben hin mit Fleisch gefüllt worden war.
"Und nun, Mylord? Greift Ihr endlich an? Ihr habt alles, was Ihr benötigt", sagte ein Drakoskrieger.
"Die kluge Spinne baut ihr Netz und wartet selbst nicht darin", murmelte Mercutio. Dann lief er über das Wasser zur Insel. Er musterte den Priester, der ihm stets treu diente, wie er schlief.
"Erhole dich, Velthan, du hast noch viel zu tun."

Baelon

Die Unterredung mit Petyr war überraschend gut verlaufen. Entweder war sein Bruder naiver als Baelon erwartet hatte, oder Irinia steckte dahinter. In dem Augenblick, da Baelon geglaubt hatte, seine Zeit im Kerker wäre gekommen, weil der Verdacht im Raum stand, er wäre auf der Seite der Feinde des Reiches, war sie eingetreten und hatte einen Gegenvorschlag gemacht, der Petyr überzeugt hatte. So war es nur eine lange Nacht in den Gemächern geworden und kein unfreiwilliges Siechen im Grauloch.
"Mylord, es gibt keine Meldungen mehr aus dem Wilderland", merkte Sir Allyen an.
"So? Vielleicht hat Lord Tyrell ja vergessen, wem er dient und wer der König seiner Königin ist?", fragte Baelon.
"Eine Meinung steht mir nicht zu, Lord Kanzler."
"Sprecht frei heraus, ich bitte darum."
"Mylord, Seine Majestät ist sicher, dass Lord Tyrell ihm treu wie ein Hund ist. Aber Tyrell ist nicht Dryr. Man kann sie überhaupt nicht vergleichen. Ich mahne darum, dass Eure Lordschaft ein waches Auge auf den Wilderberg halten sollte. Es trifft sich also umso besser, dass Lord Tyrell selbst um königliche Soldaten bittet, die Angelegenheiten der Feuermine zu klären."
"Lord Tyrell bittet um Hilfe, weil er genau weiß, dass man sie ihm niemals verwehren wird. Mag auch der König mehr Soldaten zählen, so hat Tyrell doch die stärkeren Mittel. Da sind wir uns einig, nicht wahr, Sir Allyen?"
"Ja, Mylord, zweifellos. Ich bitte darum, den Trupp anführen zu dürfen."
Baelon überlegte. Sir Allyen war sein bester Mann. Er wollte ihn ungern an die Viecher im Wilderland oder gar an Tyrells Soldaten verlieren. Nicht nur weil Sir Allyen ein großartiger Krieger war, sondern weil sein Einfluss in der Ritterschaft groß war. Groß genug, auch Einfluss auf die Armee zu nehmen, sollte Petyr eines Tages einen Angriff gegen seine Feinde befehlen.
"Nein, Sir Allyen. Für Euch habe ich eine wichtigere Aufgabe vorgesehen. Sir Marryn schicke ich ins Wilderland. Ihr hingegen reitet nach Thyms Rast. Dort werdet Ihr auf einen oder mehrere Gesandte warten."
"Noch mehr Verbündete?", fragte Sir Allyen neugierig und sichtlich verwundert.
"Vielleicht. Ich darf Euch nicht mehr sagen. Behandelt es mit Diskretion, und auch Seine Majestät sollte nicht damit belastet werden, wenn Ihr versteht", sagte Baelon und hoffte, Allyen würde es genau so verstehen, wie er es gesagt und gemeint hatte.
"Ja, Mylord", antwortete Sir Allyen und brach umgehend auf.
Baelon atmete aus. Er saß im Spinnennetz und die Spinne war eine Frau namens Irinia. Sie hatte überall ihre Spione, angefangen bei Sir Starys und endend bei irgendeinem Stallburschen, durfte er vermuten. Sir Allyen war der einzige Freund, den er hier hatte.
Wenn man an Spinnen denkt, murmelte er, als sich die Türe öffnete und Irinia eintrat.
"Ja?"
Irinia verneigte sich. "Kanzler."
"Spar dir das, Schwester, was willst du? Und zieh dich richtig an. Es muss nicht jeder wissen, was du mit meinem Bruder treibst, und niemand soll denken, ich wäre ebenso schweinisch veranlagt."
Sie schloss ihr Kleid. "Baelon, Baelon. Du warst schon immer der klügere Junge von euch beiden. Fast hätte Petyr dich übertrumpft, aber nur fast. Er hat nichts gemerkt, nicht wahr?"
"Ich weiß nicht, was du meinst, Irinia", log er.
"Ist auch nicht so wichtig. Nun, der Völsungar ist wahrlich ein interessanter Mann. Aber er lügt mich an, genau wie du es tust. Vielleicht gehört er doch ins Grauloch?"
"Tu das, und wir sind verloren. Es sind Völsungar auf dem Kontinent. Hier im Reich", warnte er sie.
"Ach, Unsinn. Und wenn schon? Wie sollten sie denn durch die Mauern kommen?"
"Bären sind schlau", murmelte Baelon und hoffte, Sir Allyen hätte Erfolg.

Jargu

Dass der Blutige Stumpf ihn bereits länger beobachtet hatte, war ihm immer klar gewesen; dass ausgerechnet die Hunmädchen seines Vaters Spione des Stumpfes waren, die dessen Eunuchen ausbildeten, das war ihm neu gewesen.
Einerseits war es beunruhigend, andererseits auch hoch interessant. Denn er konnte nun davon ausgehen, dass sein werter Vater keine Geheimnisse haben konnte, da die Hunmädchen nie von seiner Seite gewichen waren und sehr wohl die bretonische Sprache beherrschten. Da sie mit ihm auch das Bett geteilt hatten, wenn Mutter krank oder unabkömmlich war, mussten sie alles wissen. Umso besser also. Keine Geheimnisse.
Ja, er hatte durchaus die Absicht, Theresia auf den Thron zu verhelfen und dabei eine Rolle zu spielen, so wie er es diesem Julthos und der frechen Nordfrau mitgeteilt hatte. Und Theresia würde ihn belohnen mit ihrer Treue als Eheweib. War das nicht immer schon der Wunsch seines Vaters gewesen? Der Wunsch für einen treuen Sohn? Jargu musste fürchterlich lachen.
Es blieb ihm aber im Halse stecken, als eine der Hun in den Saal trat. "Mylord, es gibt schlechte Neuigkeiten. Der Drache ist entfesselt. Aber nicht durch uns. Das Ei öffnete sich viel zu früh. Jemand hat mitgemischt."
"Verdammt! Wer?"
"Unklar. Wir begegneten der goldenen Paladina."
"War sie es?", fragte er verwundert.
"Nein, aber ich habe die Eunuchen getestet, wie ich es angekündigt habe. Sie sind alle gestorben, wie ich es gewollt habe. Und sie haben kaum etwas von ihren Möglichkeiten genutzt, wie ich es veranlasst habe. Der Blutige Stumpf ist bereit. Sie sterben, wenn wir es wollen."
"Wenigstens das kannst du, wenn auch kein Drachenei beschützen", zischte er.
Sie lächelte fein. "Ich habe Euch gesagt, dass diese Macht von keinem gebändigt werden kann."
"Dennoch muss das Viech gefunden werden. Das wirst DU übernehmen!", raunte Jargu.
"Ja. Doch zuvor etwas anderes", flüsterte sie, erhob sich und zog ihren Dolch.
"Was wird das?"
Die Hun antwortete nicht, lief zum Krankenbett, und die kalte Klinge öffnete die Kehle von Jargus Mutter, die sorgenvoll über ihren Ehemann gewacht hatte.
"Was wagst du es!", rief Jargu und schluchzte. "Mutter!"
"Weint nicht, Lord Caenor, Flusskönig Caenor. Der Stumpf hat Eure Gebete erhört", sagte die Hun und stach mit dem Dolch in die nackte Brust seines Vaters. Melwin riss die Augen weit auf, dann schloss er sie für immer.
"Das Gift des Narren wirkt zu langsam", sprach sie dann knapp, wischte das Blut an ihrem Kleid ab und verließ unbehelligt die Burg.
Zwei Augenblicke waren nun für Jargu gekommen:
Zuerst war er nun Lord Caenor von Hohenfels und Flusskönig. Der Tod seines Vaters, von Jargu erst niemals gewollt und dann selig umarmt, schmeckte plötzlich weniger süß, denn der zweite Augenblick bedeutete, dass der Blutige Stumpf, die Hun und ihre Eunuchen das Kommando übernahmen.
"Nun, vorerst", murmelte er und kniete vor seinen toten Eltern. Jetzt war er wieder der Knabe geworden, der in der Kirchenschule neben dem heutigen König gesessen hatte und sich schämte, weil er heimlich abgeschrieben hatte.
"Bestattet beide und verliert kein Wort, Styros", gab er dem Heermeister zu verstehen.
"Ja, Mylord. Was wird nun geschehen?"
"Überleben. Das steht auf dem Programm."
Alea iacta est.

Die Würfel sind gefallen!

Benutzeravatar
Meister
Beiträge:916
Registriert:22 Dez 2006, 22:48

Beitrag von Meister » 14 Sep 2010, 16:08

Caldorvan

Die Nacht war sein Freund. Sternenlos. Mondlos. Licht war ein Feind. Schritte. Bäume. Ein Feuer. Männer. Pfeile. Ein Stern an seiner Seite. Ein Herz. Blut. Nahrung.

Bathir

Lord Dryr fluchte laut, nachdem Esthelion den Saal verlassen hatte. Er wollte vor Silberhaar auf keinen Fall seine größte Schwäche, die Wut, zeigen. Als er es zuletzt getan hatte, hatte es der Berater tatsächlich gewagt, ihn zu verspotten. Und weil Bathir diesen Bastard und seine Ideen brauchte, hatte er ihn nicht bestraft. Leider sollte es dem Pagen anders ergehen. Bathir wählte die Peitsche aus, riss dem Knaben die Kleider vom Leib und presste seinen Zorn in jeden einzelnen Schlag.
"Caenor stiehlt den Drachen!" Erster Schlag.
"Giltheas stiehlt den Drachen!" Zweiter Schlag.
"Die Hebamme immer noch im Norden! "Dritter Schlag.
"Dryr ist ein Hund des Königs geblieben!" Vierter Schlag.
"Tyrell spottet meiner!" Fünfter Schlag.
"Der König hält mich für seinen Sklaven!" Sechster Schlag.
Es folgten viele Flüche, bis die Haut des Pagen nur noch in dünnen Fetzen, wie ein Kleid, um die Hüften hing. Bathir schlug noch auf ihn ein, als er am Boden lag und tot war, dann rief er einen der Soldaten.
"Bereitet alles für ein Verhör vor. Und gleich auch den Galgen, falls der Fuchs nicht reden will!"

Baelon

"Willkommen, meine Königin. Einen Krug Wein vielleicht?", fragte Baelon von Glan, nachdem Sir Allyen die Kanzlei verlassen hatte und Thaira eingetreten war. Er wollte höflich sein, obschon die letzten Tage viele Gründe gaben, darauf zu verzichten. Die schlechten Nachrichten nahmen kein Ende, und der Versuch, die Armee auf Sir Allyens und Sir Belforrs Seite zu ziehen, war misslungen. Eine solche Niedertracht, das Kind zu benutzen, hatte Baelon selbst seinem Bruder nicht zugetraut. Nun, schon früher, noch vor Mutters Tod, war Petyr ein listiger Zweikämpfer gewesen, der sich weniger auf Geschick und Kraft, sondern eher auf unfaire Mittel verlassen hatte. Es schien ihm, als würde Petyr diese Taktik erneut verwenden, um im Kampf um den Thron auf selbigem zu bleiben. Alysare etwas anzutun, würde es zu Unruhen innerhalb des Palastes kommen, nun, nach reiflicher Überlegung kam Baelon zu dem Schluss, dass es doch ganz Petyrs Art war. Er war immer so gewesen, immer.
"Sehr freundlich, Lord Kanzler", sagte die Königin.
"Warum so förmlich? Wir sind doch nun eine Familie."
"Baelon", sagte sie dann weniger kühl.
"Was ist der Grund des edlen Besuches?", fragte er. Er konnte sich gut an das Turnier erinnern. Es war überhaupt keine Mühe gewesen, Jargu zu Boden zu bringen, angesichts der zu erwartenden Belohnung. Thaira von Tyrell war eine Augenweide. Jung, tapfer und klug. Ihr Bruder war von der herrischen Sorte, aber sie schien ihm edel im Herzen zu sein. Dass Petyr sie nun geheiratet hatte, waren politische Ursachen gewesen. Er war Kanzler genug, das zu begreifen. Aber er war auch Mann genug, Petyr dafür zu verabscheuen. Er liebte Thaira, aber das war vorbei. Es gab keinen Weg mehr. Ob sie wusste, wie es um ihn stand?
Thaira lächelte. "Man hat mich geschickt, mit Euch die Vorbereitungen für den Geburtstag zu besprechen. Prinzessin Alysare ist schon ganz aufgeregt."
Das arme Kind. Den Dolch im Rücken, den ihres Onkels, und es freute sich auf eine Feierlichkeit. "Nun, bei allem Respekt. Aber wäre das nicht etwas für die Mutter der Kleinen?"
"Natürlich. Aber Lady Irinia ist ganz um das Wohl des Reiches bemüht", antwortete Thaira mit einem weniger freudigen Ausdruck im Gesicht als zuvor.
Ja, das Wohl des königlichen Schwanzes, dachte Baelon und wollte die folgenden Worte lieber spucken als aussprechen. Aber es war Thaira, mit der er sprach. "Lady Irinia geht eben ganz in ihrer Rolle auf. Die auch eine der Königin wäre, nicht wahr?"
"Durchaus, Lord Baelon. Aber ich füge mich", sprach sie nun leiser.
Er wagte es. Seine Hand berührte ihre. "Es tut mir so leid, meine Königin. Thaira."
"Baelon, es sind andere Tage für uns gekommen. Nun zählt der König, zählt das Reich. Auch ich denke an die glücklicheren Tage zurück."
Fast hätte er ihr gesagt, dass er sie liebte, fast. "Besprechen wir nun die Vorbereitungen, Majestät."

Mercutio

Lord Giltheas hatte sich vorgenommen, den Fütterungen von Zeit zu Zeit persönlich beizuwohnen. So ließ er sich in die Mitte des Loches bringen, sprach einen der alten Zauber aus den Grauen Tagen, schloss die Augen und spürte die angenehme Kälte. Je tiefer er ging, umso weniger fühlte er sie; stattdessen sah er schon das Licht der schwarzen Flammen. Einer seiner Priester war bei ihm.
"Es wird wärmer, Meister", sagte der Geistliche.
"Ja. Wir sind ganz nah. Schau, da ist er. Fürchte dich nicht, denn er ist ganz zahm. Solange ich es will. Das Loch ist tief genug."
In der Tat war es sehr tief. Mercutio war recht erleichtert gewesen, dass die Mazzrarim auch wunderbare Baumeister abgaben. Die Wände waren aus dunklem Obsidian, sodass sie dem Feuer des Drachen standhalten konnte. Mercutio lächelte. "Er beeindruckt dich, nicht wahr, Bruder?"
"Ja, Mylord Giltheas."
Sie beobachteten, wie die Drakoskrieger, nützliche Narren, Fleischbrocken durch die Schütte fallen ließen, die das Untier in der Luft noch röstete, um sie dann zu verspeisen. "Einmal in der Woche bekommt er Menschenfleisch", erklärte der schwarze Lord.
"So?", fragte der Geistliche vorsichtig.
"Nun, wir haben einen Gesandten des Königs hier."
Erleichtert nickte der Priester. "Das wird dem Drachen gefallen, Meister."
"Oh, sicher würde es das. Ich gedenke aber, seinen Kopf Petyr zu schicken und den Leib für Experimente zu behalten. Was denkst du, eine Kreuzung aus Menschen und Quentar? Wäre das eine gute Erweiterung der Armee?"
Der Geistliche konnte nicht mehr antworten, da Mercutio ihn durch die Schütte werfen ließ. Der Drache verspeiste den Mann roh.

Jargu

Wahrscheinlich war der erste Weg Hlifas der zum Badezuber gewesen. Sie hatte im Auftrag ihrer Verbündeten gehandelt, das war Jargu von Caenor durchaus bewusst. Ein Bündnis mit Martus von Brioless lag ohnehin auf der Hand. Immerhin hatte Brioless stets ein gutes Verhältnis zu den Bürgern und Bauern des Reiches. Dabei durfte man wohl auch nicht vergessen, dass die Thronerbin Theresia ebenso ein gutes Verhältnis zu ihm hatte. Alles vorteilhaft. Jargu konnte sich durchaus vorstellen, dass eine Ehe mit Theresia das Reich bereichern würde, wie auch seine Ehre, sein Ansehen, seine Position und seinen Schwanz.
Der hatte vor der Nordfrau lange kein Land gesehen und war ähnlich zufrieden wie sein Träger. Dass die Nordfrau ihn tatsächlich getröstet hatte, dass ihre Titten und Lenden ihm für ein paar Stunden wie Balsam gewesen waren, wusste er zu schätzen. Denn die Dinge, die da kamen, waren alles andere als begeisternd.
Jargu machte seine Runde, grüßte den Wachen, bestieg sein Ross und ritt den Aufgang zur Feste runter, wo die Krieger des Blutigen Stumpfes aufmarschierten. Die Hun hatte ihm versichert, dass sie alle bedingungslos jeden Befehl ausführen würden. Das mochte wohl sein, aber er wollte sich selbst davon überzeugen.
Die Eunuchen waren alle in Lederroben gekleidet. "Wären Kettenhemden nicht sinnvoller?", hatte Jargu die Hun gefragt, als sie ihm gestern Tee servierte.
"Sie schränken die Bewegungsfreiheit ein. Außerdem sind sie einfach unnötig, Lord Caenor."
"Sie hätten den Drachen vielleicht davon abgehalten, die Hälfte zu rösten und die anderen zu vertreiben."
"Sie wurden nicht vertrieben", hatte sie geantwortet.
"Bitte was? Was war es dann? Ein taktischer Rückzug?"
"Ich habe entschieden, dass Ihr keinen Drachen benötigt, um mit der Hilfe des Blutigen Stumpfes siegreich zu sein, Lord Caenor. Und ich dulde keinen Widerspruch. Wir wissen, wie Ihr siegen werdet. Die Eunuchen sind alles, was Ihr benötigt."
Dann hatte er eine Frage gestellt, die mehr unter seinen Nägeln brannte als ihr Tonfall es tat: "Wer ist der Blutige Stumpf?"
"Ihr wollt ihn sehen, Mylord?"
"Ja."
Heute wollte er die Begegnung mit dem Stumpf schnell vergessen. Das war angesichts der Eunuchen kaum möglich, doch er musste sich nun davon überzeugen, dass sie die Streitmacht waren, die von der Hun so angepriesen wurde. So stieg er vom Pferd, drückte Heermeister Styros die Zügel in die Hand und musterte die Krieger. Ausdruckslose Gesichter schienen jeden Befehl zu erwarten.
Jargu blieb bei einem stehen. "Wie ist dein Name, Soldat?"
"Der Mann hat keinen Namen. Er trägt den Namen, den Mylord ihm zuträgt."
"Dann nennst du dich heute Fauler Apfel. Wie ist dein Name?"
"Der Name des Mannes ist Fauler Apfel", sagte der Eunuch.
Er ging zu einem anderen. "Du bist heute Schwarzer Panther. Wer bist du?"
"Der Name des Mannes ist Schwarzer Panther."
Lord Jargu nickte zufrieden. "Schwarzer Panther, stell dich auf ein Bein und zieh deine Klinge."
Schwarzer Panther tat sofort wie befohlen. Er balancierte mühelos, ohne auch nur einmal ins Wanken zu geraten.
"Nun leg dich auf den Boden, Schwarzer Panther", sagte Jargu amüsiert, und der Eunuch blieb folgsam - sogar als Jargu dem anderen einen Befehl erteilte: "Fauler Apfel, nimm deine Klinge und töte Schwarzer Panther, ganz wie es dir recht ist, aber mach es schnell!"
Fauler Apfel zog seine Klinge und schlug dem Liegenden den Kopf ab. Schwarzer Panther hatte sich nicht gerührt. Die anderen Eunuchen hatten das Geschehen nicht beachtet, sondern standen die ganze Zeit mit toten Blicken in ihren Reihen.
Jargu war zufrieden, aber ein Teil von ihm fürchtete die Macht in seinen Händen. Styros empfing einen Boten.
"Mylord, Lord Brioless hat sich in den Norden aufgemacht."
"Schicken wir ihm ein Empfangskomitee. Führt einige Eunuchen zu seiner Sicherheit an."

Lucius

Der Hirsch rannte verzweifelt um sein Leben. Erst bestieg er den Hügel, der über dem südlichen Weiher lag, dann erkannte er das Ende seiner Möglichkeiten, scharrte mit dem Geweih gegen die Weiden und stieß ein tiefes Brummen aus, das der Wolf mit einem lauteren Knurren beantwortete. Dann stellte sich die Beute auf, ließ seinen Kopf auf und ab fahren und wollte tatsächlich einen Angriff gegen seinen Jäger wagen. Der Wolf fletschte die Zähne, hob die Vorderläufe und sprang auf die Beute zu. Scharfe Zähne bissen ins saftige Fleisch, nahmen die Angst des Opfers auf, das kalte Blut, das sich erst im Schlund des Jägers wieder erwärmte zu einem sanften und gleichsam kochenden Traumwein. Ein weiterer Biss in die Kehle, dann fuhren die Krallen zornig über den Leib des Hirsches, der schließlich verspeist wurde.
Der Wolf heulte auf, betrachtete den Mond, dann seine Kleidung, die nur noch in Fetzen hing. Der Schmerz war groß. Er überragte die Befriedigung für einige Augenblicke, bis sein Glied steif wurde und er sich durch den Morast wühlte, um sich Kühlung zu verschaffen. Am Ende des Moorloches wartete die Hexe.
"Es ist gut, mein Lord, es ist gut", sagte sie ruhig.
Er jaulte, rang nach Luft und ging zu Boden.
Erst Stunden später erwachte Lucius von Trar in seinen kalten Gemächern, obschon das Kaminfeuer züngelte.
"Wie lange war ich unterwegs?", fragte er.
"Stunden", antwortete die Hexe, die wie immer wohl die ganze Zeit über seinen Schlaf gewacht hatte. Die Schmerzen ließen langsam nach, und er hatte endlich keinen Hunger mehr.
"Ich habe ihn immer noch nicht gefunden. Velthan bleibt verschollen", sagte er, "und ich habe ihn heute im Norden gesucht."
"Was habt Ihr noch gesehen, außer Nichts?", fragte sie traurig.
"Es ist wahr, der König hat eine Blockade über den Norden verhängen lassen. Und Melther treibt sich dort oben rum. Auf dem Rückweg sah ich im Tiefenwald, wie Brioless aufbrach, und ich habe Theresia gesehen. Aber was im Norden geschah, war grausamer."
"Was war es?"
Lucius richtete sich auf und keuchte, dabei spuckte er wie immer nach seinen Reisen Blut. "Der Blutige Stumpf ist über uns gekommen. Ich habe ihn gesehen. Die schwarze Rüstung, den Morgenstern. Ich habe alles gesehen."
"Das ist in der Tat eine schlechte Neuigkeit. Weiß man, was er will?"
"Nein. Und nun muss ich ruhen. Geht fort."
Lucius fragte sich, ob es wirklich weise gewesen war, den Leuten von Velthan und der Grünen Magie zu erzählen; von der Erweckung Caldorvans, den Geheimnissen und seinen Zielen. Velthan war der rechtmäßige König, und er würde ihm folgen.
Das schuldete er der alten Frau, die eigentlich keine Hexe war, sondern eine freie Frau, ganz wie Oshinya, Sverka und Kithei, die ihre Töchter waren. Ob der Erlenkönig ein Weg war, Caldorvan zu vernichten?

Allyen

König Petyr verließ die Kanzlei. Es hatte diverse Planungen gegeben, was die Unzufriedenheit der Bürger anging. Die Steuern waren viel zu hoch, und Kanzler Baelon hatte, trotz seiner schwierigen Lage, den König davon überzeugen können, die Steuern der Kernlande zu senken und auf das Niveau der anderen angeschlossenen Lehen zu bringen:
"Majestät, die Steuern der Kernlande SIND zu hoch. Man wird eine Begründung dafür erwarten", hatte Baelon gesagt.
König Petyr hatte nur gelächelt und gesagt: "Die Sicherung der Kernlande hat absoluten Vorrang, falls die Blodhord die Blockade durchbrechen sollte und Dryr sie nicht aufhalten kann - das muss bezahlt werden."
"Majestät, wenn ich etwas dazu sagen dürfte?", hatte Allyen gefragt.
"Nur zu! Ihr seid ein erfahrener Mann. Seid also weise, wenn Ihr sprecht, so wie es Euer Ruf verlangt."
"Letztlich ist jeder angewiesen auf die Erträge der Bauern, Mylord König. Vergütet ihnen diese mit einer Senkung der Steuern, wenn Ihr so gütig wäret."
König Petyrs Wangen hatten eine rote Farbe angenommen. "Die Erträge ernähren die Bürger der Stadt und füllen die Markthallen. Das Gold hingegen bezahlt Euch, und Ihr verlangt viel, Sir Allyen."
Bevor Allyen hatte antworten können, war die sanfte und doch entschlossene Stimme Baelons erklungen: "Majestät, sicher wird es möglich sein, Sir Allyens Besoldung und die der anderen Ritter entsprechend zu verringern, so Ihr ihnen im Gegenzug etwas mehr Entscheidungsfreiheiten in den den Kernlanden ferneren Gebieten ermöglicht. Desweiteren würde ein Angleichen des Steuersatzes der Kernlande auf beispielsweise den von Eisenwall die Bürger befrieden."
"Sind sie denn unzufrieden?"
"Majestät, als Reichsverwalter und Kanzler, der den Worten der Bürger Gehör schenkt, kann ich Euch sagen, dass sie nicht unzufrieden sind, aber nicht glücklich. Es wäre doch auch zu Eurem Segen, wenn das Volk glücklich ist, nicht wahr? In Kürze feiert Eure und meine Nichte ihren Geburtstag. Wäre es nicht angemessen, zu diesem Anlass auch den Bürgern ein Geschenk zu machen? Bedenkt die unangenehmen Neuigkeiten, was Burg Waldwacht angeht."
"Was hat das mit Glorianna zu tun?", hatte der König zornig gefragt.
"Nicht mit ihr", war des Kanzlers Antwort gewesen, "sondern mit Waldwacht. Wichtige Güter, wie sie nur der Wald liefern könnte, werden uns nicht mehr zugänglich sein. Die Bauern der Kernlande können sie nicht ersetzen. Und wenn nun die Steuern derart hoch sind, sehen sie sich einem Druck ausgesetzt, den sie nicht erfüllen KÖNNEN, Majestät. Bezahlt die Soldaten von mir aus der Kasse der Bretonianer."
"Aber sie schützen Leib und Leben des Königs!"
"Ja, genau wie die Armee. Genau wie die Bauern, die diesen gesegneten Leib ernähren. Es wird nicht Schaden der Krone sein, wenn ALLE zufrieden sind, Majestät."
Das hatte den König überzeugt. Sir Starys hatte die ganze Zeit geschwiegen und hatte nunmehr gemeinsam mit dem König die Kanzlei verlassen.
Baelon seufzte. "Er ist anstrengend, nicht wahr, Sir Allyen?"
"Er ist ein junger König und will geliebt werden. Aber er versteht nicht, was dafür nötig ist, Lord Baelon."
"Dafür hat er genug Spione meiner Schwester, die mich umschmeicheln. Er weiß, was gut ist. Gut für ihn. Gut für die Glans, wie er sagen würde."
Allyen nickte. Er erinnerte sich, wie er Petyr und Baelon im Schwertkampf unterrichtet hatte. Damals waren sie zwei Brüder, die einander respektierten und liebten. Schlug der eine den anderen, gab es freudiges Gelächter und Gratulationen. Niemand hätte sich vorstellen können, dass sie eines Tages so weit voneinander weg leben würden und doch gemeinsam ein Reich führen würden. Mit dem Tod der Mutter hatte es begonnen. Baelon hatte angemessen getrauert, doch Petyr war es, der Jahre gebraucht hatte, sich zu trösten. Hilfe hatte er nicht angenommen, und er schob die Schuld gegen seinen Bruder, der bei dem unglücklichen Jagdausflug in den Reichsforst nahe der Abtei dabei gewesen war. Irinia war es, die sich Petyrs Trauer annahm. Bis heute.
"Ja, Mylord, Eure Schwester ist sehr umsichtig...", sagte Allyen.
"Das ist sie. Ich kann nicht glauben, dass sie für den König DERART viel aufnimmt. Ich meine, nun, ich meine die Prinzessin. Alysare weiß von alledem nichts, und ich hätte mir gewünscht, sie fern zu halten von diesen Intrigen."
"Was wird nun aus dem Vorhaben?"
"Warten wir den Geburtstag der kleinen Prinzessin ab, Sir Allyen. Was gibt es Neues?"
"Sir Belforr hält Kontakt zur Nachtwache. Und Sir Hermos ruft die Gardisten zusammen."
"Nichts geschieht ohne mich", sagte Baelon sofort.
"Natürlich nicht, Mylord."
Die Tür öffnete sich, und ein Diener trat ein. "Mylord Kanzler, man wünscht Euch zu sprechen."
Sir Allyen verabschiedete sich, verneigte sich vor der eintretenden Königin und ging seiner Wege.
Wenn er doch mehr tun könnte. Für das Reich. Für den jungen Baelon.

Kithei

Nachdem Grimo mit dem Gast verhandelt hatte, ließ die freie Frau der Wilderländer dem Ritter die Waffen abnehmen und in ihr Zelt führen.
"Sir Marryn. Besteht Ihr hier auf Euren Titel?"
"Er ist mir, hier, gleichgültig, Lady Kithei", sagte der Ritter der Krone.
"Nennt mich nicht Lady. Titel bedeuten dem freien Volk nichts. Sie bedeuten mir nichts, und auch nicht meinen Schwestern Oshinya und Sverka. Verstanden?", fragte sie forscher als sie es tun wollte. Wenn Petyr einen Ritter entsandte, dann nicht grundlos. Und den Grund wollte sie erfahren, zuerst auf friedliche Weise.
"Wie Ihr wollt, Kithei."
"Sagt mir, was schickt uns der König einen Ritter her? Hat er nicht genug Sorgen in seinen steinernen Mauern?"
Marryn nickte knapp. "Die hat er zweifellos. Aber es plagen ihn auch Sorgen, die einen wie mich in diese Wildnis schicken. Ich kann Euch außerdem versichern, dass meine sichere Rückreise wichtig ist. Der König würde ungern eine Strafexpedition entsenden. Ich bin außerdem nicht zu Euch gekommen, sondern Euer Gefangener."
"So seht Ihr das, Marryn? Nun, dann wollt Ihr vielleicht einen Wein trinken? Wäre das angemessen?"
"Das wäre es", erwiderte er schmunzelnd.
"Beenden wir das. Du warst lange nicht mehr in meinem Zelt, Marryn", sagte sie und lächelte. Sie war ihm das erste Mal begegnet, als ihr Vater sie und ihre Schwestern an die Orte brachte, die fortan ihnen gehören sollten. Der Erlenkönig war ein weiser Mann, der seine Töchter vermissen würde, aber angesichts der drohenden Dunkelheit durch Feuer und Eis die Kinder der Grünen Magie strategisch einsetzen musste. Marryn war einer der Männer, die sie eskortiert hatten. Und sie hatte sofort Gefallen gefunden. Er war immerhin Grimos Vater, doch das wollte sie ihm nicht auch noch aufbürden. Die Rebellion gegen Petyr nahm ihn ganz ein.
"Ich habe viel zu tun, Liebste", sagte Marryn und trank vom Wein.
Sie nahm seinen Krug, stellte ihn zur Seite und begann, ihn zu entkleiden; er hingegen öffnete ihre Kleidung und berührte ihre Brüste, sodass sie spürte, wie ihre Warzen sich erhoben und ihre Lenden feucht wurden. Dann ließ sie ihn eindringen und überließ dem Ritter des Königs die Führung auf der wilderländischen Stute Kithei.
"Du bist in Übung. Wieviele Huren hattest du in der Stadt?", fragte sie kühl.
"Genug, um dich nicht vergessen zu können."
"Was will Petyr?"
"Tyrell sorgt sich um seine Mine. Giltheas hat sie eingenommen, wie man sagt."
Kithei nickte und hielt seinen Schwanz aufrecht, weil sie nach der Unterredung noch einen Ritt wollte. "Das Feuerpulver ist böse. Niemand sollte die Mine besitzen. Ich werde dich und deine Leute zurückschicken. Sag dem König, Giltheas sei zu zahlreich dort vertreten. Das wird wohl sogar stimmen. Ich möchte nicht, dass du stirbst, Marryn. Nicht heute, nicht morgen, niemals."
"Jeder stirbt", sagte er knapp.
Sie erinnerte sich an ihre Wünsche, die Grüne Magie zu erneuern, das Leben zu verlängern, Marryns Leben zu verlängern. Der Erlenkönig hatte es nicht zugelassen, und Sverka und Oshinya hatten sie verspottet. "Ja, jeder stirbt. Aber du nicht."
Einer der Männer gab Meldung, dass Oshinya Besuch von Allyen, Callum und Theornon hatte. Marryn sollte sich umgehend mit Allyen treffen.
"Du musst gleich gehen. Vorher machst du mir ein Geschenk, und ich mache dir eines."
Nachdem sie dies getan hatten, verließ Marryn das Lager der freien Frau, die niemanden so sehr liebte wie den Ritter des Königs.

Esthelion

Silberhaar fuhr mit seinen dürren kalten Händen über die eisige Kapsel des Wissens, die er so sicher über Jahrhunderte in der Gruft bewahrt hatte. Welcher König oder Edelmann hier auch einst begraben worden war, ihn würde die Anwesenheit von Eis und Magie wohl kaum noch stören. Esthelions Reise hatte ihr Ende noch lange nicht gefunden, und er würde noch viele Wanderungen durch Eis und Nacht tun müssen, bis er alles wusste, was zu wissen war. Leider war er, was Joneth betraf, noch nicht weit gekommen. Der Junge schien wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Aber er musste ihn finden, bevor Velthan, wo auch immer der war, den wahren Weg erkennen würde:
Samgard, die Klinge von Eis und Feuer, sollte Joneth und Theresia vernichten, getragen durch Velthan. Joneths Tod war wichtig für Esthelion, um das Feuer zu zerstören. Und Theresia musste überleben. Dafür hatte er so viel aufgegeben, so viel getan. Dafür ertrug er jeden Tag Dryrs Launen. Nun, solange Lord Bathir nützlich war. Mit Zufriedenheit hatte er von Dryrs Wutausbruch gehört, nachdem ihm das Drachenei abhanden gekommen war. Wo auch immer dieses nun war, wenigstens war es nicht mehr in den Händen von Dryr, Glan und Tyrell!
"Herr?", fragte die Dienerin vorsichtig.
"Was ist, mein Kind?"
"Lord Dryr schickt nach Euch. Soll ich das Pferd satteln?"
"Ich reise allein."
Esthelion benutzte den Ring und stand schon vor den Toren der Festung, die von Tag zu Tag schwerer bewacht wurde. "Mylord?", fragte er, als er den Saal betrat.
"Esthelion. Ihr haltet Euch lang abwesend. Wir haben Neuigkeiten. Giltheas hat meinen Drachen."
"So? Nun, Lord Giltheas wird weise genug sein, ihn nicht zu entfesseln, da es auch sein Ende wäre. Oder er tut es und wird sterben."
"Es ist MEIN Drache, Berater!", zürnte Bathir.
"Natürlich, Mylord. Was soll ich tun?"
"Gar nichts. Ihr fürchtet das Untier, was soll ich also Euch schicken?"
Er war erleichtert, aber zeigte es nicht. "Nennt mir eine Aufgabe, Mylord."
"Sorge dafür, dass die Hinrichtung des ersten Nordmannes vorbereitet wird. Liefern sie Hersilia oder Geroth nicht aus, wird es geschehen."
"Des ersten? Sollte nicht gestern schon einer sterben, Mylord?"
"Ja, aber der Rote Fuchs hat sich gestellt."
Das war überraschend. "Kann ich ihn sehen? Sicher soll er befragt werden."
"Nein. Geht. Ihr habt eine Aufgabe!", befahl Bathir.
"Sehr wohl, Mylord."
Esthelion verließ den Saal. Dann sprach er mit einem Pagen, der danach wohl niemals wieder ruhig schlafen würde.

Wilion

Das Treffen in Tilhold war sehr fruchtbar für alle Beteiligten gewesen. Wilion von Melther lief zufrieden zum neuen Treffunkt seiner Männer. Seinen Bogen hielt er in der Hand, einen Pfeil aufgelegt, falls der Schwarze Stab seine Rache umgehend fordern würde.
Wenn Brioless eintreffen würde, müsste er nur noch ihn überzeugen. Eine gemeinsame Truppe aus Waldläufern könnte viel erreichen. Und Lady Gloriannas Verweis auf Roan von Carmon war ebenfalls wertvoll. Die Blockade würde die Nordmannen irgendwann dazu bringen, Dryr den Kampf anzusagen, dessen war er sich sicher. Das wäre der Augenblick für eine größere Allianz. Wilion ließ sich selbst und auch den Mannen gegenüber keinen Zweifel, dass Dryr zuerst fallen müsste, würde man Bretonia für Theresia befreien wollen.
Er ließ das Leuchtende Wäldchen hinter sich, drehte nach Süden, als er die Klamm in die Kraterlande sah und folgte den für normale Augen sinnlosen Zeichen im Gras, bis er endlich die ersten seiner Späher in den Bäumen bemerkte.
"Ich bin zurück. Holt mir Sir Leyris, ich habe Neuigkeiten."
Sir Leyris trug seinen grünen Plattenpanzer und den Langbogen. "Liras sei Dank, Ihr seid zurück."
"Wollt Ihr jetzt schon in den Krieg ziehen?"
"Nein, Mylord, auf die Jagd", sagte er seltsam besorgt.
"Im Plattenpanzer? Welchen eisernen Bären wollt Ihr verfolgen?"
"Nun, kein Wildtier, Lord Melther. Eher einen Schlächter."
Der Schwarze Stab. Sie waren hier. "Hat man den Mannen gedroht, wie mir? Ich begegnete dem Schwarzen Stab. Die Söldner suchen die Hebamme Hersilia im Norden."
"Nein. Kein Söldner. Ein einzelner Mann. Lero ist tot."
"Was?", fragte Wilion entsetzt.
"Schwarz wie die Nacht, in der er kam, war der Angreifer. Gras und Blumen verwelkten in Sekunden, Bäume färbten sich dunkel bei seiner Ankunft."
Wilion ahnte, um wen es ging. "Was ist dann geschehen?"
"Wir drohten ihm, er möge die Waffen strecken. Er trug einen schrecklichen Morgenstern in der einzigen Hand, die er noch hatte. Doch er ging weiter auf uns zu. Ein Schlag von Margrins Axt, aber sie richtete nichts aus. Ein Pfeil in seinem Hals, er aber lief weiter, unversehrt. Er hat drei weitere Männer einfach erschlagen. Lero stellte sich ihm in den Weg, und der Fremde hat den Morgenstern in den Gürtel gesteckt. Doch nicht etwa, weil Lero ihm gewachsen gewesen wäre. Er hat den Heermeister gepackt und mit dem handlosen Arm in seine Brust geschlagen. Sie platzte auf, und sein Herz fiel wie ein Stein heraus."
Wilion nickte ernst. "Der Blutige Stumpf ist hier."

Petyr

Zornig verließ der König die Kanzlei. Baelons Argumente waren stichhaltig, ja, und so würde er das Volk beruhigen. Es stimmte, das Volk war der Schlüssel zum Frieden. Glorianna störte den Frieden erheblich, genau wie die sturen Nordleute. Verstand denn niemand, dass er nichts als den Frieden des Reiches im Sinn hatte? Zu lange hatte bereits sein Vater gezögert. Die Glans mochten auserwählt gewesen sein, den Thron für die Erbin zu behüten, ja, aber man konnte doch selbst die Geschäfte des Reiches besorgen, wenn die Gelegenheit günstig war. Vater wollte es nicht einsehen. Niemand konnte es verstehen. Warum waren alle gegen ihn? Selbst Sir Allyen war nicht mehr derselbe. Doch es wunderte Petyr nicht:
Schon früher, als er ihn und seinen Bruder unterrichtet hatte, war er immer heimlicher Bewunderer Baelons gewesen. Einen Sieg seines Bruders im Übungskampf hatte er beklatscht, während seine Erfolge belächelt wurden. Und als Mutter starb, die er so vermisste, da fand Baelon Trost im Kampf - also genau dort, wo man auch Sir Allyen fand. Und er? Er stürzte sich in die Glaubenslehren. Aber dort war es Jargu, der ihm keinen Erfolg gönnte. Einzig Irinia verstand seine Trauer. Als er im dritten Monat der Trauer in ihr Bett gekrochen war, da hatte sie ihn umarmt und geküsst. Wie sich ihre Brüste doch denen seiner Mutter ähnelten! Seitdem war sie ihm ein treuer Begleiter geblieben. Zwar war sie im Gesicht unansehnlich, aber ihre Lenden waren herrlich anzuschauen, und sie fühlten sich auch schön an. Fast bedauerte Petyr seine Drohung gegen ihre Tochter Alysare, falls Baelon nicht allen Maßnahmen zustimmen würde. Doch Irinia hatte sogar das verstanden. Genau wie die politische Heirat mit dieser Tyrell, diesem zwar ansehnlichen, aber doch so langweiligen Mädchen. Sir Starys hatte ihm erklärt, dass er einen Erben brauchte. Nun, das würde er dann über sich ergehen lassen, im Namen des Reiches. Irinia würde auch das verstehen. Sie musste einfach.
"Was gibt es Neues, Sir Starys?", fragte er auf dem Weg.
"Ihr meint, was wir dem Kanzler verheimlichen?"
"Ganz recht."
"Nachricht von General Farth. Es sind Yaruns Schiffe gesichtet worden. Der Reichsprotektor geht davon aus, dass sie binnen Tagen die Nebelküste erreichen werden, und er trifft Maßnahmen."
"Weiß man etwas über den Grund für die Aggressionen Yaruns?"
"Nein, Mylord König."
"Nun, sie werden sicher einen Gesandten sprechen lassen."
Sir Starys schüttelte den Kopf. "Bei ihrem bisherigen Vorgehen ist nicht unbedingt davon auszugehen, Mylord."
Petyr verstand. Auch sie hassten ihn also. Ihn und seinen Wunsch nach Frieden. Er hoffte, Sir Aran würde ihn nicht auch enttäuschen. "Und der Fuchs? Wann wird er verhört?"
"In den Abendstunden, lässt Lord Dryr mitteilen."
"Wunderbar. Noch was?"
"Ja, Majestät. Lord Tyrell bittet um eine dringende Zusammenkunft."
"Geht es immer noch um seine dumme Mine und Lord Giltheas? Man sollte meinen, Ivar wäre kaum erwachsen", sagte Petyr ärgerlich.
"Nun, es hat Entwicklungen gegeben. Nordmannen halten nun die Mine."
Petyr blieb stehen. "Wie bitte?"
"Wir wissen es noch nicht sicher, aber es ist möglich, dass Lord Giltheas, der sich nun Thronprotektor nennt, ein Bündnis mit den Nordlanden unterhält."
"Riesen, Ungeheuer und Nordmannen", murmelte Petyr müde.
"Wir werden auch dies überstehen, mein König."
"Hat Dryr seinen Drachen gefunden?"
"Mylord König, der Drache befindet sich in den Händen von Lord Giltheas."
"Mir scheint, Lord Giltheas ist ein schlauer Mann", zischte Petyr, "schicken wir ihm einen Gesandten."
"Ja, Majestät."
Als nach einigen Stunden der Kopf des königlichen Gesandten überbracht wurde, mit einem Gruß des Thronprotektors, schäumte Petyr vor Wut.
"Befehle, Mylord König?"
"Ich will sofort meinen Lethos sprechen, er soll Lord Giltheas in Acht und Bann stellen!"
"Das wird ihn kaum beeindrucken, mein König", murmelte Baelon.
"Tu es trotzdem! Und dann will ich sofort Lady Irinia sprechen."
"Soll sie sich hübsch machen, sofern das geht, oder darf sie gleich nackt erscheinen?"
"Raus mit dir!"
Petyr weinte bitterlich, bis die tröstenden Hände seiner Mutter ihn streichelten. Als er Irinia in die Augen blickte, verwandelte Mutter sich in seine hässliche Schwester mit den viel schöneren Lenden.

Ivar

"Lord Dryr scheint mir eine treue, aber dumme Seele zu sein, wenn er nicht fähig ist, ein Drachenei die wenigen Meilen bis Wilderberg zu transportieren", knurrte Ivar von Tyrell.
"Ja, Mylord", sprach der Truppführer vorsichtig.
"Weiß man bereits, wer dafür verantwortlich ist?"
"König Petyr hat Lord Dryr dieselbe Frage gestellt. Bisher hat man keine Antwort erhalten."
Ivar knurrte erneut. Vielleicht sollte er Dryr zeigen, wie man mit unfähigen Leuten umging. Aber noch wollte er dem Hund vom Eisenwall nicht ins blutige Handwerk pfuschen. Der König hatte eine Blockade gegen den Norden angeordnet, und die sollte Bathir von Dryr übernehmen. Ivar brauchte seine Truppen zu anderen Zwecken. "Meldet Euch, wenn es Neues gibt. Umgehend!"
Ein paar Tage darauf gab es Neues:
"Mylord, wie es scheint, hat Lord Caenor den Drachen gestohlen, aber unsere Kundschafter können kein Drachenei oder gar das geschlüpfte Ungetüm in Caenors Landen entdecken. Wohl aber seltsam gekleidete Soldaten, die Hohenfels absichern", sagte der Truppführer.
"Jargu von Caenor glaubt also, ein paar Soldaten mehr würden ihn verschonen, wenn Wilderberg und sein Feuer kommen?", lachte Ivar.
"Mylord, diese Soldaten sind Eunuchen. Sie stammen aus der Tradition Samariqs und werden auch von einer Hun angeführt."
Ivar schluckte schwer. Er kannte diese Geschichten. Todbringende Krieger, die keinen Schmerz und keine Furcht kannten. Er selbst hätte sie angeheuert, war aber klug genug, den Anführer, den Blutigen Stumpf, nicht zu erzürnen. "Sichert die Grenzen und erkundet, wieviele er hat und wo sie eingesetzt werden. Außerdem will ich wissen, ob Caenor weitere Verbündete hat."
"Ja, Mylord."
Ein paar Tage darauf gab es wieder Neues:
"Mylord, eine Nachricht von Dryr. Man hat den Roten Fuchs gestellt."
"Endlich gute Nachrichten. Der König wird ruhiger schlafen können und sich um die Jungfräulichkeit meiner Schwester kümmern können", murrte Lord Tyrell.
"Leider, Mylord, haben wir auch weniger Gutes zu berichten..."
"Das wäre?"
Der Truppführer nickte und sprach: "Man erwartet einen Gesandten des Hauses in den Nordlanden."
"Sie geben vielleicht auf? Ach, nein, lasst mich raten, sie wären sonst an Dryr heran getreten. Also, was will man nun von mir? Der Norden ist mir ganz egal."
"Mylord, unsere Mine..."
"Ja, Giltheas hat sie. Sir Marryn ist angewiesen worden, sich darum zu kümmern. Ist er schon zurück?"
"Ja, Mylord, doch König Petyr lässt ausrichten, der Widerstand war heftig."
"Alles muss man selbst machen. Gut, was will der Norden?"
"Über die Mine verhandeln."
Ivar von Tyrell erschlug seinen Truppführer mit der bloßen Hand. Dann ließ er Sir Gregorius rufen.
"Sir Gregorius, ich werde einen Gesandten in den Norden schicken. Das ist für Euch das Signal, ebenfalls aufzubrechen und mir den Kopf von Wilion von Melther zu bringen."
Der Schwarze Ritter nickte schweigend. Er sprach fast nie.
Alea iacta est.

Die Würfel sind gefallen!

Benutzeravatar
Meister
Beiträge:916
Registriert:22 Dez 2006, 22:48

Beitrag von Meister » 17 Sep 2010, 13:15

Ein Bretonianer

Clavius hatte ihm den Auftrag gegeben, den Nordausgang zu bewachen. Seit Emes nicht mehr unter ihnen weilte, lag das Kommando bei ihm. Clavius war ein guter Mann, keine Frage. Er war schon lange dabei. Er hatte den Tod Lerhons gesehen und nicht verhindern können. Der König war in seinen Armen gestorben, hatte Clavius ihnen erzählt. Später hatte er seinen Kameraden Eric, der den König getötet hatte, zum Henker geführt. Eric war der einzige Nordmann gewesen, der je in der Garde der Bretonianer gedient hatte. Es waren diese 'Wölfe' gewesen, die den Tod des Königs veranlasst hatten. Und die Bretonianer hatten versagt. Ein tiefer Schatten war auf die Garde gefallen.
Die Bretonianer waren die Hand des Königs, und sie hatten eine Aufgabe, der sie an jenem Abend nicht gewachsen gewesen waren. Dennoch hatte er sich entschieden, ihnen beizutreten, hatte seine Zeit in der Armee absolviert, danach in der Stadtgarde, die nun von Sir Hermos geführt wurde, bis man ihn endlich für die Königsgarde rekrutiert hatte. Nein, er würde nicht versagen, er würde den König nicht enttäuschen und auch nicht Clavius, obwohl er nicht wie Emes war. Der war immer ein leuchtendes Vorbild gewesen, aber es hieß, Blyrtindur hätte ihn verändert, der Kerker Sir Arans hätte ihn verändert. Nun war er irgendwo. Manch einer sagte, in einer düsteren Taverne in Edailech, andere behaupteten, Emes im Moor gesehen zu haben, wieder andere sprachen von Waldwacht.
Nun, aber Clavius war hier, und er war hier. Er und seine Waffenbrüder. Eine verschworene Gemeinschaft. Sie würden nicht versagen! Heute war eine Feierlichkeit angeordnet worden, sowie eine Waffenruhe. Ob sich jeder daran halten würde, scherte ihn nicht - solange es im Palast ruhig zuging. Die Ausgänge waren gesichert, Vorkoster bestellt. Die Geheimgänge, die nur Clavius alle kannte, waren verriegelt worden, und Magier würden den Saal vor Hexerei schützen. Es konnte einfach nichts passieren, sagte er sich.
"Vier Gänge. Recht bescheiden nimmt er sich heute heraus", murmelte Clavius, der seine Runde beendet hatte.
Er nickte. "Ja, Mylord."
"Ich bin kein Mylord. Ich bin Clavius", murrte er.
"Jawohl."
"Alle auf ihren Posten? Die kleine Prinzessin habe ich erwischt, wie sie im Garten herum tollte. ALLEIN. Wie ist das möglich?", fragte Clavius.
"Ist sie denn wieder in Sicherheit?"
"Ja, ist sie. Haltet ein Auge auf sie."
"Jawohl!"
Die Hand des Königs. Das Schwert des Reiches. Sie durften heute nicht versagen und sie würden es auch nicht!

Eine Wache

Eigentlich wollte er laut fluchen. Das verdammte Los hatte entschieden, und er durfte jetzt zusammen mit Bleng die Nachhut bilden. Ja, Nachhut, so nannten die hohen Herren Brioless und Melther das, wenn zwei Fußsoldaten im Norden bleiben durften - zwecks Nachrichtenübermittlung. Seit die hohen Herren in den Wald gegangen waren, um Lady Gloriannas Heiligenschein zu folgen, standen er und Bleng mitten im Nirgendwo herum und warteten auf den Befehl, ihnen zu folgen. Große Dinge wären im Anmarsch, hatte Melther in seiner Ansprache an die Männer gesagt. Sir Leyris hatte wie immer zugestimmt, die anderen durch Nicken. Tja, so war das eben. Wichtige Leute trafen wichtige Entscheidungen, und der kleine Mann führte sie aus - oder eben nicht. Wie gern hätte auch er Waldwacht gesehen, die goldenen Statuen, von denen man sich erzählte, die Zentauren, welche die Eingänge bewachten und den Feuervogel auf dem Kaiserstuhl des siebzig Schritt hohen Wachturmes aus Marmor. Aber nein, er saß ja hier im Schlamm und wartete.
"Hast du gehört?", fragte Bleng.
"Was hab ich gehört? Deine Blähungen, die lachende Elster, die mir auf den Lederpanzer geschissen hat oder das Grunzen der Wildschweine?"
"Nee. Ich meine was anderes. Der König hat für heute eine Waffenruhe befohlen."
"Wie schön für ihn. Trotzdem lungern wir hier im Norden rum und nicht bei unseren Herren, wo wir sein sollten", murrte er.
"Seine Nichte hat Geburtstag. Man hat sogar die Feinde des Königs eingeladen. Aber ich glaub, Melther und Brioless werden nicht kommen. Die haben ja Pinzeppien."
"Prinzipien, Bleng."
"Ja, meine ich doch."
"So, und weil irgend so ein Prinzesslein jährt, darf man heute keinen abstechen?", fragte er.
Bleng nickte eifrig. "Jap, hat der König so gesagt."
"Schön. Mensch, bin ICH erleichtert. Wenn also ein verirrter Riese kommt, der nichts vom Bündnis zwischen ihm und dem Norden weiß, der mich abmurksen will, weil er in meinen Schädel scheißen oder in meine Augenhöhlen pissen will, sag ich ihm: He, überleg's dir nochmal, wir haben heute Frieden, das Prinzesschen hat doch Geburtstag!"
"Trottel", sagte Bleng.
"Selber Trottel."
Gerade wollte Bleng etwas erwidern, als man ein Tropfen hörte. Regen war es nicht. Er schaute sich um, bis er in Blengs Augen sah, die sich nach innen drehten, weil ein Morgenstern seinen Schädel getroffen hatte. Blut tropfte auf seine Schulterpolster, und eine riesige Hand riss die Waffe heraus, sodass das Fleisch triefte und er Blengs Schädel sah. Das Gras war ganz schwarz geworden, die Baumrinden hingen nur noch in losen Fäden an den Stämmen, die sie umgaben. Bleng fiel einfach nach hinten. Der Blutige Stumpf näherte sich.
"Bitte, bitte, die Prinzessin hat Geburtstag, es herrscht doch Waffenruhe!", bettelte er.
Das scherte den schwarzen Ritter wenig. Dabei hätte die Wache so gern Waldwacht gesehen.

Mercutio

Der schwarze Lord hatte die Messe abgehalten, seine Diener verabschiedet und lief nun zufrieden und erfüllt durch die Schlachtreihen. Sein Gespräch mit Jargu war recht erhellend gewesen, wie auch die Begegnungen mit Hlifa und Glorianna. Niemand vertraute ihm. Das kümmerte ihn herzlich wenig, denn seinem Ziel kam er jeden Tag näher und näher. Nun stand er auf dem hohen Podest und überragte selbst die Chentryrr, die ihre messerscharfen Schwingen rotieren ließen.
"Die Zeit ist gekommen, ein kleines Unternehmen zu starten. Ich brauche nur wenige von euch, doch seid nicht traurig, meine Krieger, auch die Zeit all der anderen wird kommen. Nun aber müssen wir etwas rauben!"
Keine Widerworte, wie erwartet. Mercutio ließ ein Pferd satteln und ritt zum Ziel seines Angriffes. Er gab den Leuten die letzte Gelegenheit, seine Forderungen zu erfüllen, aber sie zeigten sich weiter unnachgiebig.
"Man feiert heute den Geburtstag der Prinzessin. Niemand erhebt eine Waffe", sagte einer.
"Wer sagt, dass ich heute angreife?"
Mercutio lächelte knapp. Sein Weg ging weiter durch die Lande, denn auch er war auf der Suche. Dann sprach er ein Gebet und setzte all seine Macht und Wissen ein, damit der Geburtstag ein Tag des Blutes und der Schande werden würde.
Er bedauerte das arme Kind nicht.

Roymar

Roymar von Farth konnte sich seinen eigenen Titel nicht merken. Titel waren wie Namen. Nutzlos, wenn man kein ganzer Mann war. Ihm reichte es aus, General genannt zu werden. Das war es, was er war. General der tectarischen Truppen im Protektorat Nebelküste. Der Heilige Vater hatte ihn ausgesandt, das bretonische Tochterreich zu sichern vor dem Einfall der Barbaren des Ostens. Nun, ob man die Yaruner wirklich als Barbaren abtun konnte, da zweifelte Roymar. Er hatte schon erlebt, wie die Mandeläugigen kämpften. Äußerst diszipliniert waren sie, sehr gut gerüstet und gebildet. Kein Vergleich zu dem Pack aus dem Norden oder den Baumanbetern des Tiefenwaldes.
Aber Tectaria war weit weg. Dort hatte man nicht die geringste Ahnung, was in diesen Landen hier vorging. Manche nannten Bretonia gar eine Kolonie. Nun, eine Kolonie von der dreifachen Größe des Kirchenlehens mit demselben Namen vielleicht. Seit Liranus von Breton vor mehr als 200 Jahren den Aufstand begonnen hatte, waren es immer nur Gerüchte gewesen, die Tectaria erreicht hatten. Nun war es Wahrheit geworden, und er, der verstoßene General Farth, war hier. Um ein Land voller Ungläubiger vor anderen Ungläubigen zu schützen. Befehl war Befehl. Er würde nicht versagen! Dass der Gesandte der Yaruner, der immer noch Gast in Roymars Zelt war, ausgerechnet den Säufer Waldyr und irgendeinen Rockträger verlangt hatte, das hatte ihn ziemlich verwundert. Aber wenn man so eine Schlacht vermeiden konnte, war es sicher im Interesse aller.
"Dann schickt dem Kanzler eine Nachricht", befahl er seinen Mannen.
"Wir haben von Kanzler Baelon ebenfalls eine Nachricht bekommen. Ihr seid eingeladen, Herr General."
"Wie meinen? Ich habe hier vielleicht in Kürze eine Schlacht zu führen!", polterte Roymar.
"Der Geburtstag von Prinzessin Alysare."
"Herr im Himmel, und was soll ich da?"

Jargu

Die Warnung Hlifas war nicht überraschend. Er hatte gewisse Informationen eingeholt, die deutlich machten, dass die Nordfrau verschiedenste Kontakte unterhielt und das Spiel spielte. Nicht gerade ungeschickt, wie er wohl zugeben musste. In vielerlei Hinsicht, dachte er schmunzelnd. Doch sein Schmunzeln versteinerte, wenn er über die Eunuchen, über Wara und den Blutigen Stumpf nachdachte. Er hatte ihn gesehen, weil er ihn sehen wollte, weil er ihn gerufen hatte. Aber an Caldorvan hatte er dabei nicht gedacht. Dass die Hun sich eines Tages gegen ihn stellen würde, damit rechnete er. Darum hatte er auch Maßnahmen getroffen. Nun aber stand eine weitere Hürde an: Giltheas.
"Willkommen, Lord Giltheas. Gefallen Euch meine Eunuchen?"
"Sehr beeindruckend. Sehr viele. Ich danke für Eure Einladung, Lord Caenor."
"Nun, sicher sind sie nicht halb so beeindruckend wie Eure Armee. Ich hoffe, der Drache ist nicht allzu hungrig?", fragte Jargu.
"Wir beschweren uns nicht. Er wächst von Tag zu Tag. Da ist es nur verständlich, dass er einen recht großen Speiseplan hat, nicht wahr?"
Jargu nickte. "Natürlich. Eure Sonderbehandlung der Blockade hat viele Leute aufgescheucht."
"Euch auch?", fragte Giltheas, ohne auch nur mit einer Wimper zu zucken.
Jarg fluchte still. Man konnte tun, was man wollte, aber in den Augen des schwarzen Lords las man einfach nichts. Als wäre es ihm gleich, die größte Macht des Reiches unter sich zu haben. "Nun, ich will sagen, es ist sicher nicht überraschend für Euch, dass auch das Haus Caenor etwas in Sorge ist. Ihr könntet jederzeit einen Angriff befehlen."
"Das stimmt. Aber ich habe keinen Grund dafür. Oder, Lord Caenor, habe ich einen?"
"Zweifellos nicht. Habt Ihr denn einen Grund, König Petyr anzugreifen?", fragte Jargu.
"Nein. Zur Zeit nicht. Morgen feiert die kleine Prinzessin ihren elften Geburtstag. Wie könnte ich so herzlos sein und dem Kind seinen Ehrentag verderben, indem ich seine ganze Familie auslösche?"
"Ihr hättet aber Gründe."
"So?", fragte Giltheas, und wieder veränderte sich sein versteinertes blasses Gesicht nicht um eine Nuance.
"Ihr habt die Mine eingenommen."
"Und verloren."
"Ihr habt Dryr attackiert."
"Ihn aber nicht erobert", antwortete Giltheas.
"Was wollt Ihr? Wer soll herrschen?"
"Ich habe es bereits Lady Glorianna von Waldwacht geschildert: Das Land bekommt immer den König, den es sich verdient."
Aha. Er wollte selbst König werden. "Man wird Euch nicht folgen."
"Ich beabsichtige das auch nicht. Vielleicht wird ein anderer so unklug sein und König Petyr angreifen. Oder vielleicht wird es morgen, bei der Feierlichkeit, geschehen."
"Ihr plant etwas."
"Ich? Nein, wie kommt Ihr darauf?", fragte der schwarze Lord tonlos.
"Man sieht es Euch an", log Jargu.
"Dann muss ich wohl an mir arbeiten. Was wollt IHR, Lord Caenor?"
Ich will Theresia ehelichen, dachte er. Aber er würde eher die hässlichste Frau der Welt vögeln als dem schwarzen Lord dies zu sagen. "Ich will es klarstellen: Haus Caenor hegt keine feindlichen Absichten gegen Giltheas."
"Schön zu hören. Das tat Dryr auch nicht..."
"Ich will einen Waffenstillstand", sagte Jargu.
"Den sollt Ihr haben. Unnötig, darum zu bitten. Haus Caenor ist mir das liebste Haus, wisst Ihr das, Jargu?"
Jargu von Caenor wusste nicht, wie Lord Giltheas das gemeint hatte, als sie die Pergamente unterzeichneten und der Lord mit seinen Quentar wieder gen Süden verschwunden war.

Starys

"Und ansonsten haben wir da noch die ein oder andere Morddrohung", beendete Kanzler Baelon seinen Bericht.
Sir Starys nickte nur. Das war ja nicht unüblich in diesen Zeiten. Wie man aber ein Kind von knapp 11 Jahren derart bedrohen konnte, ging ihm nicht auf. Nun, Unzufriedene gab es überall. Die Befehle an Clavius waren eindeutig, und er würde sie brav befolgen. Sollte der Prinzessin auch nur ein Haar gekrümmt werden, Starys würde Sir Marryn die Arbeit abnehmen und jeden einzelnen Bretonianer in den Kerker werfen lassen. Die Garde war eh überholt. Besser wäre es, der Schwarze Stab wäre bei den Feierlichkeiten zugegen. Zwar war das Söldnerpack, aber die hatten wenigstens keine Sorge, sich um ihre Ehre zu scheren. Solange Starys sie bezahlte - und das tat er großzügig - taten sie ihr blutiges Handwerk, ohne Fragen zu stellen. Sie waren leider nicht so erfolgreich gewesen, was Melther anging, aber was nicht war, konnte noch werden. Auch Hersilia und Geroth waren noch flüchtig. Starys hoffte jedoch, dass der heutige Tag einiges ändern würde. Was der Lethos dem König gesagt hatte, trug Früchte. Man könnte sich danach endlich den wichtigen Dingen widmen, zum Beispiel Lord Trar. "Nun, Mylord, diese Drohungen sind bestürzend, aber in diesen Zeiten nicht abwegig. Man lässt seine Wut gern an den Schwachen aus."
"Das tun Eure Söldner ebenso, Sir Starys. Ihr habt das Glück, dass Seine Majestät, mein lieber Bruder, einen Narren an Euch gefressen hat. Ginge es nach mir, die Söldner wären alle weit weg!", sagte Baelon.
"Mylord, ginge es nach Euch, wäre einiges anders."
"Sicher habt Ihr noch zu tun, Ihr dürft also gehen."
Starys verließ die Kanzlei. Man musste Baelon lassen, dass er mutig war, zweifellos. Aber er war nicht loyal. Beweisen konnte Starys es nicht, aber er kannte seinen Instinkt. Damals, in Edailech, als er noch Knappe von Trar gewesen war, erkannte er es auch. Diese Hexe hatte ihm irgendein Pergament gegeben. Danach hatte Lucius den Hof verlassen. Dass das Königshaus ihm den Titel des Lords gegeben hatte, verwunderte Starys noch heute. Irgendwann würde Trar bezahlen.
"Bringt mir meine Kleidung. Ich will nicht wie ein Söldner aussehen, wenn die Prinzessin ihren Geburtstag feiert!", raunte er eine Dienerin an.

Thaira

Sie stand vor dem großen Spiegel, den eine Dienerin hielt, während eine andere an ihrem Kleid zupfte. Manchmal piekste sie etwas zu fest die kleinen Nadeln hinein, aber Thaira spürte es kaum und sagte auch nichts. Nun war sie Königin des Reiches. Eines Reiches, das im Krieg lag. Mehrere Häuser hatten dem König, ihrem Gemahl, die Treue verweigert. Wenn Petyr nachts in ihrem kalten Bett lag und jammerte, wollte sie ihn trösten, obwohl sie einen anderen liebte. Spürte er das, oder warum verließ er dann stets das Schlafgemach und lief runter in den einsamen Thronsaal, um nachzudenken? Clavius hatte ihr berichtet, dass der König stundenlang schweigend an der Tafel saß und brütete. Als sie ihn noch einmal gefragt hatte, gab der Bretonianer zu, dass der König in Wahrheit das Gemach seiner Schwester aufsuchte. Nun, Thaira fühlte sich nicht verletzt, auch nicht betrogen, liebte sie doch Baelon. Sie empfand es als ungerecht, dass sie ihrer Liebe keinen freien Lauf lassen konnte, während Petyr seinen Trost im Schoß seiner eigenen Schwester suchte. Es widerte sie an. Die gesamte Ehe, die nur auf Drängen ihres Bruders geschlossen worden war.
"Du bist doch eine treue Schwester, oder?", hatte Ivar sie gefragt.
"Ja, natürlich. Ich habe den Leuten unsere Feuermine gezeigt, wie du es wolltest."
"Davon spreche ich nicht. Ich spreche davon, die Tyrells mit den Glans zu verbinden."
Thaira war entsetzt gewesen. "Ich soll Petyr heiraten?"
"Er ist der König. Es wird das Haus Tyrell mehr stärken als seines. Tröste dich damit. Aber ich erwarte, dass du ihm einen Erben schenkst, verstanden? Seine hässliche Schwester hat eine Tochter, aber die interessiert uns nicht. Sie ist sogar ganz und gar unwichtig. Käme morgen ein schwarzer Mann mit einem Dolch und würde das Kindchen abstechen, es wäre uns egal. Verstanden, Thaira?"
"Du bist herzlos", hatte sie ihm vorgeworfen.
"Findest du? Sei froh, dass ich dich nicht mit Dryr verheirate. Aber wäre ER König des Reiches, dann hättest du dieses Pech."
Sie war folgsam gewesen. Ivar hatte ihr seinen Plan berichtet, um sie zu überzeugen. "Aber Baelon darf nichts geschehen", hatte sie noch gesagt. Ivar hatte ihr erklärt, dass der Mann, der einst ihre Gunst im Turnier gewonnen hatte, wahrscheinlich klug genug war, den Plan zu begreifen und rechtzeitig Maßnahmen zu treffen. Dann könnte sie ihn heiraten, wenn sie wollte.
Jetzt war Thaira immer noch nicht schwanger. Wie sollte es auch gehen, wenn das königliche Gemächt sich lieber in den Lenden der eigenen Schwester herum trieb? Plötzlich schmerzten die Nadeln sehr.
"Sei doch vorsichtig", zischte sie.
"Verzeiht, Majestät."
"Nennt mich Thaira, wenn wir allein sind", sagte sie nun milder "ich bin Thaira."
Die beiden Frauen nickten verwundert, als die kleine Prinzessin zur Tür herein gestürmt kam. "Oh, du siehst so schön aus, Tante. Die schönste Frau des Tages!"
Sie lachte. "Nein, das wirst du sein."
"Schau, ich habe ein Geschenk für dich!"

Bathir

Der Hund vom Eisenwall ritt durch sein Land. Die Katapulte waren bis auf klägliche Reste verbrannt worden; seine Männer löschten die letzten Feuer, und viele von ihnen sahen nicht besser aus als die verkohlten Trümmer. Geschütze hatte er genug, Männer ebenso. Aber die Schmach, die Schmach! Ausgerechnet der Drache, den er an die Tyrells hätte liefern müssen, war es gewesen, der seine Ufertruppen besiegt hatte, gemeinsam mit den anderen Ungeheuern von Lord Giltheas. Er spürte keinen Groll gegen den schwarzen Lord, denn ihm war ganz klar, dass es die Idee des Nordens gewesen sein musste. Die ganze Zeit hatte er sich auf einen Angriff der Blodhord eingestellt, als sich plötzlich der Boden auftat, namenlose Schrecken über Mann und Gerät herfielen, während ein schwarzer Schatten und Feuer den Rest erlegten. Nein, diese Schmach, diese Schmach!
"Er hat überlebt, Mylord", sagte sein Leutnant und deutete auf einen Soldaten.
"Du hast nicht einen Kratzer, wie kommt das?", fragte Lord Bathir.
"Als der Angriff kam, war ich gerade auf dem Abort, Mylord..."
"Du hast einen Haufen geschissen, während deine Kameraden den niederträchtigen Angriff, befohlen von der roten Hure Branda, ertragen haben?"
"Mylord, niemand konnte so etwas ahnen, oder?"
"Köpft ihn. Und den dummen Schädel will ich auf meinem Schreibtisch sehen."
Die Rufe des Mannes scherten ihn nicht, als er den Säulengang erreicht hatte. Bretonia. Sitz des Hauses Glan, und er war der treu ergebene Vasall, der den Kopf hingehalten hatte, während Königin Thaira sich vom Schwächling Petyr begatten ließ. Irgendwie schien es ihm dennoch gerecht. Lieber watete er in Blut als besinnlich durch Rosengärten zu spazieren. Irgendjemand war sicher dafür geboren, er aber nicht. Nachdem Lord Erwyndyll sein Land verlassen hatte und Bathir wie eine Heuschrecke darüber hergefallen war, hatte man ihm den Titel Hund vom Eisenwall gegeben. Er war treu, hartnäckig und gnadenlos. Der Page, der zuletzt mit Julthos Malig gesprochen hatte, wusste das jetzt auch. Sein Armknochen baumelte fröhlich am Sattel des schweren Streitrosses, auf dem Bathir nun in die Stadt ritt, um den Geburtstag der kleinen Königshure zu feiern. Sie würden alle eines Tages verstehen.
Aber heute nicht, nicht heute.
"Haben wir noch Zeit, Leutnant?"
"Eine Stunde, Mylord."
"Schön. Sehen wir, was die dicke Berta für uns zu bieten hat", sagte Bathir.
Sein Weib war vor ein paar Jahren gestorben. Es war ihre eigene Schuld, wenn sie nicht fähig war, ihm einen Sohn zu schenken. Die Bettpfanne war schwer gewesen. Zu schwer für ihren hässlichen Kopf.

Sverka

"Soso, hat also dieser Giltheas die Blockade durchbrochen", brummte Bergelmir. Der große Vendu war Ymirs Berater.
"So sagt man es. So haben es die Halbriesen auch berichtet."
"Wann gedenkt der Norden, Dryr für seine Arroganz bezahlen zu lassen? Wir wollen kämpfen, Sverka. Die Riesen werden ungeduldig."
"Das ist Brandas Entscheidung", sagte sie entschlossen.
Bergelmir lachte schallend. "Darf ich also Ymir sagen, dass eine Nordfrau ihm befiehlt?"
"In diesem Fall: ja."
Ärgerlich stapfte er davon. Sverka Blodfjord, die freie Frau, seufzte. Hier war sie von Männern umgeben, die nur den Kampf im Sinn hatten. Ihren Schwestern Kithei und Oshinya erging es vermutlich besser. Aber dennoch war es ihr Platz, den sie ausfüllen würde. So wie Mutter Kelar und der Erlenkönig entschieden hatten. Der Tag des Grün würde kommen. Eis und Feuer mussten besiegt werden! Und kämen ihr Theresia oder Joneth zu nahe, dann würde sie eben Velthans Aufgabe übernehmen!
"Sverka?", fragte ein Halbriese.
"Was willst du?"
"Wir haben einen Toten gefunden. Die Spuren deuten auf den Blutigen Stumpf hin."
"Caldorvan", murmelte sie.
"Mhh?"
"Schon gut, Brund, bring mir den Toten her. Ich muss ihn mir ansehen."
Die Ankunft des schwarzen Ritters verhieß nichts Gutes. Mutter Kelar hatte alle gewarnt, dass eines Tages der Feind des Lebens kommen würde, um Velthan zu vernichten. "Ist er also ein Diener von Eis oder Feuer", hatte Kithei gefragt.
"Nein. Er dient sich selbst und dem, der ihn rief."
Nur, wer hatte ihn gerufen? Sverka sorgte sich. Dann hoffte sie, dass irgendjemand den Grünen Schild finden würde, um Velthan zu beschützen. Damals hatte sie in Skjöldbur den Schlüssel und den Dolch versteckt. Sie sprach jeden Tag Gebete, die Richtigen hätten beides endlich gefunden.
Brund brachte ihr den Toten. "Einer von Melthers Männern", murmelte sie.

Martus

Die Mauern Waldwachts waren gut bewacht. Von den Gloriannitern hielt er nichts, aber sie schienen gute Krieger zu sein. Alles, was er brauchte, um eines Tages Ivar von Tyrell zu besiegen. Die Schande, wie man ihm Bregorn nahm, das man nun Wilderberg nannte, war schmerzlich gewesen. Ein Bündnis mit Waldwacht und Melther war ein guter Anfang. In wenigen Tagen würde er, wie abgemacht, Caenor aufsuchen. Einige seiner Eunuchen hatten ihn und Melther am Waldrand abgefangen und im namen Jargus eingeladen. Was er über dieses Eunuchenpack gehört hatte, ließ ihn schaudern. Aber wenn sie gute Verbündete waren, warum nicht? Was er nicht alles tun würde, um Theresia auf ihren angestammten Platz, der nur ihrer war, zu führen!
Als er die Feuerträume gehabt hatte, da hatte er so viel gesehen und berichtet. Doch immer noch spürte er, wie irgendetwas in ihm steckte, das er nicht kannte und das Lariena auch nicht ans Tageslicht hatte bringen können. Was war es nur? Lenkte es seine Gedanken, und war es ein Fehler, gegen Tyrell zu streiten? Nein, denn das würde er niemals denken. Es musste etwas anderes sein, aber was? Martus schüttelte den Kopf und lief weiter durch das Lager, das sie bei der Burg errichtet hatten. Mannen salutierten, gleich ob sie seine oder Melthers Leute waren. Nun waren sie eins. Wie es sich gehörte. In Kriegen schmiedete man Bündnisse, und dieses war ein festes, ein brauchbares.
"Gehen wir hin?", fragte einer.
"Wohin?"
"Mylord, Prinzessin Alysare feiert ihren Geburtstag."
Martus lachte auf. "Wohl kaum gehen wir hin. Ich traue diesem König nicht, er ist ein Emporkömmling. Seine ganze Familie ist ehrloses Pack. Wahrscheinlich hat jemand an der Festtafel ein Messer im Rücken. Fragt sich nur, ob in der Hand oder schon im Fleisch steckend."
"Mylord?", fragte die Wache unsicher.
"Schon gut."
Obwohl es ein Segen wäre, wenn zum Beispiel einer der Gäste dem König ein Schwert in den Wanst rammen würde. Hätte er die Einladung doch angenommen! Über seine eigenen Gedanken lachte er, als er sich einen Baum lehnte. Seine Hand juckte. Darunter war das Fleisch ganz bleich.

Ivar

Er hatte seine Schwester zum Abendessen eingeladen, um einige Dinge zu besprechen. Das Versagen Dryrs am Fluss sollte nicht das Thema werden, ebenso nicht das weitere geplante Vorgehen, was die Mine betraf. Sein Vetter, der Rote Narr, hatte ihm von den Forderungen des Nordens berichtet, als bereits die Ungeheuer von Lord Giltheas dem Hund des Eisenwalles demonstrierten, wie man einen Krieg zu führen hatte. Es war erleichternd, in gewisser Weise. So hatte er dem Norden keine Zugeständnisse zu machen, was die Mine betraf. Nur rannte die Zeit davon, denn bald würde sie endlich ihr Geheimnis offenbaren.
"Du wirst ein schönes Kleid tragen, ja?", fragte er seine Schwester.
"Natürlich, Mylord."
"Nenn mich Ivar, wir sind allein, Thaira."
"Ja, Ivar. Bruder."
"Schon besser", sagte er und nahm noch etwas vom blutigen Schweinerücken. Seine Schwester aß wie ein kleiner Spatz, das gefiel ihm ganz und gar nicht. "Hier, du musst ordentlich essen."
"Sicher wird es auf der Feier der jungen Prinzessin genug Speisen geben, Bruder."
"Du musst zulegen. Dein Becken ist recht schmal. Haben sicher schon die Hofschranzen bemerkt. Man tuschelt gewiss über dich, Thaira. Du musst ihm ein Kind schenken, wie du weißt."
"Petyr ist, er ist..."
"Ja? Raus damit!"
"Er hält sich sehr zurück."
"Dann bist du ihm also nicht willig genug. Nun, der König hat sich um deine Jungfräulichkeit zu kümmern. Das wird er wissen. Geben wir ihm noch etwas Zeit. Sicher ist es die Verantwortung, die sein Gemächt nicht aufrecht stehen lässt", knurrte er unzufrieden. Die Bindung zwischen Glan und Tyrell musste weiter gefestigt werden, und Thairas Zickenhaftigkeit machte es nicht gerade leichter, den Plan seines Vetters zu verfolgen. "Sie muss werfen, bald schon", hatte der Rote Narr gesagt.
"Ja, natürlich", antwortete Thaira.
"Morgen wirst du die schönste Frau auf dem Fest sein. Verstanden?"
"Ja, Ivar."
"Es heißt Mylord."
"Ja, Mylord."
Ivar ließ seine Schwester und das Mahl zurück, ging in den Hof und brüllte die Angriffsbefehle, die einem genauen Zeitplan zu folgen hatten.

Lucius

Natürlich hatte er diese Einladung abgelehnt! Baelon war immer ein guter Junge gewesen, doch der heutige Kanzler des illegitimen Königs konnte nicht ernsthaft erwarten, dass Lucius von Trar den Geburtstag eines verfluchten Kindes feiern würde. So hatte er den Boten fortgeschickt, obwohl ihm der Gedanke gekommen war, sein Kopf täte sich auf den Zinnen sehr gut machen. Doch noch musste er still halten. Seine Zeit würde noch kommen.
"Zwei weitere Botschaften, Mylord", sagte die Wache.
"Von wem?"
"Die eine von der Nebelküste. Es werden Yaruner anlanden, und Sir Roymar wünscht zu wissen, ob das Haus Trar, wenn es schon nicht seinem König dient, wenigstens die Südlande sichern wird."
Lucius lachte. "Ach, dafür brauchen sie den Mann aus dem Moor?"
"Mylord, was antworten wir?"
"Man richte dem Tectarier aus, dass Haus Trar SEINE Lande schützen wird. In die Angelegenheiten Tectarias wie auch des Reiches mischt es sich nicht ein. Wie lautet die andere Nachricht?"
"Sie ist von Sir Starys. Er wünscht ein Treffen, Mylord."
"Um mich zu erdolchen, weil sein armer Stolz noch immer gekränkt ist?", fauchte Lucius.
"Nein, er wünscht über ein Stück Land zu verhandeln."
Das wunderte den Werwolf nun doch. Was hatte der Anführer des Schwarzen Stabes nun wieder im Sinn? Das Bedauern, den Knappen damals unwissend gelassen zu haben, war schon lange dem Zorn gewichen. Wie konnte Starys sich nur diesem illegitimen König anschließen? Sicher, es war seine eigene Schuld, aber sah denn niemand, wie unrechtmäßig Petyr herrschte? "Dann sagt auch ihm, er möge sich verpissen. Sagt es ihm genau so."
"Ja, Mylord", antwortete die Wache und ging.
Lucius erwartete bald die Hexe zurück. Er wollte genau wissen, was die Paladina Waldwachts mit ihr zu besprechen hatte. Dem Erlenkönig dankte er jeden Tag für ihre Weisheit, und doch war er sich sicher, eines Tages würde sie ihn fallen lassen. Sobald Velthan gefunden wäre, und er den Burschen als Mündel aufnehmen wollen würde. Nun, der Tag war fern, denn Velthans Spur hatte sich scheinbar für immer verloren.
Was die Yaruner anging, so machte er sich keine Sorgen. Er hatte damals genug Gold bezahlt, um einen Teil der Familie Glan zu töten. Leider hatte es die Falschen erwischt. Aber das war nicht mehr zu ändern. Seine Gedanken konnte er nicht mehr beenden, als ein Gast ihn unbedingt sprechen wollte.
"Wer?"
"Lord Giltheas."
Heute gingen sie hier ein und aus. Bevor die Wache mit den Nachrichten gekommen war, hatte ihn sogar Dryrs Spitzohr besucht. Nun, es war ein recht fruchtbares Gespräch geworden.

Baelon

Nachdem er seine Runde beendet hatte, warf er den Weinkrug zornig gegen die Mauer. Wie konnte ihnen der Spaziergang der Prinzessin entgangen sein? Clavius würde sich nach dem Fest dafür verantworten müssen, sofern nicht auch dort irgendwas geschehen würde. Er schwor sich, wenn seiner Nichte auch nur ein Haar gekrümmt werden würde, er würde sich vergessen. Die Drohungen Petyrs gegen das Mädchen waren eindeutig gewesen, sodass Baelon keine Wahl gehabt hatte, als sich zu fügen. Ansonsten wären die bretonischen Verhältnisse andere geworden, da war er sich sogar ganz sicher gewesen. Doch Sir Allyen hatte ihm geraten, lieber abzuwarten. "Warten wir den Geburtstag der kleinen Prinzessin ab, Lord Baelon. Seine Majestät kann es unmöglich wagen, ihr etwas an jenem Tage anzutun. Außerdem sind die Drohungen Euch, mir und auch Sir Belforr bekannt", hatte er gesagt.
Baelon hatte zugestimmt. "Es muss an diesem Tage und überhaupt an jedem Tage für die absolute Sicherheit Prinzessin Alysares gesorgt sein."
"Ja, Mylord."
Nun saß er wieder allein in seiner Kammer. Der Ausflug in den Norden war ihm ganz recht gewesen. Dort waren die Menschen einfach, geradeaus und entschlossen. Sie waren würdige Gegner und noch würdigere Freunde. Aus dem Grund hatte Baelon den neuen Lethos gebeten, seinem Bruder ins Gewissen zu reden. Nur MIT dem Norden konnte er das Reich einen. Ohne den Norden wäre es aus, hatte er Ascanio gebeten, dem König genau so gegenüber zu treten. Dass diese Argumente erfolgreich wären, daran hatte Baelon nicht geglaubt. Dass aber tatsächlich der Völsungar Skogung von Irinias Zelle in eine andere verlegt worden war, ließ Baelon Hoffnung schöpfen, sodass er den Weg in den Norden umso angenehmer empfunden hatte.
Aber er war wieder hier. Allein. Ohne Beistand in diesen schwarzen Tagen. Ohne Thaira. Die Königin sollte bald schwanger werden, war Tyrells eindeutige Drohung gewesen, und Baelon hoffte, Ivar würde den heutigen Abend nicht nutzen, die Sache anzusprechen. Das ging keinen etwas an, nein, keinen. Insgeheim hoffte er, Thaira würde niemals ein Kind von Petyr bekommen. Dass Alysare so ohne Makel, so rein und wunderbar war, das war bereits ein Segen des Liras gewesen. Der Priester, der dabei war, als das Kind auf die Welt gekommen war, hatte geahnt, wer der wirkliche Vater gewesen war. Nun, Giltheas war jetzt unerreichbar, und seine Machtdemonstration war eindeutig gewesen. Man sollte ihn nicht erzürnen. Es kostete zum Glück wenig Mühe, selbst Sir Starys und Petyr davon zu überzeugen, wohingegen der Hund des Eisenwalls ein härterer Brocken werden würde.
Dass dieser Schlächter eingeladen war, ließ Baelon auch nicht gerade ruhiger werden.
"Bringt mir mehr Wein, mir ist durstig!", knurrte er.

Alysare

Sie schlich so gern allein durch die großen Gänge und Hallen des Palastes! Dabei war sie immer ganz leise und vorsichtig, weil überall die Bretonianer wachten. Wenn man sie finden würde, das würde bestimmt Ärger geben. Darum stellte sie sich vor, sie würde einem dunklen Ungeheuer entkommen wollen. So wie diese Ungeheuer von diesem schwarzen Lord, von dem alle gesprochen hatten:
"Ich fordere Rache!", hatte der Griesgram aus Eisenwall geschmettert.
"Bitte", hatte Mutter gesagt, "beruhigt Euch doch, Lord Dryr."
"Der schwarze Lord hat seine Bestien geschickt, und Hetfrau Branda hat ein Bündnis mit ihm!"
"Macht Euch doch nicht lächerlich, Mylord, glaubt Ihr ehrlich, die stolzen Nordleute verbünden sich mit den dunklen Ungeheuern von Lord Giltheas?"
"Ich will Seine Majestät sprechen."
Ihre Mutter hatte gelächelt. Dann hatten viele immer Angst, nur Alysare nicht, denn es war ja ihre Mutter. "König Petyr ist gerade unabkömmlich, aber ich kann Euch gern zum Kanzler führen."
"Bitte, dann eben Baelon!"
"Lord Baelon."
"Wie Ihr meint", hatte der Griesgram gesagt und war ihr dann gefolgt. Sie liebte ihren Onkel Baelon. Immer wenn sie im Garten saßen und er ihr Geschichten von edlen Rittern und gütigen Königen erzählte, war er immer so traurig. "Was hast du denn, Onkel?"
"Versprich mir, Alysare, du wirst immer edel und gerecht sein, ja?"
"Ja, Onkel Baelon, das will ich sein!"
Die Ungeheuer waren wieder auf ihrer Fährte. Aber sie kannte alle geheimen Schlupfwinkel, kletterte durch einen ungenutzten Kamin und war schon im Garten. Schnell huschte sie hinter einen Baum. Denn da war ein furchtbares Geräusch, ein Krächzen oder so etwas. Sie hielt die Hand vor ihren Mund und atmete ganz leise.
"Keine Sorge, edle Dame. Ich bin ein Freund", sagte der große seltsame Mann.
"Und wie konntet Ihr hier herein kommen?"
"Ich bin ein Freund deines Onkels."
"Onkel Baelons Freunde sind auch ganz bestimmt meine Freunde, aber ich rufe besser die Wachen", sagte sie vorsichtig.
"Nun, dann werden sie merken, dass du heimlich verschwunden bist, oder? Dann kriegen wir beide Ärger. Ich schlage dir etwas vor, ja?"
"Aber schnell", drohte Alysare dem Fremden.
"Ich gehe und du gehst und wir waren nie hier, hm?"
"Das klingt annehmbar."
"Danke", sagte er freundlich.
Dann war der Mann sehr eilig damit, den Garten über eine Mauer zu verlassen. So schnell und leise, wie er wohl gekommen war. Etwas glitzerte im Gras. Es war wunderschön. Sie würde es der Königin schenken, die doch immer so traurig war wie Onkel Baelon.
Alea iacta est.

Die Würfel sind gefallen!

Benutzeravatar
Meister
Beiträge:916
Registriert:22 Dez 2006, 22:48

Beitrag von Meister » 22 Sep 2010, 15:43

Mercutio

"Ist alles vorbereitet? Bruder Owen soll keinesfalls den Eindruck haben, wir wären kleinlich", sagte der schwarze Lord und prüfte die Speisen, die man vorbereitet hatte. Eine bescheidene Mahlzeit sollte es sein, angemessen. Denn weniger sollte es um Hunger gehen, als um die Zukunft vieler. Mercutio war entschlossen, seine Angelegenheiten zu regeln. Es würde um die Kirche gehen und um den Drachen. Um alte Worte und neue Zeiten. Um die Dunkelheit und um das Licht. Wenn es einer verstehen würde, dann Bruder Owen, den er so lange schon beobachtet hatte.
"Alles wird zu Eurer Zufriedenheit sein, Mylord", sagte der Diener.
"Gut. Du darfst gehen."
Mercutio von Giltheas lief um die Tafel herum, richtete etwas Besteck und schickte einige Wachen fort. Bruder Owen würde es nicht wagen, die Hand gegen seinen Wohltäter zu erheben, gegen den Hüter des Schwarzen Schreckens und den, der das Lügengebäude Bretonia mit nur einem Wort zerstören könnte. Nein, nein, das würde er nicht. Zwar war ihm zu Ohren gekommen, dass Bruder Owen bei dem Zwischenfall am Räuberturm beteiligt gewesen war, aber darüber würde er hinweg sehen. Hier ging es um Größeres, und das Buch war nicht für immer verloren. Die Nordfrau würde es ihm bald sogar freiwillig geben, davon war er überzeugt. Sie würde einsehen und verstehen. Wie alle. Seine Mission war heilig.
"Sind die neuen Messdiener eingetroffen?", fragte er einen Offizier der Drakoskrieger, als er wieder durch seine Truppen schritt.
"Ja, Mylord, wie Ihr gesagt habt."
Mercutio betrachtete die Männer und Frauen, wie sie in Lumpen vor ihm standen. "Bald geht Ihr zu Eurem Wohltäter. Vorher wollen wir gemeinsam ein Gebet sprechen, liebe Freunde."
Bereitwillig folgten die Sklaven seinem Willen. Dann ließ man sie ihrer Wege gehen, in den Tiefenwald.

Ivar

"Wo ist mein Gefangener?", knurrte Ivar von Tyrell. Der Kastellan senkte den Kopf und überließ lieber dem Hauptmann das Reden:
"Mylord, es hat einen Angriff gegeben. Einen hatten wir, aber er konnte wieder entkommen."
"Wer hat den Transport angegriffen, und warum hat König Petyr ihn nicht besser bewachen lassen?"
"Es waren die Gesetzlosen aus dem Norden. Doch man hat auch gesehen, wie Späher von Lord Giltheas die Szenerie beobachtet haben."
Ivar knurrte erneut. "Eine Szenerie nennt Ihr das, Hauptmann? Die Soldaten des Königs waren unfähig, einen simplen Transport zu bewachen. Waren denn keine Bretonianer dabei? Ach, lasst mich raten, sie entwerfen Speisepläne, ja? Für das nächste große Fest?"
"Speisepläne, Mylord?", fragte der Hauptmann verwirrt.
"Verschwindet!", befahl Ivar. Er konnte heute unmöglich noch mehr Unfähigkeit ertragen. Seine Schwester war durch die Hand Gloriannas gestorben, und gleichsam versagte man nun, den Gefangenen, auf den er bestanden hatte, sicher hierher zu bringen. Thaira war eine Jungfer geblieben. Was für eine Schande. Hätte er etwa selbst Hand anlegen sollen, um dem König einen Erben zu schenken? Wohl kaum, das war abartig. Man durfte also gespannt sein, wer den König nun heiraten würde. Denn einen Erben brauchte Petyr. Nur hatte Ivar leider keine weiteren Schwestern. Das Bündnis war geschwächt. Doch Haus Glan war sich hoffentlich bewusst, welche Macht Tyrell bot. Auch ohne eine Ehefrau aus dem Hause Tyrell musste Petyr sich fügen. Aber die Gerüchte, der König verliere langsam den Verstand, die waren auch nicht unbedingt beruhigend.
"Ich hoffe, du hast gute Nachrichten", sagte er, als sein Vetter eintrat.
Der Rote Narr kicherte. "Nö. Es sei denn, du nennst es gute Neuigkeiten, wenn Martus von Brioless und Roan von Carmon dem Lord Caenor einen Freundschaftsbesuch abstatten?"
"Wie bitte? Brioless? Carmon? Wenn du mir nun sagst, Melther war auch dabei, vergesse ich mich."
"Nein, war er nicht. Aber er ist wohlauf und vermutlich im Tiefenwald, wo sich die Paladina verkriecht. Ach, hätte Helmart den Wald nur entflammen lassen", sagte der Narr traurig.
"Hätte, wäre. Was wurde besprochen?"
"Keine Ahnung."
"Was weißt du noch?"
"Die Mine ist vernichtet..."
Das war nichts Neues. Als Ivar diese Neuigkeit gehört hatte, da waren ihm gleich zwei Zofen zum Opfer gefallen, um sein Feuer zu stillen, das sein Blut hatte kochen lassen. Die Weiber dürften wohl wochenlang breitbeinig gehen. "Weiter."
"Keine Nachricht von Sir Gregorius."
Auch das noch. Wenn die Dinge mal nicht recht liefen, dann gleich alle und zwar gleichzeitig. So war es immer schon gewesen. Sir Gregorius sagte nie ein Wort, aber das musste er auch nicht. Wichtiger waren die Taten des Schwarzen Ritters. Bereits nach dem Treueschwur, den Ivar als junger Bursche miterlebt hatte, da hatte sich Sir Gregorius seinem Vater angeschlossen und ihm treu gedient, obwohl ihm eine Hand fehlte. Er hatte sie bei einer Turney verloren, doch es hielt ihn nie davon ab, seine Feinde zu zerschmettern. Wenn es keine Neuigkeit von Gregorius gab, dann war ihm etwas geschehen. "Schick eine Nachricht an König Petyr. Ich wünsche eine Erklärung. Und ebenso berichte ihm, dass Haus Tyrell sehr unzufrieden ist."
"Ja, Mylord, gern", kicherte der Rote Narr.
"Aber sag mir noch eines."
"Ja?"
"Ich hörte, der König verliert den Verstand. Du hast nicht zufällig etwas mit zu tun?"

Lucius

"Was kümmert es mich, dass sie tot ist?", polterte Lucius von Trar. Der Tod der Königin hatte für ihn keine große Bedeutung. Er konnte nicht unbedingt sagen, dass es ein Nachteil wäre, schwächte der Tod einer Tyrell doch das Bündnis Petyrs mit Ivar, aber zweifellos hätte er das auf andere Weise erledigt. Wenn man königliches Blut auslöschte, dann fern des Palastes. Denn geschah es mitten im Herz des Reiches, dann würden einige Fragen und Untersuchungen ausreichen, und man würde schnell zum Verdächtigen werden, weil jeder verdächtig war. Der Täter musste sehr dumm sein, dachte er und lachte.
"Mylord, man beschuldigt Lady Glorianna", sagte der Bote.
"So? Na, das wird sie ärgern. Wer traut es ihr denn ehrlich zu? Niemand. Das ist Gewäsch, nichts weiter."
"Lord Dryr behauptet, es wäre wahr."
"Lord Dryr? Dieser Schlachtmeister will seinen Krieg, und den hat er nun."
"Glaubt Ihr, er war es?", fragte ein anderer.
"Blödsinn! Könnt Ihr Euch etwa vorstellen, dass Dryr seine Kriege mit Gift ausfechtet? Er mag dumm sein, aber der Täter war noch dümmer." Dass er selbst vor langer Zeit Gift benutzt hatte, verschwieg er besser.
Die Alte kicherte. "Dryr ist es nicht gewesen. Aber vielleicht Esthelion."
"Eine Möglichkeit", gab Lucius zu. Der Elaya, der keiner war, hatte ganz sicher die Möglichkeiten. "Was für ein Gift war es?"
"Klammernder Tod, nach dem, was man sagt", sprach die Alte.
"Dann ist Esthelion mehr als nur eine Möglichkeit."
Der Rat wurde unterbrochen, und Lucius traute seinen Augen nicht, als Oshinya eintrat. Die Alte senkte plötzlich den Kopf und wimmerte. "Er ist tot. Der Sohn der Erlen ist tot, nicht wahr?", fragte sie die freie Frau.
Oshinya nickte. "Ich habe Nachricht von meiner Schwester Kithei. Irinia von Glan ist für das Ende Skogungs zu verantworten. Skjalgur, ein Gefährte, hat seinem Herrn das Ende nur geschenkt, welches die Hexe der Glans vorbereitet hat."
"Woher weiß sie das?", fragte Lucius.
"Grimo hat es gesehen. Und das Wilderland weinte."
Grimo. Den hatte er schon lange nicht mehr gesehen. Kitheis gestaltwandelnder Sohn sah viele Dinge in seinen Träumen. Sie wird ihn also befragt haben. "Was wird das Moorvolk tun, wenn die Wilderländer kämpfen?"
"Wir schließen uns an. Und auch du, Lord Trar."
Er wusste es. Dass der Tag kommen würde, hatte er immer geahnt. Aber wollte er nicht warten, bis die großen Häuser die Schlachten geschlagen hatten? Genau wie Giltheas wollte er abwarten. "Wir sind noch nicht bereit", murrte er.
"Ihr müsst es aber sein", mahnte Oshinya, "allein um Velthan zu retten."
"Wir wissen nicht, wo er ist."
"Der Lebaner Owen hat den Blauen Turm verlassen. Und wir wissen, dass Giltheas bei ihm war. Wenn Velthan dort ist, werden wir es sehen, wenn wir nur Owen folgen", sagte die Alte.
"Dann macht es so. Und sagt meinen Wölfen, dass die Zeit des Wartens endet", befahl er widerwillig.

Petyr

"Ich habe die Königin ermordet, ich war es!", rief Petyr und lachte. Dass ihm die Tränen in die Augen stiegen, derweil er weinte, bemerkte er, doch er konnte es nicht verhindern, wie er auch seine Worte, die wie Hagelkörner aus düsteren Wolken zu fallen schienen, nicht davon abhalten konnte, durch sein Gemach, die Gänge und Höfe des Palastes zu schallen, der ihm nunmehr vorkam wie ein Vorhof zur Hölle, ein Bollwerk aus echohaftem Gelächter, das ihn verspottete, weil er Hand angelegt hatte an dem Weibe, das ihm einen Erben hätte schenken sollen. "Nein, ich war es nicht, es war Glorianna, diese falsche Schlange! Sie hat mich um meinen Erben betrogen!", schrie er dann.
Eigentlich stimmte das auch nicht. Hatte er nicht sich selbst darum betrogen, weil er lieber sein Gemächt in die Lenden seiner hässlichen Schwester tauchen wollte? Thaira war schön gewesen, gewiss, doch seine Aufmerksamkeit galt seit jeher Irinia. Sie, die ihn getröstet hatte, nachdem Mutter gestorben war. Sie, die ihn so wahnsinnig liebte. Irinia hatte Mutters Augen, ja. Der Rest war hässlicher als ein Schwein, doch ihn befriedigen, das konnte sie. Die Leute hatten ja keine Ahnung, dass Irinia unter dem Kleid eine Augenweide war. Ja, vielleicht sollte er sie heiraten? Er war doch der König! Er könnte ein Gesetz erlassen und die Ehe zwischen königlichen Geschwistern erlauben. Niemand, selbst die, die ihn so hassten, könnte das verhindern! Aber ob der Lethos dem zustimmen würde?
"Lethos Ascanio, Ihr dürft gehen", sagte Petyr leise.
"Majestät, seid Ihr Euch sicher? Man sollte Euch nicht allein lassen."
"Dann schickt meine Schwester her!"
Der Lethos schüttelte den Kopf. "Majestät, Ihr habt Eurer Schwester die Entscheidungsgewalt gegeben. Sie ist sehr beschäftigt."
"Ach ja, richtig. Dann schickt mir Clavius."
"Majestät, Clavius ist gerade im Quartier der Bretonianer, es hat einen Zwischenfall gegeben."
Daran war Petyr nicht interessiert. Sollte das Reich doch vor die Hunde gehen, solang er dabei nicht allein war, solang er Irinia hatte. "Die Prinzessin. Ich möchte mit der Prinzessin sprechen."
"Gewiss, Majestät, ich werde eine Zofe bitten, sie zu begleiten."
Ja. Alysare war ebenso traurig. Glorianna hatte das arme Kind benutzt, um die Königin zu ermorden. So wollten sie also ihn und das Reich schwächen. Das Reich, dessen Bedeutung er immer weniger kannte. Wollte er es nicht einen, war das nicht sein Ziel gewesen? Er erinnerte sich kaum noch. Nachts träumte er, wie die Häuser der Armen in Flammen standen, bis die Haut der Menschen sich wie die Haut eines faulen Apfels abschälen ließ und er ein Gewand aus menschlichem Abfall tragen konnte. Abfall wie er selbst. Kehricht. "Und schickt mir auch einen Schneider!", befahl er noch.
Alysare und eine Zofe traten ein, machten einen höflichen Knicks. "Majestät", sagte die Prinzessin leise.
"Raus mit dir!", fuhr er die Zofe an.
"Aber Majestät, Sir Allyen besteht darauf, dass die Prinzessin nicht allein durch den Palast streift", sprach die Zofe leise.
"Willst du, dass ich dir deinen dummen Mund zunähen lasse, wenn mein Schneider hier ist? Raus mit dir, sie ist nicht allein!"
Die Zofe war sehr folgsam. Petyr nahm die Hand Alysares, die ganz kalt war. "Armes Kind. Was ist nur geschehen, nicht wahr?"
"Majestät, ich bin so traurig", schluchzte sie.
"Ich bin dein Onkel Petyr. Du nennst meinen Bruder doch auch Onkel."
"Ja, aber Onkel Baelon ist nicht der König. Wo ist Baelon eigentlich?"
Petyrs Stimme überschlug sich. "Baelon, Baelon, Baelon! Ich bin Petyr! Onkel Petyr! Ich bin sogar mehr als das!"
Sie zuckte zusammen. "Wie meint Ihr, Onkel?"
Fast hätte er die Beherrschung verloren. Es war doch das größte Geheimnis, das er mit Irinia teilte! Niemand, auch nicht Alysare, durfte es erfahren. Wie gern würde er das Kind umarmen und es Tochter nennen, stolz seine Erbin zeigen, dem Volke zeigen, wie einig das Reich mit einer Erbin war. Und zwar nicht mit diesem dummen Mädchen Theresia, sondern mit der wahren Erbin, mit Alysare. Aber weil auch die Götter und das Schicksal ihn hassten, sonst hätte man ihm nicht diese Bürde des Schweigens auferlegt, durfte er das nicht. "Schon gut, Alysare. Möchtest du zusehen, wie man mir ein neues Gewand schneidert?", fragte er sie.
"Ja, das wäre schön."
Als die Türe sich öffnete und ein Schneider eintrat, ließ er auch Sir Jamrish rufen. "Haben wir Gefangene im Kerker, über die ich noch zu richten habe?"
"Jawohl, mein König", sagte Jamrish, "aber Lady Irinia hat diese Angelegenheiten nun übernommen."
"Bringt mir einen her, ich brauche neue Kleidung!"

Roan

Roan von Carmon. Der Mann, der Caldorvan von Torbrin niedergestreckt hatte. Er erinnerte sich, wie warm es an diesem Tag gewesen war. Man hatte für die Damen extra Zelte aufgestellt, dass sie sich keinen Hitzschlag holten in diesen Tagen des Hochsommers. Viele Lehnsherren waren dem Ruf König Lerhons gefolgt, ihren Treueschwur zu erneuern, dem rechtmäßigen König des Reiches Bretonia als treuer Vasall zur Seite zu stehen. Dank der Hilfe der Nordmannen war der Bürgerkrieg beendet worden, und Hetman Rokil aus Nordstein sollte an jenem Ehrentag seinen Eid leisten. Die Rebellion der Torbrins war gebrochen worden, und Caldorvan wurde ebenso zum Treueschwur bestellt. Doch als er seinen Schwur leisten sollte, spuckte er auf des Königs Füße. Roan war sofort eingeschritten und hatte im Namen Lerhons Satisfaktion gefordert. Er bekam sie. Er tötete Caldorvan im Zweikampf.
"Zerhackt die Schlange und verscharrt die Überreste im Moor, wo sie herkommt", hatte Roan seinen Mannen befohlen. Dann ging das Fest weiter. Die Burg der Torbrins wurde sein Protektorat. So war es viele Jahre, zu den Zeiten des Kanzlers Konrad von Rotfels, sogar bis Aurelia von Torbrin, die so ganz anders war als der Rest dieser verkommenen Sippe, hielten die Carmons die Burg. Dann kam der Krieg gegen die Dunklen Alten, und Roans Heer ritt Seite an Seite mit Brioless in die Schlacht. Theophil übernahm die Burg, die ihrem Abschaum treu bleiben sollte, bis Trar sie nahm.
Roan von Carmon. Der Mann, der Caldorvan von Torbrin niedergestreckt hatte. Und nun, so hieß es, war Caldorvan zurück, als rastloser Untoter. Als sie auf dem Weg zu Caenors Burg gewesen waren - einst ein Kastell der Torbrins, dann der Dunkelwalds, die den Tod Aurelias zu verantworten hatten, schließlich eine Burg der Hun und nun wieder bretonisches Lehen - da hatten sie von den Bauern der Gegend die seltsamsten Dinge gehört. Von einem Geist, der durch die Lande zog und Gerechtigkeit suchte. "Die Königin war's!", riefen die Leute. Und sie riefen es alle. "Caldorvan ist bei ihr!", brüllte ein anderer. Er wurde den Tod nicht los. Den schwarzen Schatten, den er glaubte, für immer beseitigt zu haben.
Roan von Carmon. Der Mann, der Caldorvan von Torbrin niedergestreckt hatte. Wieder ritt er an Briolessens Seite, als sie die Tore von Hohenfels passiert hatten, unter den ausdruckslosen Augen der Eunuchen. Jargu von Caenor hatte sie freundlich begrüßt. "Liras zum Gruße, Mylords. Willkommen in Hohenfels. Und ich sage es gleich: Ich bin nicht der Flusskönig. Ich bin ein Lord, der dem Reich zur alten Größe verhelfen will."
"Ist das so?", fragte Roan skeptisch.
"Es ist eine Tatsache, Lord Roan."
"Nun, wir sind hier, um dies zu ergründen", sagte Brioless.
Caenor nickte. "Ich verstehe, was Euch beunruhigt, Mylords."
"Sagt es uns", sprach Brioless.
"Erstens, dass Lord Giltheas und ich ein Abkommen haben. Ich kann Euch versichern, dass es auch Euch ein Vorteil sein wird. Immerhin wird der schwarze Lord gezähmt sein. Dieser Mann hält sich an Absprachen."
Roan kannte Giltheas nicht gut, aber was die Absprachen betraf, so könnte Caenor richtig liegen. Als Lebaner und damaliger Hohepriester war er sehr von der Gerechtigkeit Lebans überzeugt. "Das mag sein, doch was geschieht, wenn Giltheas mehr will als nur Thronprotektor zu sein?"
"Dann breche ich meine Waffenruhe mit ihm", sagte Caenor.
"Ihr seid von Eurer Armee überzeugt", meinte Brioless und ließ sich seinen Weinkrug füllen.
"Nun, sie sind zuverlässig und treu."
Roan trank auch einen Schluck. "Könnte wohl sein. Was ist mit der Hun, die sie ausbildet? Sie kann da einen interessanten Trick, nicht wahr?"
"Ihr meint, wie sie spricht? Nun, ich hörte, ihre Schwester kann auf ihrem Körper Bilder malen. Das sind doch nur Zaubertricks", versicherte Caenor.
"Mir geht es um Folgendes: Was geschieht mit den Eunuchen nach dem Krieg? Wenn ihre Dienste getan sind, wenn sie nicht mehr benötigt werden, oder wenn sie eigene Ambitionen entwickeln?", warf Brioless ein, und Roan nickte lediglich. Das war genau seine Sorge.
"Ich gedenke, sie in die Freiheit zu entlassen. Die Hun wird sie mitnehmen nach Samariq. Es gibt noch Städte dort, die Sklavenhandel betreiben. Nicht sehr rühmlich, aber mich sorgt es nicht, solange Lady Theresia das bekommt, was sie verdient."
"Und das wäre?", fragte Roan.
"Den Thron."
Roan lächelte. "Und einen Ehemann, nicht wahr?"
Caenor versicherte, dass er zwar werben würde, aber dem Glücklichen, den sie an seiner Stelle wählen könnte, alles Glück wünschen würde, solang die Glans ausgelöscht und das Reich seine wahre Königin hätte. Danach besprachen sie alle Details, die zu einem Bündnis führen würden. Roan und Brioless erbaten sich die übliche Bedenkzeit und verließen Hohenfels.
Roan von Carmon. Der Mann, der Caldorvan von Torbrin niedergestreckt hatte. Der Mann ohne Armee, dachte Roan, als er die Eunuchen noch einmal betrachtete.

Allyen

"Bretonianer Clavius, ich wünsche eine Liste all derer, die eingeweiht wurden, was den Speiseplan angeht", befahl Sir Allyen.
Clavius salutierte. "Jawohl, Sir. Doch ich muss Euch mitteilen, dass diese Liste zusammen mit allen anderen Dokumenten beschlagnahmt wurde."
Das war ja interessant. Allyen hatte Mühe, sich zu beherrschen. "Und von wem, wenn ich fragen darf? Und wann?"
"Sir Starys. Er fühlt sich persönlich verantwortlich und macht sich große Vorwürfe. Er hat die Dokumente nach der Verhaftung Lord Baelons an sich genommen. Ich vermute, er sucht selbst nach dem Täter."
"Ein Bretonianer hat keine Vermutungen aufzustellen, sondern Befehle zu befolgen! Ist das klar?", raunte Allyen.
"Jawohl, Sir."
Die Tür zur Amtsstube öffnete sich und ein weiterer Bretonianer trat ein. "Sir Allyen, Clavius, ich fürchte, es gibt Schwierigkeiten. Der Gefangenentransport ist angegriffen worden. Es gibt einen Überlebenden. Jelmart. Er wird gerade versorgt."
"Geht schon", befahl Allyen, "ich werde persönlich mit Sir Starys sprechen!"
Clavius und sein Waffenbruder verließen das Zimmer und ließen Allyen allein. Der Angriff war also erfolgreich gewesen. Zwar war Lord Baelon in Lady Irinias Gewahrsam, doch wenigstens konnten die Verbündeten aus dem Norden Skogung befreien. Ein Erfolg, zweifellos. Sir Marryn hatte dem Zeugmeister eine Menge Gold gegeben, damit der markierte Wagen auf keiner Liste auftauchen würde und Marryns Besuch in den Stallungen nicht dokumentiert werden würde.
Allyen nahm sein Schwert, verschloss die Tür und lief durch die düsteren Gänge, bis er Sir Starys im Hof ausmachen konnte. "Sir Starys, ich grüße Euch."
"Liras mit Euch, Sir Allyen. Ich lasse die Rekruten Sonderübungen machen. Nach diesem traurigen Abend müssen sie auf andere Gedanken kommen. Eine Schande, was der Norden und Glorianna angerichtet haben."
Allyen zuckte nicht, ließ seine Augen stur auf Starys gerichtet. Diese Schlange wusste etwas. Er würde es sonst nicht so betonen. "Ja, eine Tragödie. Wenn Ihr so freundlich wäret, mir die Listen der beteiligten Bretonianer, Wachen, Diener, Köche und Vorkoster zu geben?"
"Aber Sir Allyen, hat Clavius Euch nicht gesagt, dass ich mir die Aufklärung dieser Schandtat auf meine eigenen Fahnen geschrieben habe?", fragte Starys.
"Sofern ich nicht altersmüde geworden bin oder dumm, steht es immer noch mir zu, diese Angelegenheit intern zu lösen, nicht wahr?", lautete Allyens scharf formulierte Gegenfrage.
"Lady Irinia persönlich hat mich damit betraut."
"Nachdem sie dem Gefangenen Skogung die Beine hat zerstümmeln lassen?"
"Bitte, Sir Allyen, verurteilt nicht mich dafür. Ich tue meine Pflicht, und Lady Irinia handelt im Namen des Königs. Beschwert Euch dort", sagte Starys mit einem feinen Lächeln.
Allyen antwortete nicht. Er würde eben auf andere Weise an die verdammten Listen kommen. Schnaufend stapfte er über den Hof, trampelte fast einen unvorsichtigen Rekruten nieder, bis er endlich die Mauern hinter sich lassen konnte und schon das Amtszimmer Lord Baelons sehen konnte. Eine kleine Gestalt huschte plötzlich vorbei und versteckte sich hinter einer Säule. "Nanu, wen haben wir denn da?"
"Bitte, verratet mich nicht", schluchzte Prinzessin Alysare.
"Holde Prinzessin, ich bestimmt nicht. Euch bedrückt, was vorgefallen ist, das verstehe ich nur allzu gut."
"Das ist es nicht."
Er gab ihr ein weißes Taschentuch. "Sprecht bitte, Prinzessin. Ihr dürft mir alles anvertrauen."
"Der König, mein Onkel..."
"Was ist?", fragte Allyen alarmiert.
"Er weint ganz schrecklich. Und er spuckt seine Dienerschaft an. Dann hat er, dann hat er..."
Allyen nahm die Hand der kleinen Prinzessin. "Was hat er getan?", fragte er brummend.
"Er wollte sich ein Hemd schneidern lassen. Aus der Haut eines Gefangenen", weinte sie.
"Bei Liras. Hat man das etwa zugelassen?"
"Sir Jamrish hat das beendet. Mein Onkel ist nun sehr böse auf ihn. Aber meine Mutter ist bei ihm, sie wird ihn beruhigen."
Allyen erinnerte sich, wie die Prinzessin ihm berichtet hatte, dass Lady Irinia ihr von der Traurigkeit der Königin erzählt hatte. Und nun war sie selbst so schrecklich traurig, die arme Prinzessin.
"Gewiss wird sie das", sprach Allyen tonlos, rief zwei Diener und befahl ihnen, das Kind auf sein Zimmer zu bringen. "Zwei Wachen. Und zwar Jorgen und Herod!"
Ihnen vertraute er. Doch der König, er hatte mit dem Tod der Königin tatsächlich den Verstand verloren. Allyen eilte in die Amtsstube des Kanzlers, um eine Abschrift der Liste zu finden.
"Bemüht Euch nicht, Sir Allyen, meine Dokumente sind alle bei meiner lieben Schwester gelandet."
"Lord Baelon, Ihr seid frei?"
"Wie man's nimmt. Aber es kommt noch besser. Hier, trinkt etwas Met. Den werdet Ihr brauchen..."

Kithei

Die freie Frau saß allein auf dem Fels, von dem aus sie das Lager der Wilderländer beobachten konnte. Kinder spielten mit ihren Wölfen, Hunden und Bären; Frauen wie Männer wetzten Axt und Schwert; einige besserten Zelte und Felle aus; wieder andere trafen gerade wieder von der Jagd ein. Die Späher hatten keine Bleichen in der Nähe gemeldet, es schien hier sicher zu sein. Grimo tollte in der Nähe mit ein paar der älteren Jungen herum. Alle schienen so glücklich zu sein.
Aber Kithei wusste, wie es sicher auch Oshinya und Sverka erfahren hatten, dass die guten Zeiten sich dem Ende neigten. Der Winter kam, und das fallende Herbstlaub schien selbst in Windstille zu zittern. Als hätte die Natur selbst Furcht vor dem Kommenden. Kithei blickte in den trüben Abendhimmel. Das Abendrot, eben noch stolz und rot wie Lebenssaft, versteckte sich hinter grauen Wolken.
"Kithei?", fragte Amra.
Sie schaute dem Mädchen in die braunen Augen. "Was ist, mein Kind?"
"Wir wollen Feiern. Das Ende des Sommers ist gekommen."
"Ja. Es ist gekommen", sagte sie nachdenklich, "ich komme gleich."
Marryns Falke hatte ihr vom Tod dieser Königin berichtet, von den darauf folgenden Ereignissen. Er schrieb, er hoffte, sie bald noch einmal zu sehen. Solang er es noch könnte.
"Ja, du wirst mich sehen. Aber du wirst mich nicht lieben", dachte sie laut und las noch einmal seinen Brief. Marryn hatte von dem geplanten Angriff berichtet, um Skogung zu befreien. Skogung, jener Mann, der ihr beigebracht hatte, dem Eis und den Bleichen zu widerstehen. Jener Mann, den sie auch liebte. Nie hatte sie Marryn gesagt, wie es um ihr Herz bestellt war. Dass sie niemals zu ihm an den Hof kommen würde. Er müsste schon seine Welt verlassen, aber dazu wäre er niemals bereit, das wusste sie ganz sicher.
Die kommenden Ereignisse würden ihr Volk in den Krieg treiben, den sie meiden wollten. Aber wenn das Grün bedroht war, dann wurden alle Waldkinder zu den Waffen gerufen, ob in der Steppe, im Moor oder in den Bergen. Oshinya würde dem Werwolf beistehen, Sverka dem Riesen. Und sie? Sie dem Land. Dann blickte sie auf die Wilderländer, wie sie tanzten und lachten. "Heute gönne ich ihnen noch den Frieden. Morgen marschieren wir."
Als die Sonne gar nicht mehr zu sehen war und tiefe Schatten den Regen brachten, als sie sah, wie ein junger Vogel, gerade geboren, verendete, weil er nicht aus eigener Kraft leben konnte, da wusste sie zwei Dinge:
Skogung war tot. Skogung war ihr Bruder.

Starys

Er war dem Land treu ergeben. Und das Land hatte einen König. Sir Starys scherte sich nicht darum, wie ein König auf den Thron kam, denn auch ein Eroberer hatte das Recht, König zu sein, wenn er seine Feinde besiegte - oder wenn er schneller war. Da gab es für Starys nicht den Hauch eines Zweifels. Als Trar ihn verraten hatte, wusste er, dass er dem Reich diente, während Lucius lieber um die Gunst einer Hexe buhlte. Eines Tages würde er diesem Mann zeigen, wozu die Macht des Reiches, der Schwarze Stab fähig war. Seinen Brief hatte Trar erneut mit Beleidigungen beantwortet, nun, bitte, er würde es noch verstehen. Jetzt gab es anderes tun. Der heimtückische Mord an Königin Thaira durfte nicht ungesühnt bleiben. Zwar empfand er es als seltsam, dass Sir Allyen nicht in die Ermittlungen einbezogen werden sollte, aber erstens war es der Befehl Lady Irinias und zweitens konnte es nicht schlecht sein, wenn er dadurch Sir Allyens Einfluss schwächen konnte. Die Begegnung im Hof jedenfalls war ihm eine Genugtuung gewesen.
"Wie steht es um den Mann?", fragte Starys den Heiler.
"Irgendein Schuft hat ihm die Beine abgeschlagen, dann hat man ihn notdürftig geheilt. Ich denke, ich kann wenig für ihn tun, Sir."
Starys nickte. "Dann befragen wir ihn, solang es noch geht. Wir müssen wissen, wer es war."
Der Sterbende sprach von einem wilden Angriff durch Völsungar. Dann, als Starys nochmals nachfragte, versicherte er, es wäre die Paladina und ihre Horde aus Gesetzlosen gewesen, dann waren es wieder alle gemeinsam, und dann wieder Giltheas.
"Das führt zu nichts. Lord Tyrell dürfte wenig begeistert sein", murmelte Starys.
"Er ist ohnehin recht erzürnt", meinte Sir Jamrish.
"Wen wundert es? Seine Schwester, die Königin, wurde im Hause Glan ermordet. Die Sache muss aufgeklärt werden. Erst recht, nachdem Lord Tyrell nun auch den Gefangenen verloren hat, den er ausdrücklich als Wiedergutmachung verlangt hat. Sir Jamrish, nehmt Euch ein paar Männer und durchsucht den vermaledeiten Garten noch einmal. Wir müssen wissen, wie der Missetäter bis in die Nähe der Prinzessin gelangen konnte!"
"Jawohl, Sir", sagte sein ehemaliger Knappe.
Starys wohnte der Totenwache bei. Sir Allyen trat ein, gesellte sich schweigend dazu. Dann verließ er den Raum, Starys ignorierend. "Er ist zornig", murmelte er leise, dann verließ auch er die Kammer und das Quartier der Bretonianer. Sein Weg führte ihn in die Gemächer der jungen Prinzessin Alysare.
"Sir Starys, ich hab doch schon alles gesagt."
Starys lächelte. "Dann bitte ich Euch, Prinzessin, wiederholt Euch. Wer hat Euch die Kette gegeben?"
"Es war ein Fremder. Und es war dunkel."
"Gibt es nichts, woran Ihr Euch erinnert?"
"Nein, Sir, ehrlich nicht."
"Und dann habt Ihr entschieden, der Königin die vergiftete Kette zu geben, nicht wahr?", fragte er ernst. Vielleicht würde etwas Druck sie einbrechen lassen.
"Ja, Sir", sagte sie leise, "aber ich wusste doch nicht, dass sie vergiftet war."
Starys nickte. "Natürlich nicht. Wann hat Glorianna Euch die Kette gegeben?"
"Lady Glorianna!", protestierte das Kind.
"Lady, bitte, dann eben Lady. Also, wann?"
"Gar nicht! Sie war es nicht, Sir!"
"Euer Onkel ist sehr enttäuscht und traurig, Mylady", gab Starys zu bedenken. Baelon. Er war der Schlüssel zum Herzen des Kindes.
"Was? Onkel Baelon? Geht es ihm denn gut? Enttäuscht ist er? Von mir etwa?", schluchzte sie.
"Das ist er. Und wenn Ihr nicht redet, dann wird ihm etwas zustoßen, aus Gram, denke ich."
Danach war Alysare bereit, alles zu gestehen, was Starys benötigte. Lord Dryr würde zufrieden sein.

Jargu

Die Hun kniete. Ihre sanften Lippen und die unsichtbare Zunge liebkosten ihn, und Jargu stöhnte. "Du bist tatsächlich zu allem zu gebrauchen. Erst schenkst du mir eine Armee, nun schenkst du mir noch mehr Zufriedenheit."
Sie antwortete nicht und setzte das Spiel fort. Jargu hatte Mühe, dabei einen Gedanken zu fassen. Nun, an sich sollte man dabei auch nicht denken. Aber die Begegnung mit Brioless und Carmon hatte ihn nachdenklich werden lassen. Beide waren skeptisch gewesen, was die Eunuchen betraf. Tatsächlich war es schon so, dass auch er sich sorgte, erst recht nach den Hinweisen der Nordfrau und nachdem er Caldorvan erblickt hatte. Man würde ihn eines Tages vermutlich tatsächlich übertrumpfen wollen, ebenso die Hun, die ihn gerade so angenehm behandelte. Der Blutige Stumpf. Er hatte ihn gerufen. Aber er dachte an die Eunuchen und nicht an den schwarzen Ritter. Wie war so etwas überhaupt möglich? Ein Untoter, der nun sein Heermeister wurde. Jargu hatte keine Ahnung von schwarzer Magie und Hexerei. Wie war es ihm also möglich gewesen, den Schrecken Torbrin zu entfesseln?
"Hör auf", befahl er.
Sie hielt inne. "Ist der große Lord nicht zufrieden, was mit seinem kleinen Lord geschieht?", fragte sie lächelnd.
"Ich will dich etwas fragen. Und antworte mir wahrheitsgemäß."
"Jawohl, Mylord."
"Wer hat Caldorvan gerufen?"
"Ihr, Lord Caenor."
"Belüge mich nicht. Ich habe dich und deine Eunuchen gerufen. Den Blutigen Stumpf. Nicht dieses Monster!", raunte er.
Sie lächelte unschuldig. "Das ist dasselbe."
"Sprich deutliche Worte, sonst wirst du sterben."
"Mylord, das werde ich nicht. Legt Hand an an mir, und die Eunuchen machen Euch zu einem der ihren", zischte sie dabei.
Daran hatte er keinen Zweifel. "Es ist Magie nötig, um den Untoten zu rufen. Wer hat das getan? Das ist alles, was ich wissen will", sagte er, als er erkannte, dass er keine Wahl mehr hatte, als dem Willen des Stumpfes zu folgen.
"Lord Trar."
"Das ist eine Lüge. Lord Trar ist kein Freund von schwarzer Magie."
"Dann wart Ihr es doch?", lächelte sie.
"Nein. Ich habe Euch gerufen. Aber nicht ihn. Man sagt, Sir Gregorius und Caldorvan wären dieselbe Person. Steckt Tyrell dahinter?"
"Wir interessieren uns nicht für Tyrell. Mylord, ich weiß nicht, wer Caldorvan gerufen hat. Aber als wir zu Euch kamen, war er mit uns. Und er dient der großen Sache."
"Und was ist diese große Sache?"
"Der Drachenfürst wird sterben. Und die Liebende wird den König erstechen."
"Petyr? Sein Weib ist tot."
Wieder lächelte die Hun. "Wer sagt, dass es um Petyr geht? Das Reich wird noch viele Herrscher sehen, Lord Caenor. Betet, dass Ihr der letzte sein werdet, der dem sterbenden König nachfolgt."
Dann spielte sie wieder mit seinen Lenden. Jargu lehnte sich zurück, schloss die Augen und dachte daran, Theresia zu verführen. König Jargu von Caenor, dachte er.
"Ja, mein kleiner König", sagte sie und lutschte.

Roymar

"Die Wache der Nacht erobert den Drachenfürsten, sonst wird das Land der Aufgehenden Sonne fallen. Der König fällt durch einen Dolch, den die Liebende trägt", murmelte Sir Roymar von Farth und wiederholte die Weissagung des Gesandten Yaruns, der mit seiner Armee, riesig genug, eine ganze Stadt zu plündern und die doch nur eine Vorhut war, seinen Soldaten gegenüber stand. In den letzten Tagen hatte man sich angenähert, teilweise an gemeinsamen Feuern gesessen. Es war eine ebenso absurde wie ernste Lage, in der sich alle Beteiligten befanden. Er, der in Ungnade gefallene tectarische General, sollte ein Reich schützen, dessen König er ebenso stürzen wollte wie die Yaruner selbst, sollte die Weissagung nicht entsprechend befolgt werden.
"Reis nennt man das, nicht wahr?", fragte Roymar einen der Yaruner.
"So ist es, General. Er lässt sich vielfältig einsetzen", erklärte der Samurai.
"Mh, ich verstehe. Wie ein gutes Beil, nicht wahr?", murmelte er.
"Eher wie guter Wein", antwortete der Yaruner.
So verliefen diese Gespräche. Jeder wusste, was auf dem Spiel stand und dass man in knapp einem Monat Feinde sein könnte, und doch verhielt man sich hier wie in einem gemeinsamen Lager. Die Yaruner sahen in ihrem Feldzug keinen anderen Sinn, als den Weissagungen zu folgen. Ansonsten hegten sie keinerlei Groll gegen Roymars Soldaten oder gegen Bretonia. Wer auch immer die Liebende war, wer auch immer der Drachenfürst, man konnte nur hoffen und beten, dass es sie beide auch wirklich gab.
"General? Nachricht aus Bretonia", sagte ein Meldereiter.
"Seid Ihr von dort aus bis an diese schimmelige Küste geprescht, Soldat?"
"Ja, Sir."
"Dann erholt Euch mindestens eine Nacht. Esst Reis, die Yaruner haben eine Menge davon", brummte Roymar und las das Pergament. Die Königin gestorben, Dryr würde bald den Norden angreifen, der König kaum bei Verstand.
"Na fein, und ich hocke am Ende der Welt und warte, bis wir uns die Schädel spalten", knurrte er. Dann erhob er sich, ließ sich noch etwas von diesem interessanten Reisschnaps bringen, um den Abend nicht ganz allein verbringen zu müssen. Er dachte an seinen Sohn, der im Kampf gefallen war, an seine liebende Frau, die in Tectaria allein eine einsame Villa zu behüten hatte. Wenn man in Ungnade fiel, wurde man in ferne Einsätze geschickt, damit das Gerede daheim ausblieb. Die Eheleute wurden dabei natürlich außer Acht gelassen. So war das immer schon gewesen. Er dachte daran, wie sie nun auf dem Balkon stand, nach Osten schaute, um sich die bretonische Küste vorzustellen, an der ihr edler Mann für das Reich stritt. Dass er in Wahrheit mit dem Feind speiste und trank, würde sie wohl kaum ahnen. Ein leiser Windhauch berührte Roymars Haar, er zog sein Schwert und fuhr herum. "Wer da?"
Da sah er eine Frau, weiß wie Schnee, aber sanft wie ein Seidenumhang, hinter dem ein Licht schimmerte.
"Gerechtigkeit...", flüsterte der Geist.

Baelon

Thaira. Seine Tränen waren kaum getrocknet, da flossen sie wieder über seine kalten Wangen. Den Hunger nahm er kaum wahr, auch nicht den Durst, während er das Gefühl hatte, im Kerker zu verrotten. Gefoltert hatte man ihn nicht; sicher wollte Petyr seinen Bruder unversehrt wissen, denn die Proteste der Ritter, bis auf Starys und Jamrish, würden kaum verstummen.
Er malte mit dem Finger Thairas Namen in den Staub, den er sich mit Ratten teilte. Sobald eine über die Buchstaben trippelte, trat er mit dem Stiefel nach ihr. Einmal hatte er eine erwischt. "Schaut, der Rattenkönig", hatte ein Gefangener gespottet, der ihn sicher nicht einmal kannte. Irgendwann hatte man den Mann geholt, weil Seine Majestät ihn und einen Schneider sprechen wollte. Was für eine Teufelei ging nun wieder in Petyrs Kopf vor, der ihn so betrogen hatte? Baelon wollte dem Reich und seinen Freunden den Frieden bringen, aber Petyr hatte alles zerstört.
Baelon glaubte nicht daran, dass sein Bruder des Mordes fähig gewesen wäre, zumindest nicht durch eigene Hand. Aber wer genoss einen Vorteil? Tyrell, um noch mehr Druck auszuüben? Nein, Unsinn. Giltheas? Da war alles möglich. Der Kriegstreiber Dryr? Nein, er war ein Söldner des Königs, kein Meuchler. Und wenn Alysare doch das Ziel war, wonach es aussah? Alysare. Wie mochte es dem armen Kind nun gehen? War es in Sicherheit? Er wusste es nicht. Baelon wusste nichts mehr. Es gab nur noch ihn und den Kerker. Irgendwann hatte man Skogung geholt und in die Folterkammer geführt. Baelon glaubte, die Stimme seiner Schwester zu hören, dann ein Beil, das durch Fleisch schlug und einen schnell verstummenden Schrei Skogungs.
Die Tür wurde aufgeschlossen. Licht kam herein, und Baelon war für einen Moment geblendet. Leider war der folgende Anblick nicht sehr schön, denn es handelte sich um seine Schwester. "Was schlägst du mir nun ab, liebste Schwester?"
"Gar nichts, Baelon. Du bist hübsch, wie du bist."
"Danke, aber ich hatte nicht vor, in deinem Bett zu landen. Belassen wir es beim Kerker", sagte Baelon.
"Aber, aber. Keine Unterstellungen, Mylord."
"Lord? Ich bin ein Gefangener wie alle anderen geworden, Lady Irinia. Und Ihr seid hier, um nun was zu tun? Soll ich etwas gestehen, was ich nicht getan habe? Dann geht einfach, ja?"
Irinia schmunzelte. "Du willst sicher verhindern, dass ich dir doch etwas abschlagen lasse, oder? Dann spar dir die Vorträge, denn auf dich wartet Arbeit."
"So? Die Stiefel von Sir Starys polieren, damit er dem Schwarzen Stab sauber gegenüber steht, wenn er ihre Verbrechen befiehlt? Oder soll ich dem König ein Schlaflied singen, damit er den Gram über den Tod der Frau vergisst, die er ja wohl so abgöttisch geliebt haben musste, dass er sie sogar öffentlich zu Boden schlägt?"
"Baelon, mäßige dich. Die Königin ist vergiftet worden, und das Reich ist in Trauer. Nun, bis auf Lord Dryr vielleicht, der bereits seine Truppen vorbereitet."
Baelon lachte. "Ja, Lord Dryr ist keine sensible Natur, du hingegen schon, oder? Das Reich ist also in Trauer. Wie tief sitzt diese Trauer, dass du die Zeit findest, den Gefangenen derart zu quälen? Ach, nein, du verarbeitest auf diesem Weg deine Trauer, nicht wahr?"
"Baelon! Ich brauche dich! Die Ritter hören auf dich, und ich habe für diesen ganzen Unsinn keine Zeit. Mein Kind ist in Trauer und ich will es behüten. Hast du mich verstanden?"
Er lachte immer noch. "Sicher, das Regieren ist so leicht, oder? Hast du das auch Petyr gesagt, bevor er sich den Thron nahm, den unser Vater für den König oder eine Königin zu beschützen geschworen hatte? Aber, ich sage dir etwas: Ich werde helfen. Erstens ist es besser, wenn ich frei bin und zweitens habe ich kein Interesse, in einem verwesenden Reich zu sterben, Irinia."
Sie lächelte. "Ich wusste, du wirst vernünftig sein. Dann erkären wir mich zur Regentin, ja?"
Alea iacta est.

Die Würfel sind gefallen!

Benutzeravatar
Meister
Beiträge:916
Registriert:22 Dez 2006, 22:48

Beitrag von Meister » 28 Sep 2010, 16:40

Der Drachenfürst

Der Krieger ohne Banner lief durch die Schlachtreihen. Das Feuer brannte, aber es ließ ihn nicht verbrennen. Er spürte nichts, nur den nahenden Sieg einer weiteren Schlacht auf seinem Weg zur alten Größe. Wäre er noch fähig, etwas anderes als Hass und Machthunger zu spüren, er würde schallend lachen, wie früher, als er sich verweigert hatte und gespuckt hatte.
"Wann geht es endlich los?", fragte er.
"Geduld, Mylord, Geduld."

Ein Werwolf

Der Marsch durch das Moor, jegliche Beute ignorierend, um das eine Ziel zu erreichen, war nicht anstrengend gewesen. Der Wolf spürte nur eines: den Hunger. Der Herr hatte versprochen, dass er bald Bretonen fressen dürfte. Endlich. Er hatte fast vergessen, wie sich frisches Menschenfleisch anfühlte, wenn man tief in die Schlagadern biss, das süße Blut spürte, die Angst des Opfers, wenn der letzte Herzschlag nachhallte, kurz vor dem Tod. Dass er selbst einst ein Bretone gewesen war, einer aus der Armee Glans, wusste er immer noch. Aber dieses Leben war nun bedeutungslos geworden, denn er hatte das Geheimnis des Grüns gesehen - und es war wertvoll. Der Tod des Waldkindes ließ ihn und seine Brüder erwachen. Der lange Marsch zum Sieg hatte nun endlich begonnen.
Im Tiefenwald fanden sie einige Hirsche und Wildschweine, die unvorsichtig genug waren, sich neugierig den Gestalten zu nähern. Ein Sprung, die Klauen ins Fleisch geschlagen - und schon waren sie endlich satt geworden. "Ihr greift keine Menschen an. Es gibt nur EIN Ziel für euch, und das ist Glan", hatte der Herr gesagt. Es fiel nicht schwer, den Befehl zu befolgen, denn saftiges Fleisch würde sie erwarten, was mehr als eine Belohnung sein würde.
Das sanfte Gras der Steppe, der kühle Wind des nahenden Herbstes, umfingen ihn und das Rudel. Die Zeit war gekommen. Auf einmal waren da ganz andere Menschen. Gerade wollten sie sich auf die Ahnungslosen stürzen, da trat der Rudelführer vor. Er traf sich in der Mitte des Feldes mit einem der schwarzen Krieger. Sie wechselten Worte, dann ging jeder zu seinen Mannen. Als kurz darauf die Trommeln schlugen, sah er endlich die sillbern glänzenden Rüstungen und das Greifenbanner. Früher hatte er es getragen, heute würde er es in Fetzen schlagen.
Die schwarzen Krieger standen auf der Seite des Rudels.

Ein Krieger

Der Meister war weise. In seiner Klugheit hatte er dem Lebaner sein Vorgehen erklärt - so weit, wie es notwendig gewesen war. Der Meister erklärte niemandem alles. Er, der Krieger, verstand es. So vielen Herren hatte er schon gedient. Zuerst der Schwarzen Echse, die Unwissende Drakos genannt hatten. Damals war es die Furcht gewesen, die ihn hatte dienen lassen. Dem Drachen folgte die Finsterschlucht. Es war ein ehrenhaftes Ziel in einem langen Krieg gewesen. Die Aufstände in den eigenen Reihen hatte er selbst niederschlagen lassen, als er noch General gewesen war, unter der Peitsche der Dunklen Alten. Plötzlich kam der Frieden - und er und die seinen hatten nichts mehr. Bis der Meister sich ihrer annahm und ihnen die Weisheiten Lebans erklärte. Jeder bekam Nahrung und Wasser, Gold, ein Weib, wenn er wollte und eine neue Position.
General war nun ein anderer, aber der Krieger hegte keinen Groll deshalb. Die Verantwortung wollte er nicht mehr. Er wollte nur noch dienen. Dem Meister, dem einzigen Herrn Leban und dessen Sohn Lazarus dienen. Alles andere war bedeutungslos. Ob es die Augen oder die Stimme des Meisters waren, die ihn willig machten, zu dienen und für ihn zu sterben, fragte er sich niemals. Spürte er den Drang, die Frage zu stellen, so wurde dieser schnell verdrängt, wenn sein Verstand an das Gebet dachte, das alle Krieger gelernt hatten. Ja, die Weisheit des Meisters war allumfassend. Niemals würde er ihn verlassen. Seine Güte war heilig.
Die Abtei betraten sie nicht. Der Meister hatte es verboten. "Lasst den Dienern der Götter ihre Ruhe. Ihr seid nur dort, um sie und die Abtei zu beschützen", hatte der Meister befohlen. So geschah es. Sie betrachteten die Mönche, sicherten deren Wege, halfen bei schweren Lasten, die sie zu tragen hatten. Läutete man am Abend zum Gebet, fielen alle Krieger auf ein Knie und lauschten stumm den leisen Worten der Mönche in anteilnehmender Andacht, so wie der Meister es ihnen befohlen und gelehrt hatte.
Die Glocken läuteten wieder. Nun, das war zu früh. Etwas stimmte nicht. Im nächsten Moment traf ihn ein Pfeil. Er fühlte, wie seine Kehle zu einem Bad aus Blut und Schleim wurde. Sein letzter Gedanke galt dem Meister, der ihn in ein besseres Leben geführt hatte. Was er zuletzt sah, waren die Greifen am Horizont der Stadtmauer.

Jargu

Ein seltsames Gefühl umfing Lord Caenor. Die Hun lag neben ihm, seinen Schwanz in ihren zarten Händen. Aber das Gefühl kam nicht, weil er gleich kommen würde. Es war etwas anderes. Vielleicht Zufriedenheit? Nicht etwa, weil er nun kam und die Hun ihn auf sich verteilte, sondern weil er es tatsächlich geschafft hatte: Melther und Brioless würden keine Wahl haben, als sich ihm anzuschließen, und Dryr musste nun folgen. Sein Verrat gegen Petyr würde nicht lang ein Geheimnis bleiben, und dann würde er jeden Verbündeten brauchen. Und die Eunuchen mussten auch den Hund beeindruckt haben, dass er sogleich Truppen geschickt hatte - natürlich, um ein Auge auf sie zu haben, aber das war Jargu nur Recht. Ja, alles lief gut.
"Will der kleine Lord noch einmal?", fragte sie.
"Nein, jetzt nicht. Lass mich allein."
Die Hun nahm sich ein Gewand, warf es um ihre dunkle nackte Haut und verließ das Schlafzimmer. Sie war so süß anzusehen. Und doch so eine Hure. Eine schwarze Hure, die sicher ihre eigenen Pläne mit ihm hatte. Er dankte den Göttern für Giltheas. Der schwarze Lord war seine Absicherung gegen die Eunuchen und den Blutigen Stumpf. Nach dem Abkommen, dass zur Waffenruhe zwischen Caenor und Giltheas geführt hatte, war es dem schwarzen Lord ein wichtiges Anliegen gewesen, die Zukunft der Kirche zu besprechen: "Falls Ihr Euch mit Melther und Brioless vereint, wäre ich sehr verbunden, Ihr würdet die Kirche und die Abtei nicht besetzen."
"Natürlich", hatte Caenor versichert. Er brauchte die Kirche, um seine Ehe mit Theresia zu segnen.
"Im Gegenzug werde ich Eure Eunuchen und die Hun im Auge behalten. Ich werde Euren Rücken decken, Lord Caenor."
Jargu erhob sich, trank etwas Wein, warf sich ein Gewand über und ging hinaus auf die Zinnen. Seine Armee war bereit. Bereit, ihm zu folgen, aber auch, ihn zu verraten. Er spürte, wie schwach seine Beine waren, wie dünn er geworden war. Immer wenn die Hun sein Bett verließ, schien auch ein Teil Jargus zu gehen. Als würde er von innen ausbluten. Zeit, diese Sorgen und Gedanken zu vollenden, dass sie ihn auch in der Nacht plagen würden, hatte er nicht:
"Alarm", rief einer der Soldaten, "Angriff!"

Mercutio

Zufrieden lauschte der schwarze Lord den Berichten seiner Späher. Hohenfels umkämpft, Trars Wölfe auf dem Weg in die Ebene. "Sobald du und deine Gefährten auch nur einen Soldaten der Glans seht, die den Wölfen den Weg versperren, meldet es. Wir werden eingreifen. Die Wölfe und die freien Frauen brauchen uns."
"Ja, Mylord."
"Du darfst gehen", befahl Mercutio, und der Quentar erhob sich wieder, tarnte sich und folgte seiner Aufgabe, wie alle anderen.
Mercutio las wieder und wieder die Weissagung seines Ahnen, Argan von Giltheas. Wenn der Drache wirklich das Schwert Lebans war, dann war er, Mercutio, der Auserwählte. Er würde sie alle einen und den Glauben erneuern. Sein Werkzeug Owen war schon überzeugt, und sein alter Freund, Abt Aldwyn, erkannte die Notwendigkeit, die Feinde des wahren Glaubens endlich zu vernichten.
Die letzte Sorge blieb jedoch. Wenn er der Drachenfürst wäre, dann würde er dem Tode nahe sein. Aber konnte es wirklich so offensichtlich sein? Er nahm das Pergament zur Hand, das er gestohlen hatte aus der Akademie Bretonias. Als er die Zeilen entschlüsselt hatte, lachte er. Er lachte seit Jahren das erste Mal. Bald tat ihm der Bauch weh, die Mundwinkel brannten, die Augen tränten.
"Herr?", fragte ein Diener besorgt.
"Ich hätte es wissen müssen!", rief Mercutio.
Kurz darauf war ein Quentar auf dem Weg zum Friedhof im Norden. "Findet diesen Esthelion. Ich brauche eine Bestätigung."

Wilion

Die Mannen des Roten Fuchses mochten gute Schützen und Waldläufer sein, aber von Disziplin oder Strategie hatte diese Räuberbande nur wenig Ahnung. Wilion hatte daraufhin immer einen seiner Männer mit einem der Füchse zusammengebracht, damit sie voneinander lernen konnten, obschon er sicher war, dass wohl eher die Füchse von seinen Leuten zu lernen hatten. Eines Tages wären sie bereit, mehr zu tun, als nur Karawanen anzugreifen und etwas Nahrung und Silber den Armen zu geben. Eines Tages würden sie Tyrells Feste einnehmen und Bretonia befreien, eines Tages. Heute nicht. Heute galt es, Waldwacht als Chance zu sehen. Man müsste nur die Paladina überzeugen, sich ebenso Caenor anzuschließen. Carmons Bedenken, was die Eunuchen anging, teilten Wilion und Brioless ebenso. Aber wie er waren auch sie der Ansicht, dass diese Armee wichtig war, um das Ziel zu erreichen.
"Brioless, ich grüße Euch. Was gibt es?", fragte Wilion, als der stolze alte Mann des Weges kam.
"Ihr kommt voran mit den Füchsen, wie ich sehe."
"Ja, alles läuft gut."
Brioless nickte. "Bestens. Was haltet Ihr davon, dass nun wohl auch Dryr ins Boot steigt?"
"Dryr? Der wird etwas planen. Vermutlich will er selber den Thron."
"Ja, nicht unwahrscheinlich. Dennoch schlage ich vor, wir bedienen uns des Hundes, Mylord. Man weiß nie, wozu man ihn gebrauchen kann."
"Und sein Berater? Der ist doch nicht koscher", murrte Wilion.
"Ich vertraue darauf, dass Dryr entscheidet und nicht Esthelion."
"Sir Leyris wird darauf achten. Ich gedenke, ihn und ein paar Mannen mit Dryrs Soldaten zusammenzubringen. Nennen wir es ein Kennenlernen", sagte Wilion.
Brioless richtete seine Handschuhe. "Eine weise Idee. Nun, ich werde jetzt aufbrechen."
"Wohin geht es?"
"Eine Erkundung. Trars Wölfe haben Waldwacht passiert. Ich will sehen, ob sie den Wald wirklich verlassen."
"Sehr gut."
Brioless ritt mit einigen Mannen davon. Wilion nahm den Bogen wieder auf. "Hört zu. Ein Ziel zu treffen, das ist nichts. Viel wichtiger ist es, Entscheidungen zu treffen. Wen will ich treffen, was ist der schnellste Weg, die Reihen zu öffnen, damit die Infanterie zuschlagen kann? Ist das klar?", raunte er und hoffte, eines Tages würden seine Lektionen ausreichen. Der Weg war weit. Der Weg war schmerzhaft. Für die Königin, für Theresia.

Ivar

Sein Vetter war vor einigen Tagen auf Geheiß der Regentin in die Stadt gegangen. Seit Lady Irinia herrschte und nicht der König selbst, schienen die Dinge recht schnell in Bewegung zu geraten. Keine Blockade, kein großartiges Verhandeln mehr. Nun ging es um das Reich, nun ging es um alles. Ivar konnte nicht behaupten, dass ihm Petyrs Zustand ungelegen käme. Der Weg an die Macht war stets mit Fährnissen gepflastert gewesen, und die Ernennung Petyrs zum König war nicht gerade ein kleines Hindernis gewesen. Vielleicht sollte er über Thairas Tod am Ende dankbar sein?
Den Gedanken seinem Vetter gegenüber auszusprechen, war ihm beinahe passiert. Im letzten Augenblick hatte er sich noch zurückhalten können. Auf Ivars Frage hin, ob sein Vetter etwa seine Hände im Spiel hatte, was den Wahnsinn des Königs anging, hatte er nur ein Kichern als Antwort bekommen. Jetzt musste er sich darauf verlassen, dass der Narr die Mission im Norden erfolgreich beenden würde. Eine Menge hing davon ab, diese Hebamme zu bekommen. Gewiss hatte sie schon mit Antonia gesprochen. Also wäre es nun an der Zeit, beide zu rauben. Man konnte nur beten, dass der Schwarze Stab keine eigenen Befehle hatte.
"Etwas Neues aus den Kernlanden um Hohenfels?", fragte er seinen Heermeister.
"Dryr hat Caenor ein Ultimatum gestellt. Wie die Regentin befohlen hat. Bald wird Hohenfels fallen."
"Eure Zuversicht teile ich nicht. Schicken wir Dryr Verstärkung, um diese Eunuchen zu zermalmen."
"Jawohl, Mylord!"

Bathir

Das Gespräch mit den eingeladenen Vertretern des Nordens, der Nachtwache und den anderen, war sehr fruchtbar gewesen. Vielleicht hätte Bathir schon früher auf seinen Berater hören sollen. Esthelion hatte ihm stets vorgeworfen, nur ein Erfüllungsgehilfe für Glan und Tyrell zu sein. Als der Drache geraubt worden war, da hatte Esthelion ihn sogar verspottet. Gern hätte er dem verdammten Elaya den Kopf abgeschlagen - heute war er sich selbst dankbar, es nicht getan zu haben. Petyr, der Emporkömmling und schwache Sohn eines schwachen Hauses, er würde schneller fallen, als ihm lieb wäre. Dann gäbe es einen neuen König. Einen mit eiserner Hand. Das Reich musste stark werden. Gnade war falsch.
"Dann sind wir uns einig?", fragte Bathir.
Lord Caenor nickte. "Eine Aufteilung der Kernlande, sobald Glan und Tyrell geschwächt sind, ja. Was für ein Vorgehen schlagt Ihr in Sachen Thron vor?"
Er war nicht dumm. Auch Caenor war klar, dass es - sollte das gemeinsame Vorgehen erfolgreich sein - eine Sache zwischen Caenor und Dryr wäre, einen König zu stellen. Nun, Bathir hatte nicht unbedingt vor, zu verzichten. Wenn die Yaruner ins Kernland vordringen würden, dann könnte man sich nicht auf Caenor verlassen. Der Mann hatte seine ganze Flotte für diese Eunuchen geopfert. Bloß weil diese hunische Hure es so wollte, wie er eben erfahren hatte. "Wen seht Ihr als würdig an?"
"Lord Dryr, um ein Missverständnis zu vermeiden: Ich betrachte Lady Theresia als die einzig mögliche Erbin. Die Linie von Breton ist nicht ausgestorben, wie Petyr es gern gehabt hätte."
Nun, das stimmte wohl. Doch offenbar vergnügte sich die Lady lieber im Wald bei den Kelten, als sich um das Schicksal des Reiches zu sorgen. Andererseits, warum nicht um sie werben? Das Volk würde sie lieben. Dann würde es auch den Hund akzeptieren. "Ich sehe das wie Ihr, Lord Caenor. Wir werden der jungen Lady den Thron geben", sagte er schließlich. Das Lügen hatte er von Esthelion gelernt.
Caenor lächelte. "Gut gesprochen, Mylord. Das weitere Vorgehen bespreche ich dann mit Eurem Heermeister, sobald Eure Truppen hier eintreffen. Ihr seid Euch des nahenden Bündnisses zwischen Caenor und Melther, sowie Brioless bewusst?"
"In der Tat", knurrte Bathir und leerte seinen Krug "ich bin informiert. Wir sind gemeinsam stark genug für Glan und Tyrell."
"Gemeinsam mit Melther und Brioless, meint Ihr", sagte Caenor mit einem Schmunzeln.
"Natürlich."
Sie nahmen Abschied voneinander, und Bathir ritt mit seinem Stab zurück in den Eisenwall. Dort wählte er geeignete Männer aus, die im Notfall auch gegen die Eunuchen Caenors bestehen würden.
Man konnte Jargu nicht trauen, aber zur Stunde war er wertvoll. Falls Trar auf dumme Ideen käme, würde ihm Caenor als Puffer dienen und die verdammten Werwölfe davon abhalten, gen Eisenwall zu ziehen. Zwar marschierte Trar gegen Glan, aber man durfte sich bei diesem Mann niemals sicher sein, wie auch Starys, sein Agent bei Hofe, stets beteuert hatte. Zwar gab er auf Starys nichts mehr, seit dieser den Befehl, den Norden anzugreifen, angenommen hatte, aber der verdammte Ritter hatte stets eine Nase für Gefahren und Probleme gehabt. Bathir musste also auf die Stärke des Nordens vertrauen, den Schwarzen Stab und im besten Falle auch Starys oder Jamrish zu besiegen. Was den Untoten betraf, so hatte er Starys damals schon gewarnt: "Erweckt nicht den Torbrin. In Erwyndylls Büchern habe ich Unschönes gelesen, bevor ich alles verbrannt habe, was man von den Drachenrittern noch finden konnte."
Nun, Starys wollte nicht hören. Bald würde er bezahlen, und Bathir freute sich auf diesen Moment.

Lucius

Stets ließ er sich von seinen Meldereitern die neuesten Informationen mitteilen. Die Wölfe hatten nunmehr den Wald hinter sich gelassen. Oshinyas Krieger zogen jetzt durch die Steppe direkt nach Norden. Sie würden den Fluss abseits der Brücke überqueren und zuerst einen Blick auf Hohenfels werfen. Trar hatte ihr geraten, sich mit einem Angriff Zeit zu lassen, da die Lage um Hohenfels derzeit etwas unklar wäre. Er hatte von Melthers und Briolessens Besuch bei Caenor gehört. Außerdem waren Leute Dryrs in der Nähe gesichtet worden. Am besten wartete man nun ab, was diese Besuche ergeben würden. Wenn die Kernlande sich selbst an den Kragen gingen, konnten die Wölfe freier bis Bretonia ziehen. Ja, so müsste es gehen.
Er erinnerte sich an Giltheas letzten Besuch. Der schwarze Lord hatte ihm etwas versichert: "Wenn Eure Wölfe ziehen, dann werde ich ihnen nicht im Wege stehen, solange die Ebene verschont bleibt und ebenso die Abtei nahe der Stadt."
"Und wenn Glan uns abfängt? Gerade in der Ebene besteht dieses Risiko, solange Caenor noch nicht gen Bretonia marschiert", hatte Lucius geantwortet.
"Betreten die Glans die Ebene, ist es eine Kriegserklärung, Lord Trar. Sorgt Euch also nicht."
Nunmehr hatte die Hexe erfahren, wer Velthan in seiner Gewalt hatte. Er konnte ihr ausreden, gegen den Lord vorzugehen, denn Trar brauchte Giltheas. "Sei glücklich, du hast ihn wieder."
"Ja, doch er nennt mich nicht mehr Mutter. Er sehnt seinen Vater herbei. Er sehnt sich nach Giltheas", zischte sie.
"Bald wird er nur noch eines wollen: herrschen."
"Was? Ich werde nicht zulassen, dass Velthan benutzt wird. Er soll kein König sein. Könige leben nicht lange in diesen Landen."
"Du weißt, was sein Schicksal ist. Du hast es selbst gesehen. Ich lasse meine Armee für IHN marschieren!", brüllte Lucius.
"Ihr marschiert für den Erlenkönig, nicht für Velthan. Ja, er wird Eis und Feuer zerschlagen, aber er soll nicht auf den Thron. Tun wir ihm das nicht an, bitte nicht."
"Genug davon!"
Er warf die Hexe hinaus. "Kümmere dich um Velthan. Das ist DEINE Aufgabe. Und lass MICH diesen verdammten Krieg führen. Beten wir lieber, dass Giltheas seine Meinung nicht geändert hat!"

Esthelion

Endlich war Dryr einsichtig geworden. Endlich hatte Esthelion es geschafft. Ein gemeinsames Vorgehen von Dryr und Caenor, vielleicht sogar gemeinsam mit Melther und Brioless (das wäre der Idealfall) würde Esthelions Ziel beschleunigen. Auf eine bis vor kurzem kaum zu hoffende Weise. Der Plan des Roten Narren jedenfalls war bald zerstört. Niemals wieder würde das Feuer die Bruderschaft beherrschen. Mit dem Tod Thairas, ein schwerer Fehler der Regentin, hatte nicht nur Petyr den Boden unter den Füßen verloren. Auch Ivar und der Narr mussten nun erzittern vor den Mächten, die sich näherten. Wenn alles stimmte, dann würden sich Trars Wölfe und Giltheas Schrecknisse bald sammeln. Sie alle dachten, es wäre ihre eigene Idee. Nun, Esthelion hatte hier und da etwas nachgeholfen, aber das musste ja niemand unbedingt erfahren, nicht wahr?
Endlich erreichte er den Friedhof und das Eis. Die Wesen begrüßten ihn, der ihre Macht in den Überresten der Bruderschaft mehren würde. Eines Tages wäre die Eiskönigin bereit, neu zu entstehen. Sie war sicher im Tiefenwald. Doch bald würde er sie holen müssen - das war der schwierigste Teil seines Planes. Vielleicht müsste der Untote nachhelfen, wenn er ihn doch nur beherrschen könnte.
Esthelion berührte die Eiskapsel, die sich öffnete, und stieg hinein. Er schloss die Augen und wanderte wieder durch die Welt. Er sah mit Zufriedenheit, wie Dryrs Soldaten und die Eunuchen gemeinsam den Feind schlugen, und er sah den Narren, wie er tobte, während Jamrish die Truppen sammelte, um den Norden zu zerstören. Und dann sah er etwas, das sogar ihn zittern ließ. Da war er. Der Kopf. Und er flüsterte das Schicksal des Reiches in des Königs Ohr. Eben noch hatte Esthelion den Narren für einen Verlierer gehalten, aber nun war etwas Unerwartetes geschehen. Ein Fluch auf die Regentin! Hätte sie mit Thairas Tod nicht noch warten können? Nun galt es, Brioless zu rufen.

Baelon

Er hatte den Kerker mit einem anderen getauscht. Hier umgaben ihn keine Ratten, kein Gestank und auch keine Ketten; nein, hier war nichts, hier war Leere. Seine Karten und Bücher hatte Irinia in ihre Gemächer bringen lassen. Er stand unter Bewachung. Ab und zu gelang es Sir Allyen, ihn zu besuchen. So wie gestern, als er ihm die Wahrheit gesagt hatte: "Es war Lady Irinia. Sie hat Thairas Tod befohlen", hatte der Ritter leise gesagt.
"Was? Beweise?"
Allyen hatte den Kopf geschüttelt. "Was soll ich nun tun, Lord Baelon?"
"Nichts. Ich rede mit der Regentin. Ist es Sir Roymar gelungen, der Nachtwache die Liste zukommen zu lassen?"
"Ja."
"Gut."
Irinia. Er hatte es geahnt. Und doch war es wie ein Dolchstoß ins Herz, es nun bestätigt zu wissen. Diese Hexe bahnte sich ihren Weg an die Spitze des Reiches und alle sahen zu. Gab es denn keine Gerechtigkeit mehr in dieser Welt? Nein, er würde nicht weinen, er würde nicht in Gram vergehen. Er musste kämpfen, um das Reich zu retten. Bevor er Sir Allyen noch einmal rufen lassen konnte, betrat seine verhasste Schwester den Raum. Er wollte ihr am liebsten die Augen auskratzen, ihren Hals würgen, ihr das schwarze Herz im Leib kochen. Aber er schluckte seine Wut und seinen Zorn. Es galt, das Spiel zu spielen. Und er war nicht schlecht darin.
"Geliebte Regentin, was für eine Ehre."
"Spar dir das, Baelon. Wir sind unter uns."
"Sind wir das?", fragte Baelon.
"Was meinst du damit wieder? Hör zu, ich habe dafür keine Zeit. Sir Jamrish hat sich noch nicht gemeldet, und ich hörte, es wird in den Kernlanden und in der Ebene gekämpft."
"Was ich meine? Ich hätte schwören können, der Geist der Königin wäre hier gewesen. Aber ich irre mich wohl."
"Fang du auch noch damit an!", fauchte sie.
Baelon schmunzelte, dann versteinerte er seine Miene wieder, wie er es so oft tat. "Sir Jamrish? Was soll mit ihm sein?"
Nun lächelte sie. "Er hat einen Spezialauftrag für Sir Starys angenommen. Wir werden den Norden zerschmettern."
Ist sie nun auch des Wahnsinns? Kaum dass er Dryr davon abhalten konnte, schickte sie den nächsten Mann aus, ihr Blutwerk zu tun. "Die Blodhord wird Sir Jamrish zerschmettern. Dann habt ihr euren Krieg."
"Ich wusste, mit dir kann man nicht reden."
"Dann verschwinde einfach!", fauchte nun Baelon.
"Nein. Du sollst mit dem Lethos sprechen. Und mit deinem Bruder."
"Mit dem Lethos, ja. Sicher geht es um die toten Kirchendiener. Man sollte den Täter vielleicht in den Reihen des schwarzen Lords suchen. Aber, schöne liebe Schwester, sage mir, warum redest du nicht selbst mit Petyr? Oder hat sein königlicher Saft ein Einsehen und will nicht mehr in deinen Astralleib fließen?", spottete er.
"Es geht um seine Gesundheit. Ich will ehrlich sein, Baelon, ich erreiche ihn nicht mehr."
"Das tut mir wirklich leid. Und du denkst, ausgerechnet ich kann es?"
"Versprich ihm, was du willst. Nur rede mit ihm. Schau dir an, was mit ihm geschieht. Das ist alles nicht normal!"
Er sah echte Sorge in ihren Augen. Und er dachte an früher, an die unbeschwerten Tage der Jugend, wie er und Petyr im Wald Krieger gegen Krieger gespielt hatten, wie sie lachten und glücklicher als heute waren, alle. "Gut. Wo ist er?"
"Er debattiert mit seinem neuen Kabinett, Baelon."
"Kabinett?"
"Schau es dir an", sagte sie und verließ ihn.
Baelon betrat unter Aufsicht die königlichen Gemächer. Petyr saß an einer großen Tafel. Als Baelon sie umrundete, sah er, wie sechs Köpfe nebeneinander aufgestellt waren. Leere Augenhöhlen starrten aus balsamierter Haut, verschrumpelt wie altes Pergament, in die wirren Augen Petyrs. "Ja, Minister Lirhan, ich sehe die Dinge wie Ihr. Was sagt Ihr, Minister Penthos, ich sollte erleuchtet werden?", fragte Petyr einen der Köpfe.
"Bei Liras, was tust du da, Petyr?"

Kithei

Der Marsch ging gut voran. Manchmal wurden sie durch ein Unwetter langsamer, doch das Heer der Zehntausend fürchtete kein Gewitter, kein Unglück.
Im Tal der Lyra hatten sie einige Stunden Rast eingelegt, um Vorräte aufzufüllen und damit die Kinder ruhen konnten. Und obschon es danach weit nach Mitternacht gewesen war, setzten sie ihren Weg unter den Augen der Sterne fort. Sie sahen die Liebende am Himmel, den Bären, die Stute und den Greifen.
Ein Astronom der Unfreien hätte hier, auf der Schädelebene, seine helle Freude und würde sicher Stunden damit verbringen, die Geheimnisse des Himmels ausführlich zu studieren. Doch das freie Volk hatte dafür keine Zeit. Der Marsch war wichtig. Das Ziel war wichtig. Für den Erlenkönig, den hohen Vater.
Am Letzten Turm warteten sie bis zum Morgen. Zelte errichteten sie keine, denn Kithei hatte ihnen befohlen, stets beweglich zu bleiben. Außerdem schlief es sich unter dem freien Himmel besser. Während Kithei einem der Mädchen das Haar wusch und kleine Muscheln in die Zöpfe drehte, landete ein Falke auf Grimos Rücken. "Warte einen Moment, Kind", sagte Kithei und ließ den Vogel von Grimo auf ihren Arm hüpfen. Die scharfen Krallen, die sich in ihren Unterarm bohrten, störten sie nicht. Sie nahm mit der anderen Hand das kleine Pergament, um es zu lesen. "Danke, Jarin", sprach sie zum Falken, der darauf von ihrem Arm sprang und sich noch in der Luft in den kleinen Burschen verwandelte, den Oshinya aufgezogen hatte, nachdem ihn irgendeine Frau aus dem abscheulichen Bretonia in den Fluss geworfen haben musste.
"Was schreibt sie uns?", fragte das Mädchen.
"Oshinya berichtet, dass Sverka sich am Norden halten wird. Sie selbst hat sich von Trars Wölfen getrennt, um schneller in die Kernlande zu kommen. Trar wurde aufgehalten."
"Von wem?"
"Glan."
Das Mädchen nickte beunruhigt. "Keine Sorge. Wenn es stimmt, was Mutter Kelar sagt, dann wird es Glan schlecht ergehen. Wir haben einen Verbündeten in der Ebene."
"Wen?", fragte die Kleine.
Kithei teilte alles mit ihren Gefährten. Es gab keine Geheimnisse, und Kinder hatten dasselbe Rederecht wie alle anderen. "Den Erben Argans."
Zur Mittagsstunde versorgten die Frauen die Armee mit Eintopf und Ziegenmilch. Danach setzte sich der Heerwurm wieder in Bewegung. Kithei ritt irgendwo in der Mitte, neben den Bären und Wölfen. Eine Sphinx lief neben ihr, den Kopf stolz erhoben, und der Schatten der mächtigen Hydra lag über den Zehntausend.
"Für den hohen Vater", flüsterte Kithei.

Petyr

Am Morgen war ihm immer so kalt. Wenn dann eine Zofe kam, um ihn anzukleiden, fürchtete er ihre kalten Finger. Er stellte sich dann immer vor, aus ihren dürren Händen würde eine Klinge wachsen und ihm die Kehle aufschneiden. Mit kaltem Feuer. So wie die Kreaturen, die Giltheas befehligte. Der verfluchte Lebaner kannte sein Geheimnis. Er hätte schon längst sterben sollen, aber Sir Allyen war damals unfähig gewesen. Auch ihn hätte er schon längst in den Kerker werfen sollen! Verrat war überall, hatte Irinia ihm erklärt. Nun, wenigstens auf sie und Sir Starys konnte er sich noch verlassen. Zwar hatten sie ihm beide verboten, sich die Haut von Gefangenen anzuziehen, aber er musste einsehen, dass es wohl unvernünftig wäre. Was würde man nur von ihm denken? Nein, er hatte ein Reich zu regieren, ja. Er durfte die Bürger nicht enttäuschen.
"Vermutlich hassen sie mich auch. Genau wie die Nordleute, wie alle um mich herum", flüsterte Petyr, während er kauernd unter seiner Decke saß.
"Majestät, Hass und Furcht sind verschiedene Dinge. Sie hassen Euch, weil man Euch fürchten muss. Ihr seid der Greif, die Lichtgestalt des Reiches", antwortete Sir Starys.
"Ja, ja das ist richtig. Helft mir, ich brauche meine Rüstung."
"Was habt Ihr vor, Mylord König?"
"Ich muss ein Reich regieren, Sir."
"Majestät, Ihr seid derzeit geschwächt. Die Regentin besorgt alles, was den Staat betrifft."
Petyr kicherte. "Dann, Sir Starys, sagt mir, was gibt es für Neuigkeiten in meinem Staat? Ist Glorianna endlich tot, und liegt Waldwacht in Schutt und Asche? Hat man den alten Trar ertränkt und den Lebaner Giltheas enthauptet? Denn alles andere ist mir gleich."
"Nun, Majestät, das nicht. Aber ich darf verkünden, dass wir in Kürze die Hebamme ergreifen werden. Der Schwarze Stab wird Euch nicht enttäuschen, ebenso nicht die Truppen Tyrells."
Tyrell. Er fürchtete Ivar von Tyrell. Zwar hatte die bösartige Paladina Thaira vergiftet, aber Petyr hatte sie geschlagen, sie vor allen Gästen beleidigt und erniedrigt, so wie er es gern mit Irinia tat. Tyrell würde sich bestimmt auch bald gegen ihn stellen. "Ich will sofort Lord Dryr sprechen. Der Hund muss mich beschützen!"
"Beschützen wovor?", fragte Starys.
"Vor Tyrells Feuer!"
"Majestät, habt keine Sorge. Lord Tyrell ist loyal. Und Lord Dryr wurde von der Regentin in die Kernlande entsandt."
"Ah, tötet er mir endlich Caenor? Ich will seinen Kopf! Ich will ihn."
Starys nickte. "Ja, mein König, das ist sein Auftrag."
"Dann geht nun. Ich schaffe es selbst, mich zu rüsten."
"Wohin wollen Eure Majestät gehen?"
Petyr fauchte. "Das geht Euch nichts an! Geht Ihr in den Norden und führt den Schwarzen Stab!"
"Sir Jamrish hat bereits diesen Auftrag. Mir hat man angetragen, für Euer Wohl zu sorgen."
Ihn? Warum nicht Irinia? Oder verschwor sie sich bereits mit Baelon gegen ihn, den eigenen Bruder? Sicher versprühte diese hässliche Hure schon ihr Gift in alle Gänge und Kammern dieses düsteren Palastes. Ein Palast in einer freudlosen Stadt, in der die Menschen nicht dem König huldeten, sondern stattdessen Essen und Kleider stahlen, anstatt ihre Abgaben zu leisten. Ja, sie hassten ihn alle. Und Irinia und Baelon führten sie an. Es war genau so, wie Thaira es ihm letzte Nacht gesagt hatte, als sie ihm erschienen war: "Alle werden dich verraten, Petyr. Alle." Sie trug das Kleid vom Bankett, sie trug die todbringende Kette, sie lächelte. Erst jetzt erkannte Petyr, wie wunderschön sie war. Doch es war zu spät. Er hätte sie lieben sollen, anstatt sie zu verachten. Aber nun war sie tot.
"Wo ist die Regentin jetzt?"
"Sie bespricht die weitere Strategie mit Lord Baelon."
Natürlich. Alles kam so, wie Thaira es gesagt hatte. Er war allein. Schrecklich allein. Alysare hielt man fern von ihm. Man ließ ihm nur Starys, den übellaunigsten Mann von allen, die ihn umgaben. Und war da nicht dieser Ton in seiner Stimme? Der Hass, die Lächerlichkeit, die Starys nicht verbergen konnte? "Dann geht nun. Bitte geht. Ich muss ruhen, Ihr habt Recht, Sir Starys."
Starys verneigte sich und verließ die Kammer. Petyr kroch zum Fenster, um auf den Hof zu schauen. Die Tore waren geöffnet, und er konnte bis auf den Marktplatz schauen. Die Menschen tuschelten.
Obwohl sie flüsterten, konnte er ihre Worte bis hierher hören. Wie sie lachten, dass jemand seine Priester ermordete, wie sie sich daran erfreuten, dass Giltheas die Abtei erobert hatte - alles, um an ihn zu kommen, um ihn zu vernichten. Vielleicht sollte er ein eigenes Kabinett errichten. Aus Leuten, die ihn liebten. Irgendwo musste es diese Leute doch geben!
Er schlich durch den Geheimgang, auf allen Vieren. Sein Gewand war ganz kalt auf der nackten Haut. Endlich erreichte er die düstere Kammer, die nur von wenigen Fackeln erleuchtet war. Da waren sie, die alten Könige. Nun, wenigstens die, die man gefunden und hier bestattet hatte. "Clavius!", rief er.
"Majestät, ist Euch nicht wohl? Bitte, Ihr tragt keine Kleidung, lasst mich Euch in Eure Gemächer geleiten."
"Nein. Wachen, ich brauche Wachen!", rief Petyr schrill.
Clavius rief seine Mannen. "Majestät, wie lautet Euer Befehl?"
"Öffnet die Särge."
"Majestät?", fragte Clavius unsicher.
"Los doch!"
Am gleichen Tag noch eröffnete Petyr die erste Sitzung seines neuen Kabinetts. Penthos sprach zuerst. Er gab ihm den Rat, den Weg der Erleuchtung zu gehen. Würde der König als Lichtgestalt den Menschen erscheinen, es gäbe keinen Hass mehr.
Alle würden ihn lieben.
Alea iacta est.

Die Würfel sind gefallen!

Benutzeravatar
Meister
Beiträge:916
Registriert:22 Dez 2006, 22:48

Beitrag von Meister » 06 Okt 2010, 18:18

Ein Wilderländer

Tage waren vergangen, seit sie den ersten Angriff gegen eine kleine Wachmannschaft Glans begonnen hatten. Die Soldaten waren recht überrascht gewesen, sodass es ein Leichtes war, sie zu überrumpeln und ihnen die Schädel einzuschlagen. Doch als die Hörner erklungen waren, als weitere nachfolgten, da wusste der Wilderländer, dass es ein langer Kampf werden würde. Kithei hatte ihn und die anderen darauf eingeschworen, und sie waren ihr begeistert gefolgt. Ob nun Mammut oder Wolf, Bär oder Sphinx, Mann oder Frau, sie alle hatten Rache geschworen, und ihr Ziel war der Tod aller Glans. Um jeden Preis!
Manchmal gab es tatsächlich noch Kampfpausen. Wenn eine der beiden Seiten sich zurückzog, und wenn die andere Seite nicht mehr die Kraft hatte, zu folgen. Doch diese Augenblicke ruhte man nicht wirklich. Entweder hatte man Wache zu stehen, oder man musste seine Waffen reparieren, so man nicht irgendeinem Toten eine abnehmen konnte. Nein, Ruhe gab es keine. Und wenn man wieder auf das Schlachtfeld trat, wenn Stahl auf Stahl traf und fremdes oder gar eigenes Blut einen besudelte, dann fühlte man, fühlte er, wie er den alten Zorn erweckte, so wie Kithei es gelehrt hatte. Den Zorn gegen alle Obrigkeit, gegen Herrscher und jene, die so schwach waren, sich beherrschen zu lassen.
"Wie geht es dir?", fragte Kithei ihn, als sie durch die Reihen Schritt, während nur wenige Meter weiter der Kampf tobte.
"Ich nehme Rache", antwortete er, wie jeder andere.
"Es ist gut, das zu hören", sagte sie, wie immer.
Als er irgendwann wieder auf dem Schlachtfeld war, blendete ihn ein gleißend rotes Licht. Plötzlich waren sie umstellt von fremden Kriegern.

Ein Strolch

Ob diese Leute, denen er damals begegnet war, wirklich davon ausgegangen waren, dass er und seine Leute die Burg im Wald aufsuchen würden? Bestimmt nicht. Was hätten sie da auch verloren? Obdach, ja. Obdach gegen die Bereitschaft, in den Kampf zu ziehen und die heilige Paladina und ihr Gefolge zu schützen. Nein, darauf konnte Argas sehr gut verzichten. Denyo wollte tatsächlich nach Waldwacht gehen. "Wenigstens haben die was zu Fressen, sag ich!", raunte er.
Argas schüttelte den Kopf. "Dafür darfst du dann Emes die Füße küssen, jede Wette. Oder dem Melther. Die sind alle dort."
"Dann gibt es da aber was zu holen!", meinte ein anderer.
"Das gibt es auch anderswo."
Sie hatten sich getrennt. Sollten Denyo und Tyrdin doch ihr Glück dort versuchen, aber Argas hatte die Schnauze voll davon. Er würde keinem mehr dienen, nein, kein Stück. Lieber im Dreck hausen, als auch nur einen Befehl anzunehmen!
Argas hatte an einem Hof südlich von Nobs nur ein kleines Mädchen und einen Knaben angetroffen. Von der großen Graserherde dieser Leute war nichts mehr übrig geblieben. "Soldaten Glans haben alles für die Truppen beschlagnahmt", schluchzte Jella.
"Sie nehmen uns alles", meinte Bronik.
"Tja, und ich muss euch auch noch euren Gaul stehlen."
"Was?", fragte das Mädchen entsetzt. "Bitte nicht!"
Er hatte in seinem Leben nie etwas Gutes getan, und jetzt war nicht die Zeit, damit anzufangen. Er würde zwar bezahlen für das Pferd, aber was würden die Kinder schon mit etwas Silber anzufangen wissen? Also gab er Bonrik einen Dolch. "Hier. Wenn euch einer euren Hund oder euer Getreide wegnehmen will, stecht ihn ab."
Er hatte gehört, dass sich in der Nähe der Brücke zur Ebene Gesetzlose rumtrieben. Die brauchten vielleicht noch eine helfende Hand, dachte er sich. Also beschloss er, den Fluss entlang gen Süden zu reiten.
Kalter Nebel umfing ihn, und der Gaul wurde unruhig. "Mach Ärger, und ich brate dich, noch bevor ich die Brücke erreicht habe", murrte Argas.
"Gerechtigkeit", antwortete eine Stimme im Nebel.
"Wer da?", fragte er und zog sein rostiges Schwert. Es hatte schon bessere Tage gesehen. Und er selbst auch, denn im nächsten Moment stürzte sein Pferd, weil eine Lanze es durchbohrt hatte. Argas lag daneben im Schlamm, suchte vergeblich die Klinge, tastete durch die zunehmende Dunkelheit.
Dann sah er einen Mann. Dem würde er nun dienen. Und er hätte besser zuvor doch mal etwas Gutes getan.

Bathir

Die Wilderländer kämpften wirklich tapfer, zweifellos. Auf jeden Erschlagenen aus Kitheis Reihen folgten mindestens zwei Glans. Und seine eigenen Leute waren nicht minder schlagfertig. Doch die Schlacht dauerte dennoch viel zu lange an. Er konnte es sich nicht leisten, alles gegen Glan zu hetzen - man konnte erstens nicht wissen, ob nicht der Norden doch mal mehr als nur ein Scharmützel wagte. Und wenn nicht die, dann vielleicht andere. Caenor schien sich auf den Weg zu machen, und obwohl seine eigenen Mannen gemeinsam mit den Eunuchen gegen Tyrell kämpften, bedeutete es nichts. Bündnisse waren nie langwierig. Er lachte, denn das hätte Petyr wissen müssen, bevor sich der Hund gegen ihn gestellt hatte.
"Mylord?"
"Ja, was ist denn?", knurrte er.
"Berichte aus den Kernlanden bei Bretonia. Banden streunen umher, sie rauben, morden und vergewaltigen."
Im Normalfall hätte Bathir diese Neuigkeit abgetan. Was sollte ihn das Problem des Bauernpacks kümmern? Aber wenn er es schaffen wollte, den Thron für sich zu beanspruchen, müsste er den Retter in der Not spielen.
"Dann schicken wir zwei Trupps aus, diese lästigen Banden zu beseitigen!"
"Mylord, sie haben einen Anführer."
"Was du nicht sagst. Na und? Wer ist es? Trägt er eine Mistgabel, einen Spaten?"
"Nein, Mylord. Einen Zweihänder, schwarz wie seine Rüstung. Ein Gefangener der Glans schwört, er habe den Fremden erkannt."
"Und?", fragte Bathir.
"Sir Jamrish."

Ivar

"Was sagst du da?", fragte er seinen Vetter.
Der Rote Narr nickte. "Ich habe es in den Flammen gesehen. Joneth ist erwacht!"
"Kannst du ihn aufspüren?"
"Es würde etwas kosten. Sagen wir, drei oder vier von der Wachmannschaft?"
Ivar knurrte. "Ich nehme an, keiner von den Golems, sondern die echten Menschen?"
"So ist es", kicherte der Narr.
"Gut, so soll es sein. Wenn du ihn gefunden hast, setzen wir alles in Bewegung. Caenor muss sich gedulden, bis ich ihn zerschmettert habe."
"Oh, nun, da muss ich dir sagen, er ist sehr selbstbewusst, was das angeht. Ich glaube, da hat er was gegen. Wie empörend, ja?"
"Wenn du mir jetzt sagst, die Schlacht sei verloren, dann vergesse ich mich."
"Nein, das nicht", lächelte der Narr, "aber wie es scheint, will Caenor einen Krieg an zwei Fronten schlagen."
"So?"
"Er zieht gen Norden."
Ivar entließ seinen Vetter und ließ sich eine Karte geben. Offenbar wollte Caenor Dyrs Truppen begegnen. Sein Marsch sah wohl genau das vor. Darum konnte er sich nicht auch noch kümmern. Also schickte er einen Falken aus, der eine Nachricht an die Regentin brachte. Sir Starys musste sich darum kümmern. Der Norden war nur noch von wenig Interesse, seit es Jamrish erwischt hatte und der Narr versagt hatte. Warum nur hatte er den Golem bei sich? Er hatte es doch verboten!
"Meine Rüstung!", fuhr er einen Diener an. Während man ihn einkleidete, dachte er an die unbeschwerten Tage seiner Jugend zurück. Wie er mit seinem Vetter im hohen Gras tollte und niemals an den Thron oder an diese unselige Angelegenheit rund um Joneth gedacht hatte. Und doch war sein Vetter ihm schon immer etwas seltsam und verrückt erschienen. Mit den Jahren war es schlimmer geworden, und heute wusste Ivar, dass es die Bruderschaft gewesen war, die seinen Vetter all die Jahre zu dem gemacht hatte, was er heute war.
"Pass doch auf!", knurrte er, als ein Diener den Riemen zu fest geschürt hatte. Etwas Blut tropfte. Erst da bemerkte Ivar, dass er keinen Schmerz fühlte.
War das schon immer so gewesen?

Baelon

Zufrieden studierte er die Berichte, denn es lief nicht gut für die hohe Regentin. Sir Starys war im Norden gescheitert, Sir Jamrish vermutlich gefallen. Eine Niederlage für den Schwarzen Stab, wie Baelon mit einem Lächeln feststellte.
"Freust du dich, Onkel?", fragte Alysare.
"Ja, das tue ich. Bald kommen bessere Tage, mein Kind."
"Ja? Für uns alle?"
"Für die meisten", sagte Baelon leise und hielt ihre Hand. "Was geht in deinem Kopf vor, Prinzessin?"
"Ich.. ich bin immer noch sehr traurig. Ich habe der Königin die Kette gegeben. Stimmt es, dass man Lady Glorianna immer noch beschuldigt? Onkel, ich habe Angst bekommen vor Sir Starys. Nur darum hab ich gelogen. Komme ich nun auch in die Hölle?"
Nein, dachte er, in die Hölle kommen Petyr und Irinia, wenn es noch Gerechtigkeit gibt. Leider war sie nicht zur Stelle, als Petyr sich zu Tode stürzen wollte. Nun, was nicht war, konnte noch werden. "Nein, Prinzessin, in die Hölle kommen nur die bösen Leute. Die, für die es keine Hoffnung mehr auf Besserung gibt." Am liebsten hätte er im gleichen Atemzug Petyr und Irinia erwähnt. "Sorge dich nicht, ich werde veranlassen, dass es dir bald besser geht, hörst du?"
"Ja", antwortete sie mit einem Lächeln. "Du warst immer gut zu mir. Und zur Königin."
Ja, das war er. Und doch: Hätte er nicht einfach alle Bande brechen sollen, sich ein Pferd stehlen und mit der Königin, mit seiner Thaira, seiner Braut, in die Ferne fliehen sollen? Und wohin? An jedem Ende des fallenden Reiches gab es Krieg. Und wo er noch nicht war, da herrschten Hunger und Krankheit. Selbst wenn er es getan hätte, sie wären gescheitert. Manches hatte keine Zukunft. Manches musste einfach sterben. "Ich werde immer gut zu dir sein. Hast du getan, worum ich dich gebeten habe?", fragte er sie.
"Ja, Onkel. Ich habe Sir Allyen mein Vertrauen ausgesprochen."
"Gut, er wird... er muss dich beschützen, Prinzessin."
"Wovor? Will man mich auch vergiften?"
Nein, dachte er, zumindest nicht mit Gift. Deine Mutter ist eine Schande, eine wandelnde. "Es ist gefährlich im Krieg. Darum wird man dich bald in Sicherheit bringen."
"Wirst du mit mir kommen?"
"Ja", log er. Dann rief er eine Zofe, dass die Prinzessin ein warmes Bad und einen Kräutertee bekäme. Es würde sie vielleicht ablenken und beruhigen.
"Mylord? Dürfte ich Euch sprechen?"
"Sir Starys, was für eine unvollkommene Ehre. Kommt Ihr, um Euer Leid zu klagen oder Sir Jamrishs Versagen im Norden?", fragte Baelon spöttisch. Er liebte es, den Meisterspion zu verärgern. Ob er wohl mit Thairas Tod zu tun hatte?
"Nein, Lord Baelon, das nicht", antwortete Starys, ohne sich etwas anmerken zu lassen, "jedoch benötige ich Sir Marryn."
"Und was habe ich damit zu schaffen? Sir Marryn ist, wie Ihr wohl auch, ein erwachsener Mann. Oder wollt Ihr nun ihn im Norden verheizen?"
"Nein. Von weiteren Angriffen sehe ich vorerst ab. Es ist sinnlos. Der Norden ist stur wie ein Esel."
"Und schlau wie ein Fuchs", gab Baelon lächelnd zurück.
"Wie Ihr meint. Ich benötige ihn, um das Nordtor gegen die einfallenden Wilderländer zu sichern. Ich gedenke, meine Ehrengarde einzusetzen."
So nannte er sein Söldnerpack. "Wie schön. Nun, die Sicherheit der Tore ist ohne Zweifel eine ehrenvolle Aufgabe für Eure sogenannte Garde. Aber ich frage noch einmal: Ist Sir Marryn nicht sein eigener Herr?"
"Er ist vor allem Vasall des Königs."
"Und Diener der Regentin, jaja. Also, was soll ich tun? Worum wollt Ihr mich BITTEN, Starys?", zischte Baelon.
"Ich will, dass er unter meinen Befehl gestellt wird."
Das war es also. Starys Spatzen hatten ihm ins schiefe Ohr geflüstert, dass Marryn zusammen mit Belforr und Allyen diverse Treffen in Bredorf gehabt hatte, ja, das musste es sein. "Er kommt in einem Stück wieder, will ich hoffen", sagte Baelon und hatte keine andere Wahl, als das Dokument zu unterzeichnen.
"Nun, es wird eine Schlacht sein, Mylord. Ihr wisst noch, was das in etwa ist, ja?"
"Ja", knurrte Baelon und entließ den Mann.
Er lehnte sich zurück, schlief irgendwann ein und träumte.
"König! König!", riefen viele Stimmen. "König Roymar!"

Lucius

Velthan. Der Name gefiel ihm nicht. Er hatte einen ähnlich schlechten Klang wie Giltheas. Die Alte kümmerte sich freudig um ihren verschollenen Sohn, der allmählich seine Erinnerungen fand und sie 'Mutter' nannte. Lange hatte er die Hexe nicht mehr so glücklich gesehen. Wie sie damals geweint hatte, ihr Leid geklagt, da war er schwach geworden. Und war man nicht Ritter, um das Gute gegen das Böse zu stärken, um die Schwachen zu beschützen? Ja, es war gut, dass die Frau endlich ihren Traum erfüllen konnte. Und doch machte es sie wertlos. Für Weissagungen hatte sie keine Ruhe mehr, denn sie war Tag und Nacht bei ihrem Jungen. Dass er seine Wölfe in den Krieg gegen Glan führte, schien sie nicht mehr zu kümmern. Sie war nutzlos. Wenn er seine Sorge zum Ausdruck brachte, dass Caldorvan jeden Moment erscheinen könnte, um Velthan zu töten, lächelte sie nur wirr und ging ganz auf in ihrer Liebe zu ihrem Sohn. Sie war so fürchterlich nutzlos geworden.
Jetzt saß sie wieder unter der Weide, Velthan neben ihr. Lucius hielt eine Hand am Schwertknauf. Er war gewillt, es zu tun, sie einfach zu erschlagen. Denn Velthan war der König. Es gab keinen anderen, der würdig wäre. Wie er allerdings die verdammte Söldnerin Ephyre auf seine Seite ziehen könnte, stand noch in den Sternen.
"Ich sehe, es geht euch beiden gut", stellte er fest.
Velthan sah ihn mit seinen tiefgrünen Augen an. "Ja, Mylord."
"Und du? Alles gut?", fragte er die Alte.
Sie lächelte. Seine Hand griff das Schwert, und er zog es hervor. "Ist das Samgard?", fragte Velthan auf einmal.
"Nein. Aber bald wird es dein Schwert sein", antwortete Lucius und erhob die Klinge. Die Alte schloss die Augen. Hatte sie ihren Tod etwa erwartet? Bevor er die Antwort bekam, schrie sie auf. "Nein! Es ist geschehen!", krächzte die Hexe.
"Was hast du, Mutter?"
Lucius hielt inne. "Sprich!"
"Joneth! Du musst ihn vernichten, er ist gekommen!"

Ascanio

Wahnsinnig. Petyr war wirklich wahnsinnig. Als der Kastellan ihn gerufen hatte, wollte er es nicht glauben. Er hatte die Berichte über das Köpfekabinett für das typische Gerede bei Hofe gehalten, wenn einem der Wein die Zunge lockerte. Doch es war alles wahr, er hatte es selbst gesehen.
Einige Tage darauf kam der Kaplan der kleinen Kapelle zu ihm. "Eminenz?"
"Ja, mein Bruder, was kann ich für Euch tun?"
"Es hat einen Zwischenfall gegeben, Eminenz. Eure Anwesenheit in den königlichen Gemächern ist dringend erforderlich. Der König, er ist..."
"Tot?"
"Nein, bei den Göttern, nein. Aber fast wäre es geschehen."
Ascanio spürte den Dolchstoß seines Gewissens, diese Hoffnung wirklich ausgesprochen zu haben. Er war der Lethos, der Verkünder des Glaubens. Er durfte keinem den Tod wünschen, auch nicht dem Tyrannen. "Was ist passiert?"
Der Kaplan führte ihn in die Gemächer des Königs. Petyr lag zitternd auf einer Bahre. Er sah aus wie ein Gespenst. Man hatte seine Arme und Beine mit Lederriemen gesichert. In seinen Augen trieften kleine Rinnsale aus Blut, und sein Hals war ganz blau. Und wie er da lag, wie ein gebrechlicher Greis, kicherte er. Heiler saßen ratlos neben der Bahre, einige sprachen leise zu den Göttern. Lady Irinia stand an Petyrs Kopf, und auch in ihr sah er dieselbe Ratlosigkeit. Ascanio verneigte sich tief vor der Frau, die sein Leben in der Hand hatte. Sie wusste, dass er damals die Unwahrheit gesprochen hatte. Würde sie es offenbaren, würde man ihn des Amtes entheben und hätte einen Grund, ihn zu richten. Man hatte ihn als Marionette eingesetzt, aber Lady Irinia wusste nur allzu gut, dass Ascanio auf diese Weise dem Volk helfen wollte. Dass sie ihm diese Rolle ließ, solange er auch für sie nützlich war, daran bestand kein Zweifel. Er hob seinen Blick, dann grüßte er angemessen. "Mylady Regentin, ich sehe Seine Majestät mit Bestürzung. Wollt Ihr mir sagen, was geschehen ist?"
Petyr kicherte unentwegt. Lady Irinia seufzte. "Mein Bruder hat den Veitstanz, oder Schlimmeres, befürchte ich. Er hat versucht, sich von den Zinnen in die Tiefe zu stürzen. Clavius konnte ihn aufhalten. Anschließend wollte er sich die Augen ausstechen und sich sogar anzünden."
"Bei allen Göttern", murmelte Ascanio, und er meinte es auch so. Zwar wäre Petyrs Tod, möge Liras ihm verzeihen, so etwas wie Lebans Gerechtigkeit, aber so? Was konnte einen Menschen so weit treiben?
"Ich brauche keine Gebete, ich brauche eine Lösung, Lethos Ascanio. Oder sollte ich mein Glück an anderer Stelle suchen? Seid Ihr dem nicht gewachsen?"
Da waren sie wieder. Die Drohungen. Ascanio ließ sich nichts anmerken. "Mylady, ich bin froh, dass Ihr nach mir geschickt habt. Ich kenne gewiss viele Rituale zur Reinigung des Geistes."
"Schön. Dann fangt gleich damit an. Ein König regiert. Ich vertrete ihn lediglich. Er soll zu Kräften kommen", sagte sie forsch und schickte alle Heiler, Wachen und Diener hinaus. "Los, fangt an."
"Mylady, wenn ich Euch bitten dürfte, ebenso zu gehen? Es gibt Liturgien, die ein Geheimnis zwischen Priester und Schäflein sind."
"Wenn Ihr so wollt. Aber sorgt dafür, dass die Wolle an Ort und Stelle bleibt", antwortete sie nicht minder scharf als zuvor und verließ die Gemächer.
Nun war er mit dem König allein. Sein Leben lag in Ascanios Hand. Er könnte es tun. Dann würde er sterben, aber wären beide Tode nicht gerecht? Er betrachtete das Kissen, die Riemen. Er könnte ihn ersticken. Clavius würde ihn verhaften und man würde ihn töten. Aber Petyr wäre Vergangenheit. Nein, nein, er konnte es nicht. Er war ein Diener der Götter, kein Meuchler. "Majestät?"
"Alles brennt. Es ist die Liebe, die das tut. Sie hassen mich. Sie hassen mich alle", kicherte er.
"Majestät, bitte beruhigt Euch. Ich will etwas versuchen."
Ascanio sprach ein Gebet, dann begann er mit der ersten von zwölf Liturgien. Es war die Liturgie von Beichte und Wahrheit.
Am Ende dieses Tages glaubte Ascanio, dass die Worte Seelenheil und Wunder eine Erfindung waren.

Oshinya

Über ihren Kopf hinweg flog ein Quentar, ihm folgten weitere und weitere. Die schwarzen Kreaturen führten die Mazzrarim in den Kampf. Drakoskrieger, wie die Ungeheuer Diener von Giltheas, folgten ihnen nach in die Schlacht. Trars Werwölfe standen Seite an Seite mit der unheilvollen Armee, während Oshinya und das Moorvolk zwar auf derselben Seite standen, aber gebührenden Abstand hielten. Sie hatte es so befohlen. Wer wusste schon, wann Giltheas es sich anders überlegen würde und doch ein Interesse gen Süden entwickelte?
Die Glans kämpften tapfer. Sie mussten irgendwo in der Nähe ein Lazarett oder Heerlager haben, denn manche Gesichter glaubte sie zu erkennen. Oft dachte sie sich, dass sie dem ein oder anderen Burschen schon gegenüber gestanden hatte, bevor ein Stoß oder Schlag sie zu einem anderen Gegner warf.
Hinter der Infanteriereihe der Glans sah sie die Bogenschützen, die verzweifelt versuchten, Giltheas Schrecken zu Boden zu bringen. Aber in den seltenen Momenten, da ein Pfeil einen Quentar oder Mazzrarim traf, stürzte das Wesen zwar, doch ein Pfeil reichte niemals aus. Und wenn doch, dann verging es an Ort und Stelle, um am Abend neu auf dem Schlachtfeld zu erscheinen. Sie sprach bei jedem wuchtigen Schlag zum Erlenkönig und hoffte, Giltheas würde seinen Drachen nicht entfesseln. Entweder erhörte man ihre Gebete oder der schwarze Lord hatte andere Pläne - der Drache war bisher nicht in Erscheinung getreten.
Sie schlug Gegner um Gegner, ihre Reitechse riss Arme und Beine von blutenden Körpern. Stahl traf auf Stahl, Schwert gegen Axt, Speer gegen Pferd oder Soldat. Tagelang ging es schon so. Wieviele Narren waren so dumm, diesem König zu dienen? Der Entsatz nahm und nahm kein Ende. Zorn stieg in der freien Frau auf, und sie erschlug gleich vier Gegner hintereinander. Der fünfte fiel auf die Knie und ließ sein Schwert fallen. Oshinya hasste nichts so sehr wie Feigheit. Sie stieg von ihrer Echse ab, die sich einen neuen Gegner suchte.
"Steh auf und stirb wie ein Mann!", raunte sie und erhob ihren Zweihänder. Doch der Soldat zitterte und blieb am Boden. "Bitte nicht, ich ergebe mich", flüsterte der Knabe, der kaum älter als 14 war. Oshinya packte seinen Arm, rief ihr Reittier und warf den Jungen darüber. Dann ritt sie eilig durch die Reihen, wachsam, dass ihr niemand folgen würde.
"Wer bist du? Warum bist du nicht daheim bei deiner Mutter?", fragte sie ärgerlich.
"Herrin, ich..."
"Nenn mich nicht Herrin. Ich bin Oshinya, mehr nicht."
"Meine Mutter starb am Fieber, und mein Vater ist in der Schlacht bei Bretonia gefallen, He... Oshinya", antwortete er vorsichtig.
Sie deutete auf seine Kette. Ein Vollmond auf schwarzem Grund war zu sehen. "Was ist das da für ein Anhänger?"
"Ein Geschenk. Von der Wache der Nacht."
"Erzähl mir davon", befahl sie, "sonst stirbst du doch noch, Waisenkind."

Jargu

Langsam wurde er ungeduldig. Brioless und Melther hatten sich noch nicht entschieden, doch die Eunuchen, er sah es in ihren Augen, wollten endlich in die tieferen Kernlande ziehen. Dass hier, direkt vor den Toren von Hohenfels, der Feind stand, kümmerte sie nicht. Tyrells Truppen hatten gute Nachschubwege, sodass die Schlacht unter ungünstigen Umständen auch zu einer Belagerung werden könnte, aber die Eunuchen waren ihnen überlegen. Ein Eunuch konnte problemlos vier oder fünf Tyrells fällen. Dennoch war da diese Ungeduld in ihren Augen, die Jargu teilte. Die Hun hatte deutlich gemacht, dass die Eunuchen auch ohne Brioless und Melther den Schritt gen Bretonia wagen würden.
"Noch herrscht Caenor über Caenors Land", hatte er dazu gesagt.
"Mylord, daran besteht kein Zweifel. Doch wir werden auch ohne die Herren Brioless und Melther den Thron für Caenor erobern."
"Ich habe keine Zweifel, was die Kraft der Eunuchen angeht. Was hältst du von dem Gerücht, Caldorvan wäre nun in den Diensten des Nordens?", hatte er gefragt. Er war froh über diese Nachricht gewesen und hoffte nun darauf, sie würde sich wenigstens ärgern.
"Wir sind zufrieden damit."
Dann hatte sie das Gespräch mit ihren weiblichen Reizen und ihrer geschickten Zunge beendet. Und wieder hatte er sich danach schrecklich gefühlt. Nicht so zufrieden, wie nach dem Besuch Hlifas. Nein, es war anders. Als würde sie sein Leben aussaugen.
Jargu stand vor dem Spiegel und musterte sein blasses Gesicht, als Styros ihm die neuesten Meldungen berichtete.
"Dann wäre da noch die Abtei, sie ist umkämpft. Außerdem geht Dryr gemeinsam mit den Wilderländern gegen Glan vor. Sieht mir nach einem Bündnis aus."
Jargu knurrte. "Kithei wird nicht so dumm sein und dem Hund trauen, der seinen Herrn verraten hat. Wir werden es sehen: Morgen kann es schon vorbei sein, und sie sind Feinde. So ist das dieser Tage."
"Mylord, es kann wirklich schnell vorbei sein."
"Warum?"
"Glan hat Unterstützung bekommen."
Jargu ließ sich alles berichten. Dann ließ er die Hun rufen, ebenso die Eunuchen antreten. "Haben wir genug Männer, Hohenfels zu verteidigen und einen Angriff zu führen?"
"Wir brennen darauf", sagte sie.
"Gut. Entfesseln wir eure Macht. Wir ziehen."
Sein Vater, der ihm in jeder Nacht in seinen finsteren Träumen erschien, würde sich im Grabe umdrehen. Strategisch war es eine schlechte Wahl. Doch lieber vergeudete er einige Eunuchen als sich die Herrschaft nehmen zu lassen. Immer wenn die Hun sein Bett verließ, und er sich grausig fühlte, erschien die weiße Frau. "Mein lieber armer Jargu. Mein König", flüsterte sie immer.
Nur jetzt, da er in den Kampf zog, kam sie nicht mehr zu ihm.

Roymar

Er ritt auf einem Greifen, das goldene Schwert in seiner gepanzerten Hand. Es war leicht wie eine Feder, und ebenso schwerelos flog er über die Schlachtreihen hinweg. Roymar brüllte Befehle an seine Untergebenen, die ihm schon so treu gedient hatten, als er die Yaruner an der Nebelküste vernichtend geschlagen hatte. Wie eine Lawine waren die Tectarier über den Feind gerollt, und keiner war am Leben geblieben. Doch statt des Banners seiner Heimat hatte das Wappen der Bretons geweht. Siegreich und stolz.
Wie ein Adler, mit Feuerschwingen, zog er nun flammend über den nächsten Feind hinweg. Seine Mannen kämpften tapfer. Ihre roten Umhänge, mit dem schwarzen Kreuz darauf, glänzten im Sonnenuntergang und stiegen wie ein Wall aus Blut und Eisen über die Gegner in den blauen Umhängen hinweg. Kein Mann des Feindes sollte überleben! Das war seine Weisung, seine Mission. Und wenn Roymar von Farth eine Mission zu erfüllen hatte, dann tat er es bedingunglos.
Hinten in der gegnerischen Flanke sah er dann das Zeichen. Baelon jubelte ihm zu, sein Wappen wehte stolz wie ein Falke im Wind. Sogleich empfingen die ihm loyalen Ritter den Befehl und stellten sich gegen die eigenen Mannen. Soldaten folgten ihnen, und sie töteten ihre einstigen Kameraden. Wie sehr musste sich Petyr, der Narrenkönig, ärgern! Lachend ritt Baelon durch die feindlichen Reihen, streckte erst Sir Starys, dann noch drei weitere Ritter nieder. Die Mannen des Schwarzen Stabes starben qualvoll, als Baelons Schützen von den Zinnen schossen, denn auch in der Stadt war das Zeichen zum Widerstand gegen Petyr und Irinia angekommen!
Siegreich schritten nun Roymar und Baelon durch die Straßen, umjubelt von den einfachen Leuten, deren Unterdrückung und Leid endlich ein Ende hatte. Baelon befahl, den Kerker zu leeren. Gefangene, die arbeiten konnten, bekamen Amnestie, andere wurden in die Lazarette gebracht, wie auch die verwundeten Soldaten. An diesem Freudentag waren viele gestorben, doch das Reich war frei.
"Sieg!", rief Baelon.
"Sieg!", riefen Soldaten und Zivilisten.
Frauen streuten Rosen, Kinder lachten. Baelon hielt eine Rede, dann ließ er Roymar den Erretter vortreten:
"Bretonia! Vom heutigen Tage an herrsche Gerechtigkeit! Der falsche König ist tot, es soll ein neuer leben!"
Jubel, Freudentränen, denn das Ende allen Leidens, aller Kämpfe, das Ende des Krieges war gekommen. Plötzlich riefen alle Menschen seinen Namen. "Roymar, Roymar!"
Dann kam noch mehr. "König Roymar!", riefen einige, und Baelon stimmte in den Ruf mit ein, wie die Ritter, die Händler, Bauern, Bürger. Roymar streckte Samgard empor und vergaß seine alte Heimat - er war König geworden.
So süß dieser Traum auch immer war - wenn Roymar in seinem Zelt an der Nebelküste erwachte, war er schweißgebadet, seine Hände waren kalt, und stets brauchte er Stunden, sich zu beruhigen.
"Keine Angst, mein König, es vergeht", flüsterte Thairas Geist.

Mercutio

"Bruder Owen leistet hervorragende Arbeit", murmelte der schwarze Lord und betrachtete zufrieden die Liste, die er von Aldwyn zur Abschrift bekommen hatte. "Man sollte ihn zu einem wahren Ritter erheben. Dumm nur, dass uns dafür die Zeit fehlt." Seine Berater und Mitbrüder nickten stumm, während er sich erhob, den Drachen ein letztes Mal musterte und wieder hinauf ins Licht stieg.
"General, was gibt es Neues von den Schlachtfeldern?"
Der Drakoskrieger verneigte sich, bevor er sprach. "Die Glans rücken stets nach. Es wird Zeit, dass wir alle Macht entfesseln."
"Nein. Wird es nicht. Alles geschieht, wie ich es will. Sollen sie noch weiter kämpfen. Solange das Moorvolk und die Wölfe in der Ebene aufgehalten werden, ist unser Weg frei."
"Mylord, dann interessiert es Euch sicher ebenso, dass Dryr und die Wilderländer am Säulengang auch aufgehalten werden. Es heißt, die Regentin habe Söldner entsandt. Vom Schwarzen Stab."
Mercutio nickte. "Ausgezeichnet. Es ist, wie ich es sagte. Die Krähen kommen. Sie geben uns Zeit. Wie steht es um die Abtei?"
"Kein Glan dringt durch unsere Reihen, Mylord."
"Wunderbar. Danken wir Leban für unsere Weisheit."
Mercutio schickte seinen General fort, um zu beten. Dann rief er einen der alten Geister, um ihm Neues über seinen Sohn Velthan zu berichten. Der Junge machte sich gut in Trars Reihen. Zufrieden stellte sich der schwarze Lord vor, wie Velthan sein Werkzeug war, obschon jeder dachte, die Bindung wäre verloren. Er müsste nur die Hexe loswerden, denn Trar würde sich in einen vergeblichen Kampf gegen Glan stürzen. Diese Narren. Sie taten alle das, was er wollte - ohne es zu wissen.
"Mylord?"
"Ja?"
"Eure Spionin ist zurück."
"Führt sie zu mir."
Die Gestalt trat ein. "Mylord."
"Berichtet mir, geht alles seinen Gang, Thaira?"

Jamrish

In der Totenarmee zu dienen, erfüllte ihn. Caldorvan war sein Herr, und Aran war ihr König. Bald würden sie sich dem Herrn von Brumalis zeigen. Doch Lord Caldorvan hatte ihm gesagt, eine andere Aufgabe würde noch vor ihnen liegen: Giltheas.
Jamrish war dankbar, dass Lord Caldorvan ihm die Kraft gegeben hatte, zu rekrutieren. So stand er dann vor dem Gesetzlosen, der im Schlamm lag und sein Schwert suchte.
"Du wirst nun dienen, Argas. Für den König. Für seinen Lord. Für die Gerechtigkeit."
Alea iacta est.

Die Würfel sind gefallen!

Benutzeravatar
Meister
Beiträge:916
Registriert:22 Dez 2006, 22:48

Beitrag von Meister » 14 Okt 2010, 15:48

Der irre König

In den letzten Augenblicken seines Lebens spürte er eine vollkommene Klarheit. Die Nebel des Irrsinns und die Fänge der Macht lösten ihre Fesseln; Dinge und Ereignisse gerieten in einen gemeinsamen Zusammenhang. Plötzlich war all der Schmerz verschwunden, die Verwirrung, die Bilder der reinigenden Flammen, die ihn und Alysare in die Arme seiner lieben Mutter getrieben hätten. Petyr spürte Zufriedenheit und Glück, hatte er doch ganz ohne das Feuer endlich seine Mutter gefunden, in dem Haus, wo sie ihn in diese dunkle Welt geworfen hatte.
Innerer Frieden und Glück schienen sich wie eine wärmende Decke über den König zu legen. Gemeinsam mit Ethiane würde er den Roten Narren bezwingen, der ihm dies angetan hatte; er würde Irinia verbannen, die das Reich ins Unglück gestürzt hatte, indem sie ihn nach und nach aussaugte und zurück warf in die Tage seiner armen Jugend, nachdem Mutter gestorben war:
Petyr ritt auf dem weißen Ross, das ihm Allyen zum Geburtstag geschenkt hatte. Neben ihm ritten Irinia und Baelon, und seine Mutter, einen Falken auf dem Arm, stürmte an der Spitze voraus. Der Reichsforst war ein Ort, den Petyr liebte. Hier konnte er seinen Gedanken freien Lauf lassen, den Ärger mit Jargu vergessen und sich frei fühlen. Immer wenn Baelon schneller wurde, musste Petyr seinem Ross nur etwas zuflüstern, und das Amuri aus dem fernen Land Samariq stürzte wie ein Sturm gefühlte Meilen über alle hinweg. Manchmal musste Mutter ihn ermahnen, dann war es wieder Sir Allyen, der dem jungen Glan erklärte, dass es sicherer für ihn wäre, bei seinem Bruder zu bleiben. "Er reitet sicherer als Ihr, mein junger Lord Petyr."
"Ich weiß. Aber ich habe das bessere Pferd", antwortete Petyr trotzig. Da war Baelon schon wieder voraus geritten, doch ihn ermahnte niemand. Baelon war größer und kräftiger als er, niemand machte sich Sorgen. Selbst Irinia schien Gefallen daran zu finden, Petyr deswegen aufzuziehen.
Nach der Jagd ließ man sich zu einem Picknick nieder. Sir Allyen und sein Knappe Belforr versorgten die Pferde und ließen Wachen aufstellen, während die Familie sich mit Speis und Trank vergnügte. Der junge Ivar von Tyrell hatte es geschafft, einen Hirsch zu erlegen, und alle, auch Baelon und Irinia jubelten dem Nordmärker zu. Petyr saß allein auf dem nach Moos duftenden Waldboden, klatschte halbherzig und schwieg.
"Was ist mir dir, mein Sohn?", fragte Mutter, die sich dann zu ihm gesellte.
"Ich... ich weiß es nicht. Ich glaube, ich will lieber allein sein. Sie erfreuen sich an den einfachen Dingen, aber ich will mehr."
Sie lachte. "Was willst du denn, Petyr?"
"Ich habe Durst."
"Nicht hier."
Immer wenn er in der Nacht einsam war oder wieder die schrecklichen Träume hatte, kam er ins Bett seiner Mutter gekrochen, und sie gab ihm Milch. Wenn er ihre warme Haut berührte, fühlte er sich sicher und reich und mächtig wie ein König. "Nein, ich habe einfach Durst."
"Gebt meinem Sohn einen Krug Apfelwein. Er ist alt genug", sagte Mutter.
Sie selbst nahm sich einen Krug von dem Rotwein, den ein Freund der Familie ihr geschenkt hatte. "Petyr, du musst aufhören, dich stets zu sorgen. Denk nicht an den dummen Jargu von Caenor. Du weißt, dass du klüger bist als er."
"Um ihn geht es nicht. Warum liebst du Baelon mehr als mich?"
Mutter trank einen Schluck Wein. "Mein Sohn, wer sagt dir so etwas?"
"Irinia."
"Deine Schwester hat gerade geheiratet, da sollte sie sich um andere Dinge kümmern, nicht wahr? Ich liebe dich mehr als jeden anderen, Petyr", sagte Mutter, verschluckte sich, hustete, bis sie nie mehr schlucken konnte, ihn nie mehr stillen und liebkosen konnte, weil ein Gift ihren Leib verätzt hatte. Sie starb schnell.
Doch jetzt, hier im Tal Beltain, da sah er sie wieder. Sie umarmte ihn, und er fühlte ihre Liebe. Doch Liebe war manchmal ein Stich ins Herz, ein versteckter Dorn, den man erst spät erkannte. Und er erkannte Hlifa. Tausend Fragen gingen ihm durch den Kopf.
Dann sah er endlich Mutter. Seine richtige Mutter.

Irinia

Das Viech hatte sie abgeworfen! Irinia lag im Schlamm, ihr schönes Kleid war ganz schmutzig geworden. "Na großartig", murrte die Regentin, als der Greif sich erhob und nach Süden flog. Noch immer stand ihr der Rauch in der Nase. Der Plan des Narren war mehr als aufgegangen. Zum Glück würde man den Palast in Kürze gelöscht haben, und sie hatte Starys noch rechtzeitig befehlen können, den König in Sicherheit zu bringen, am besten ins Tal Beltain - so hatte es der Rote Narr vorgeschlagen. Man hatte gehört, dass der Drache dort geschlüpft war. Petyr würde sein Seelenheil in seinem Feuer suchen. Vielleicht war er schon endlich tot. So viele Jahre hatte sie es ausgehalten, wenn seine kalten Hände sie berührt hatten, so wie sie Mutter immer angefasst hatten, wenn Petyr wieder geweint hatte, weil er schlechte Träume gehabt hatte.
Der Weg zur Macht war endlich frei. Ob der Narr seinen Vetter schon überzeugt hatte? Nun, Irinia würde auch das aushalten, wenn sie nur jedem zeigen konnte, dass sie äußerlich eine Hexe war, aber innerlich voller Schönheit und Edelmut war. Schon als sie jung gewesen war, als alle sie verspottet hatten, da hatte sie sich geschworen, niemals mehr verlacht zu werden, wenn sie erst Königin wäre und alle ihr zu Füßen liegen mussten. In diesen Zeiten war es für eine Frau niemals leicht gewesen, aber Irinia musste stets mehr leisten als alle anderen. Wo selbst eine Zofe durch Schönheit ihre Rolle aufwerten konnte, da musste Irinia mit Klugheit glänzen. Niemand begehrte sie. Auch Petyr nicht. Warum sonst trieb er immer seine verletzenden Scherze, aber kam in der Nacht in ihr Bett gekrochen? Ja, sie hatte es so lang über sich ergehen lassen, da würde sie das auch noch schaffen!
"Ihr seid ganz nass", bemerkte er, nachdem man sie gefunden und in Sicherheit gebracht hatte.
"Was Ihr nicht sagt. Bekomme ich ein Bad und trockene Kleidung?"
"Sehr wohl, Majestät", schmunzelte er.

Baelon

Schnell wie der Wind waren sie geritten, er, Sir Allyen und Sir Masrari. Sie hatten die Gruppen aufgeteilt, um ein großes Gebiet absuchen zu können. Baelon war gemeinsam mit Masrari geritten, während Allyen und seine Soldaten einen anderen Weg eingeschlagen waren. Alysare konnte nicht weit sein, denn Petyr war ein schlechter Reiter. Den Greif konnte er nicht nehmen, weil Irinia damit den Flammen des Palastes entkommen war, also hatte er das Amuri gewählt. Doch schon vor vielen Jahren hatte Baelon erkannt, dass es den Reiter ausmachte, und nicht das Tier, wie schnell und weit man käme.
Wie war es nur so gekommen? Hatte er nicht gut genug für seinen älteren Bruder gesorgt, der nach Mutters Tod dem Zusammenbruch näher war als allen anderen Dingen? Es spielte keine Rolle mehr. Nun war sein Bruder zu weit gegangen - Baelon musste Alysare einfach finden!
Am Treffpunkt warteten sie auf Sir Allyen, der nach einer Stunde endlich eintraf. "Mylord!"
"Wo ist sie, wo ist die Prinzessin?"
"Ich habe Clavius gefunden!", rief Allyen und deutete auf den Bretonianer, der gefesselt war.
Baelon schritt auf ihn zu. "Wohin hast du sie gebracht, bei allen Göttern?", fragte er zornig.
"Lord Baelon, die Prinzessin ist sicher."
"Wo ist sie!"
"Sie wird nunmehr im Norden sein. Vertreter der Nachtwache haben sie gerettet, wie ich denke."
"Ihr denkt?"
"Ich habe um freien Abzug gebeten. Sir Roymars Mannen haben des Königs Soldaten besiegt. Man stand dann uns gegenüber. Und dem König. Die Prinzessin ist sicher. Und Euer Bruder, Mylord, er wird nun tot sein."
Baelon schlug ihn nieder. Die Nachricht stimmte ihn unglücklich, obwohl er sich Petyrs Tod fast herbei gesehnt hatte. "Steht auf. Sir Allyen wird Eure Fesseln lösen, und Ihr reitet gemeinsam in die Stadt. Wenn das alles wahr ist, hat Sir Starys das Kommando. Sir Allyen wird ihn ablösen, bis ich zurück bin. Und wenn die Regentin wieder da ist, übergebt ihr das Kommando über die Stadt. Zu wenige stehen auf unserer Seite, und wir müssen uns neu formieren. Sir Masrari, Ihr kommt mit mir."
So geschah es. Clavius hatte ihnen den Ort genannt, den sie nach Stunden erreichten. Die Leichenberge waren nicht zu übersehen, ob es nun Wölfe waren oder Soldaten Bretonias, Tyrells. Einige lösten sich in Nebelschwaden auf, andere wurden Opfer der Aasfresser.
"Durchsucht alles!", befahl Baelon.
Irgendwann rief ihn Masrari. "Ein Grab, Mylord! Die Erde ist locker."
Sie fanden des Königs Rüstung. Aber seine Leiche fanden sie nicht.

Mercutio

Wäre er nicht geübt darin, seine Gefühle nicht zu zeigen, wäre es nicht so bedauerlich, dass alle so dumm gewesen waren, über Wochen, manche gar über Jahre, seinen Willen auszuführen, Giltheas würde in Tränen ausbrechen und lachen. Aber so war es nicht. Durchaus war es genussvoll gewesen, den dummen Gesichtern im Tal Beltain die ganze Wahrheit zu berichten, aber er hatte es auch getan, weil er den Gedanken hatte, den armen Dienern etwas zu schulden. Etwas wie die Gnade, ihnen wenigstens die Wahrheit zu überlassen. Außerdem hatte er, obwohl er den Schlussstein in Bretonia leider nicht hatte erbeuten können, einen weiteren Gewinn gemacht:
Bruder Owen hatte ihm von dem Sukkubus und von dem Schwert berichtet. Beides wollte er nun haben.
"Vater."
"Velthan, komm her, mein Sohn", befahl Mercutio.
"Warum kann ich nicht mehr bei meiner Mutter sein?"
"Mutter Kelar ist hier, es wird für sie gesorgt werden. Willst du zu ihr?"
"Ja."
Ein Drakoskrieger brachte Velthan fort. Es würde ein weiter Weg werden, ihm das Grün auszutreiben, damit er ein Werkzeug Lebans werden könnte, genau wie Caldorvan eines geworden war. Mercutio war Starys' Neugier immer noch dankbar. Sie war so groß gewesen, dass dieser einfältige Ritter den Untoten in die Welt geholt hatte.
"Mylord", murmelte die kalte Stimme Caldorvans.
"Sprich!"
"Ich habe Lord Aran den Geist der Paladina gezeigt. Aber ich glaube, mein Neffe ist noch nicht bereit, König Bretonias zu werden."
"So ist es. Doch es wird gelingen. Ihr dürft Euch zurückziehen. Umsorgt Euren Drachen, Caldorvan."
"Jawohl. Aber da wäre noch etwas."
"Ja?"
"Die Eunuchen. Ich erreiche sie nicht mehr."
"Wie bitte?"
"Sie kämpfen weiter gegen Tyrell, dabei hätten sie schon längst Hohenfels sicherstellen müssen", sagte der untote Lord.
Das war in der Tat problematisch, da die zweite Phase seines Planes vorsah, Lord Aran und Lord Caldorvan in Hohenfels einzusetzen. Sollte Caldorvan doch weiter an einen König Aran glauben, solange die Kernlande langsam in Giltheas Hand übergingen. Nun, seine Truppen konnte er nicht schicken, denn es war gefährlich, an zu vielen Fronten zu kämpfen. Außerdem war ihm daran gelegen, die Menschen der Kernlande zu verschonen, weitgehend.
"Was ist geschehen?"
"Ich bin einem Mann begegnet. Ich glaube, ein Priester war er."
"Was für einer? Liras? Leban?"
"Gott."

Roan

"Mylord?"
"Was ist?"
"König Petyr, er ist gefallen!", rief Sir Leyris. Die Mannen, ob es die Waldläufer waren oder die Gloriannäer, verstummten. Man hatte gerade eine weitere Zeremonie abgehalten, zu Ehren Gloriannas. Doch diese Nachricht unterbrach alle.
"Wann? Wo?"
"Man sagt, vor einigen Stunden. Im Süden."
"Was hat der König so weit im Süden getrieben?", fragte Roan.
Leyris schüttelte den Kopf. "Wir wissen es nicht. Aber Lord Melther und Brioless sind der Meinung, es wäre jetzt die Gelegenheit, Lord Caenors Angebot anzunehmen."
"Was sagt Heermeister Emes dazu?"
"Er beugt sich Eurem Wort, wie wir alle."
"Ich werde persönlich mit Caenor sprechen. Bis dahin bleiben alle, wo sie sind. Wir wollen außerdem sehen, was aus Malig wird. Ich bin der Ansicht, man sollte die ganze Bande im Norden entfernen."
Er war zusammen mit einem Dutzend Reiter aufgebrochen. Die Ebene hatten sie trotz der Banden, die sich überall formiert hatten, sicher passieren können. In den Kernlanden waren sie fern der Straßen geritten. Das Elend hing in Form von halb verwesten und von Krähen verspeisten Leibern in den Bäumen oder lag sterbend auf den Feldern. Hohenfels erhob sich aus dem Elend wie ein Bollwerk. Westlich war die Schlacht in vollem Gange, aber der Feind war noch nicht nah genug ans Tor gekommen, sodass Roan passieren konnte. "Zu Lord Caenor, aber schnell!"
Jargu von Caenor stand in voller Rüstung im Saal. Seine Dienerin, die Hun, war nicht zu sehen. "Lord Carmon, was für eine Überraschung", sagte er matt.
"Ist Euch nicht wohl? Mir scheint, Ihr seid dabei, gemeinsam mit Dryr und Euren Eunuchen Tyrell und den Schwarzen Stab in seine Schranken zu weisen. Außerdem ziehen die Eunuchen gegen Glan ins Feld, zusammen mit den Wilden und wieder Dryr. Kein Grund, Euch zu sorgen, wohingegen wir uns mit der Frage beschäftigen, wie wir mit Gloriannas Tod umgehen sollen und ob wir das Bündnis mit Euch annehmen sollen."
"Lord Carmon, Euer Verlust tut mir leid. Ich will offen sein: Meine Eunuchen sind es nicht. Sie kämpfen, sie siegen, aber es sind nicht meine Kämpfe, nicht meine Siege. Sie werden von Caldorvan geführt. Und wie ich hörte, steht dieser auf einer Seite mit Giltheas. Ich habe ein Abkommen mit ihm, aber wie lang wird er es einhalten? Wie lange werde ich von Caldorvan verschont bleiben?"
"Nun, das habt Ihr Euch selbst vorzuwerfen, Caenor. Man hat Euch gewarnt. Der Blutige Stumpf ist nichts, was man ohne einen Preis ruft, auch wenn ich es immer für eine Legende gehalten habe. Euch ist aber bekannt, dass Sir Starys ihn rief? Wie auch immer er das geschafft hat."
Caenor nickte schwach. "Sie saugen mich aus. Sie tun etwas mit mir. Mein Angebot muss wohl umgewandelt werden. Ich werde Eure Hilfe brauchen, nicht Ihr meine."
"Ich werde darüber mit Melther und Brioless beraten müssen. So wie Ihr die Lage nun darstellt, sieht alles anders aus. Was, wenn die Eunuchen auch uns als Ziel auswählen? Wir werden in der Hinsicht kein Risiko eingehen, Lord Caenor."
Roan verließ Hohenfels und hatte die Entscheidung schon getroffen. Man musste abwarten, was aus diesen Eunuchen und dem Stumpf werden würde. Caldorvan von Torbrin war eindeutig eine Bedrohung, und wenn die Eunuchen sein Werk waren, dann gehörten sie ebenso Giltheas.
"Wir reiten heim."

Bathir

Die erhobenen Brüste der freien Frau gefielen dem Lord des Eisenwalles. Fast fühlte er sich schlecht, mit Kithei das Lager zu teilen, während seine Mannen bei Bretonia und Hohenfels fielen. Doch nur fast. Auf diese Weise konnte er immerhin mehr über dieses freie Volk aus dem Moor und dem Wilderland erfahren.
"Ist deine Schwester auch so erfahren wie du?", fragte er.
Kithei lachte. "Oshinya? Oder meinst du Sverka? Oshinya versteht nicht viel davon. Und Sverka hat mir alles beigebracht, was ich zu wissen habe."
"Mh, ich verstehe. Sag mir, was werdet ihr tun, wenn das hier vorbei ist?"
"Wir wissen nicht, wann es vorbei ist. Wir wissen nur, dass jeder der Glans sterben muss", sagte sie kühl und bedeckte ihren Körper wieder.
"Auch Baelon?"
"Er ist vielleicht der einzige Glan, der verschont wird. Genau wie die kleine Prinzessin."
Gut, sehr gut. Bathir würde die Sache ebenso angehen. Zumindest für die ersten Monate nach dem Sieg gegen Bretonia. Die Soldaten wehrten sich tapfer, aber Starys könnte nicht unendlich viele Söldner schicken. Auch ihre Zahl war begrenzt. "Ich sehe das auch so."
"Beantwortest du mir auch eine Frage, Bathir?"
Er nickte. "Nur zu." Geben und Nehmen, dachte er.
"Werdet IHR auch Sir Marryn verschonen?"
Bathir runzelte die Stirn. "Was habe ich mit Sir Marryn zu schaffen? Ich habe wohl gehört, er wäre auf Lord Baelons Seite. Nun, dann soll er beten, dass er es auch dann ist, wenn er vor meiner Klinge steht. Mein Berater sagte mir, Starys hätte ihn angefordert, die Stadt zu verteidigen. Ob das stimmt, weiß ich nicht. Esthelion ist etwas flügge geworden, in der letzten Zeit."
Kithei nickte langsam. "Ich bitte dich nur darum, ihm die Gelegenheit zu geben, sich für unsere Seite zu entscheiden."
"Warum?", raunte er.
"Ich liebe ihn."
Das war natürlich sehr interessant. "Ich will dir einen Vorschlag machen, Kithei. Deinem Marryn wird nichts geschehen, aber ich will alles wissen."
"Was willst du wissen?"
"Über deine Schwestern, über Mutter Kelar. Dieser Denyo hatte sie bei sich, hörte ich. Außerdem war der Lethos hier. Es gehen Dinge vor sich, und ich will alles wissen."
"Wie du willst."
Doch bevor sie berichten konnte, sprach eine Stimme von der anderen Seite der Zeltplane her. "Kithei, Lord Dryr?"
"Was ist?", fragte sie.
"König Petyr ist gefallen. Und Velthan an Giltheas verloren!"

Roymar

Der Weg zurück zur Nebelküste war einsam. Seine Soldaten und Templer ritten voraus, während Roymar von Farth am hinteren Ende des Zuges blieb. Seite an Seite hatte er gekämpft mit Untoten und schrecklichen Ungeheuern, damit das Reich gerettet werden würde. Die Weissagung Yaruns war nur ein schlechter Scherz gewesen, um alles in Bewegung zu bringen. Es war der Plan von Giltheas gewesen. Und sie alle waren darauf reingefallen. Er hoffte, dass jetzt wenigstens die Träume enden würden, die ihn stets bis auf den bretonischen Thron brachten. Wäre nicht Baelon der bessere König?
Endlich erreichten sie das Lager. Die Yaruner erhoben sich, ebenso die Templer. "Sir, was hat die Schlacht ergeben?"
"Petyr wird nunmehr tot sein. Sagen wir es den Yarunern."
"Ist die Weissagung erfüllt?", fragte ein anderer Soldat.
"Mehr oder weniger... ja."
Der Gesandte verneigte sich, höflich wie immer. "Ihr seid zurück. Ist Eure Schlacht siegreich verlaufen, Roymar?"
"Das ist sie. Und was die Weissagung angeht, so habe ich Neuigkeiten für Euch."
"Sprecht."
Roymar erklärte, was er von dem Untoten und Velthan erfahren hatte. Von der Täuschung. "Ihr wurdet belogen, wie wir alle", schloss er.
"Wer ist dieser Giltheas? Wir werden ihn bestrafen!"
"Aussichtslos. Die Macht von Untoten und Dämonen steht auf seiner Seite. Fahrt in Eure Gefilde zurück, und lasst dieses Land in Frieden, es zerstört sich ohnehin selbst."
"Wir werden beraten."
Die Beratungen würden wohl die ganze Nacht dauern. Roymar befahl seinen Männern, Wachen aufzustellen, doch der Großteil sollte ruhen. Sie wussten nicht mehr, für wen sie kämpften, und das hatten sie durchaus mit ihm gemein. Fragen beantwortete er keine, sondern lief schweigend von Feuer zu Feuer, nickte, trank etwas von diesem Reisschnaps und blickte über die See gen Westen. Irgendwo wartete sein Weib auf die Neuigkeiten seines glorreichen Sieges. "Ich habe zusammen mit Untoten und Dämonen Feuerelementare besiegt. Ach ja, und Werwölfe waren auch auf unserer Seite", murmelte er, als würde er mit ihr sprechen.
"Ja, das habt Ihr wohl", antwortete eine Stimme.
"Was... Ihr?"
"Ja, ich."
"Was wollt Ihr?"
"Euch helfen."
Das Gespräch dauerte bis zum Morgengrauen. Roymar war übermüdet, seine Knochen schmerzten und er hatte einen üblen Husten entwickelt. "Ich will den Gesandten sprechen", befahl er einem Yaruner dennoch mit Entschlossenheit in der Stimme.
"Habt Ihr Euch entschieden?", fragte er den Mann.
"Unsere Beratungen dauern an. Es sind viele Schiffe gekommen."
"Das trifft sich. Denn ich habe Euch etwas vorzuschlagen."
"Das wäre?", fragte der Gesandte.
"Wir ziehen gen Bretonia - gemeinsam."
"Woher der Sinneswandel?"
"Ich bin einem Geist begegnet."
Zumindest sah Sicarion Grauwind nach all den Jahren wie einer aus.

Lucius

Natürlich hatte Giltheas auch ihn benutzt. Schon damals war es so gewesen, als sie sich das erste Mal begegnet waren. Starys hatte ihn verlassen, nachdem Lucius die Hexe bei sich aufgenommen hatte.
"Sir?", fragte ein Diener.
"Ja? Was ist?"
"Man hat Euch zum Lord erklärt."
"Wer? Mich, der ich in Ungnade gefallen bin?"
"Der König. Auf Rat der Inquisition."
Lucius verstand nicht. "Das erklärt mir."
"So ist es geschehen, mehr wissen wir auch nicht. Es wartet ein Gast auf Euch."
"Herein mit ihm."
Der Lebaner betrat die Halle. "Lord Trar, ich grüße Euch."
"Giltheas. Was für eine Ehre", sagte Lucius düster. Er hasste alle Lebaner. Sie waren eine Plage des Glaubens und alle schwarz wie die Pest, die sie wahrscheinlich auch selbst erfunden hatten.
"Ich habe Euch gerettet, Mylord. Die Inquisition lauscht stets, wenn ich einen Rat zu erteilen habe, so wie kürzlich. Ist die Hexe bei Euch?"
Lucius hatte ihr geschworen, nichts zu verraten. "Vielleicht."
Giltheas lächelte. "Wir wissen, wer sie ist. Und wir wissen, wer ihr Ziehsohn ist, nicht wahr?"
"Möglich. Was wollt Ihr?"
"Ich erwarte eine Gegenleistung."
"Ich habe nie um Eure Hilfe gebeten, Giltheas."
"Das ist richtig. Doch wenn man Euch entehren oder gar richten würde, dann wäre die Hexe auch nicht mehr sicher. Also habe ich Euch etwas Gutes getan, mein Sohn."
Lucius knurrte. "Sagt, was Ihr verlangt, schwarzer Mann."
"Es gibt da etwas, ja. Doch zuvor will ich Euch etwas über die Zukunft des Reiches erklären. Einer meiner Ahnen, Lord Argan, er besaß eine Kapsel, durch die er ferne Orte und Dinge sehen konnte. Wir müssen das Reich beschützen. Ihr seid ein edler Mann, ein Ritter, und nun ein Lord, da werdet Ihr mir zustimmen, dass Eure Rolle die eines Beschützers ist, ja?"
"Was für eine Zukunft?"
"Die Glans werden das Reich vernichten", sagte Giltheas und erzählte ihm alles, was er wusste.
"Was muss getan werden?", fragte Lucius.
"Es wird einen Jagdausflug geben. Hier, nehmt diese Phiole, es wird schnell gehen. Es ist aus Yarun. Man kennt sich dort aus mit schnellen Toden."
"Ich bin kein Giftmörder."
"Nun, von mir aus stürmt mit Eurem Schwert voran und stecht Ethiane ab wie ein Ferkel. Aber man wird Euch festnehmen und richten, und dann wären wir wieder bei der Hexe, die Ihr beschützt", antwortete der Lebaner.
"Tut es doch selbst!", raunte er.
"Oh, seid gewiss, ich werde meinen Teil tun."
Ja, das hatte Giltheas wohl getan. Und nun kämpften seine eigenen Wölfe zusammen mit den Drakoskriegern gegen Glan. Lucius fragte sich, ob er immer noch ein Werkzeug war. Die Hexe zu verjagen, das war seine Entscheidung gewesen. Er musste Velthan an Giltheas übergeben, wenn die Bretons eine Chance haben sollten, wieder auf den Thron zu gelangen.
Und doch erwartete er jeden Tag Oshinyas Rache.

Ivar

Die Nachricht von Petyrs Tod hatte er gehört und zur Kenntnis genommen. Doch was sein Vetter ihm erzählt hatte, war bedeutender gewesen:
Ivar betrachtete immer noch seine Hand, dann den Arm. Er schickte alle Diener hinaus, nahm die Rüstung ab und zog sein Schwert. Er hielt die Klinge an sein Handgelenk. Vor vielen Jahren war er auf der Jagd gewesen, als junger Bursche. Es war der Tag, an dem Ethiane von Glan gestorben war. Zuvor hatte Ivar einen prächtigen Hirsch erlegt. Das Tier war blitzschnell gewesen, hatte eilig das tiefere Dickicht aufgesucht, aber Ivar war entschlossen, es heute allen zu zeigen, besonders dem kleinen und schwächlichen Petyr. Man erzählte sich, seine Mutter würde ihn immer noch stillen. Heimlich machten Ivar und Jargu Witze über ihn.
Der Hirsch hatte nun eine kleine Lichtung erreicht, sodass Ivar, längst vom Rücken des Pferdes gesprungen, den Speer in die Hand nahm und zielte. Doch im letzten Moment warf das Tier sich in seine Richtung. Es wollte nicht aufgeben! Ivar stolperte, streckte den Speer aus, um den Angreifer abzuwehren. Aber der Hirsch sprang über ihn hinweg, drehte sich. Er hatte den Speer verloren! Das Geweih rammte seine Brust, Blut spritzte und Ivars Atem stockte. Er wollte nach Sir Gregorius oder Sir Allyen rufen, aber er brachte nur noch mehr Blut heraus. Dann, plötzlich, erhob er sich, fühlte keinen Schmerz mehr, packte das Geweih und riss dem wilden Tier den Kopf herum, bis sein Genick brach. Er hatte mit bloßen Händen das Tier erlegt.
"Das würde ich nicht tun", sagte der Rote Narr und deutete auf die Klinge.
"Etwas stimmt nicht. Ich erinnere mich. Wie konnte ich den Hirsch besiegen. Warum bin ich nicht gestorben?"
Der Narr kicherte. "Das fragst du dich jetzt erst? Du bist etwas Besonderes, Vetter."
"Was ist mit mir?"
"Du bist auserwählt. Du musst etwas für mich finden. Einen Schlussstein. Er ist im Norden."
"Was bin ich?", raunte Ivar. "Ich strecke dich nieder, wenn du nicht antwortest!"
Der Narr kam langsam näher und wollte das Schwert von Ivars Handgelenk schieben. Ivar ließ es geschehen. Dann umfasste sein Vetter die Klinge, riss sie ihm mühelos aus der Hand und schlug zu. Zuerst schmerzte es, als Ivar seine Hand verlor, doch dann verschwand die Pein. Die Hand krabbelte über den Tisch, als würde sie sich orientieren wollen. Sie sprang tanzend über die Tafel. Der Narr lachte. "Es ist gut jetzt, ab, zurück zu ihm!"
Sie hielt inne. Ivar riss die Augen auf, als sich die Hand an sein Gelenk drückte, Nervenenden, Adern und Muskeln, Sehnen und Fleisch sich wieder verbanden, als wäre nie etwas geschehen.
"Was ist mit mir? Bin ich einer deiner Golems?", fragte er entsetzt.
"Nein. Du bist mein Meisterwerk, und zusammen werden wir die Welt erobern, Ivar. Du musst nur tun, was ich sage."
"Erzähl mir alles", sagte er matt.
Und so geschah es. Der Narr erzählte ihm die Geheimnisse der Bruderschaft. "Leider ist Joneth gefallen, weshalb du nun etwas tun musst."
"Was soll ich tun?"
"Du musst den Stein holen. Wenn es sein muss, mit Gewalt. Lady Irinia und Sir Starys werden dir sowieso bald befehlen, den Norden anzugreifen."
"Wieso? Ich kämpfe gegen Dryr, gegen Caenor und gegen diese wildgewordenen Weiber", sagte Ivar.
Der Narr kicherte. "Nicht mehr lange. Denn bald wirst du im Ehebett kämpfen."
"Was?"

Der Untote und der Jäger

Caldorvan saß fest im Sattel. Sein Sohn, der schwarze Drache, trug ihn über das Moor hinweg. Er hatte getan, was getan werden musste, und er hatte seinen Neffen auf die Probe gestellt. Nun war es an der Zeit, abzuwarten. Endlich würden die Eunuchen ihm die Burg Hohenfels erobern. Er würde sich von Giltheas lösen und wieder ein Lord sein. Thronprotektor. Den Thron würde er für Aran von Torbrin beschützen.
Der Untote landete auf einer großen Lichtung. Dort waren einige Wegelagerer. Keiner konnte dem Zorn des Drachen entkommen. Es war wichtig, ihn satt zu halten. Nicht auszudenken, was sonst geschehen würde.
Die Rast gab dem Untoten die Gelegenheit, den Bannspruch auf die Eunuchen zu lenken, damit sie sich gegen Caenor stellten. Er sprach die alten Worte, aber nichts geschah. Die Schlacht wurde weiter geführt, und keiner der Eunuchen kehrte um.
"Verschwinde! Sie gehören nicht mehr dir! Im Namen Gottes, kehre zu deinem Herrn Giltheas zurück!"
"Wer bist du...", knurrte der Untote, als er merkte, dass er sein Schwert nicht ziehen konnte.
"Ich bin der neue Herr der Eunuchen."
"Dein Name, Fremder."
"Nicht hier, nicht jetzt. Sag deinem Herrn, er interessiert mich nicht. Doch sein Sohn wird nicht herrschen. Herrschen wird ein anderer."
"Wer?"
"Roymar von Farth."
Alea iacta est.

Die Würfel sind gefallen!

Benutzeravatar
Meister
Beiträge:916
Registriert:22 Dez 2006, 22:48

Beitrag von Meister » 21 Okt 2010, 15:08

Ein Soldat

Rauch und Feuer lagen über dem Schlachtfeld. Blut und Eisen mischten sich unter die Gerüche, die von Wind, Staub und Regen erst erhoben, dann wieder auf den Schlamm geworfen wurden, um schließlich in tödlich schimmernden Flüssigkeiten in die Erde zu sickern. Geschrei, von Qual und Leid erfülltes Weinen und anfeuernde Rufe kletterten in die Ohren des jungen Eisenwallers, der sein Land mit Schwert und Schild verteidigte.
Der Feind rückte stets nach, verschiedene Ritter der Krone warfen sich in die Schlacht. Die gewaltigsten Waffenarme des Reiches schienen einzugreifen und wie Riesen durch Ameisenhaufen zu schreiten, wenn sie mit ihren Lanzen und Morgensternen, die im fahlen Mondlicht glänzten, durch die Heere schlugen. Doch gemeinsam mit seinen Kameraden und den tapferen Wilderländern fühlte der Eisenwaller keine Angst. Er warf sich tapfer gegen anstürmende Glans, parierte ihre Hiebe und schlug einem den Arm ab, bevor ein Wilderländer sich den Kopf holte. Die Söldner des Schwarzen Stabes hingegen waren wesentlich stärkere Gegner als die Infanteristen. Sie zeigten keine Furcht und keine Gnade.
Fast schien es ihm ein Segen zu sein, dass diese Eunuchen auf Eisenwalls Seite standen. Diese halben Männer, wie seine Kameraden sie nannten, setzten den Kampf unbeirrt fort und schienen keinen Schmerz zu kennen. Ausdruckslos waren ihre Gesichter, wenn sie zu Boden gingen oder andere fällten. Und man hörte ja, dass dieser Sicarion den General Tectarias, Sir Roymar, auf seine Seite gebracht hatte. Er und zahllose Templer und Krieger Yaruns waren bei Hohenfels in Stellung gebracht worden. Warum griffen sie nicht ein? Man würde die Glans einfach zermalmen können.
Doch die Zeit, weiter darüber nachzudenken, hatte der Eisenwaller nicht. Denn war das da drüben nicht Sir Marryn? Er stand auf der Seite der Glans, aber in seiner Ansprache hatte Lord Dryr darauf aufmerksam gemacht, dass Sir Marryn verschont werden sollte. Das war wohl eine Bitte dieser Kithei gewesen. Der junge Eisenwaller achtete also darauf, dass seine Kameraden sich an die Anweisungen des Lords hielten. Sobald Sir Marryn in Bedrängnis zu geraten drohte, stellte er sich dazwischen, stieß ein paar Soldaten fort und kämpfte weiter. Die Wilderländer hielten sich an die Abmachung, die Eunuchen scherten sich nicht um die Ritter, sondern machten Jagd auf die Glansoldaten.
"Sei vorsichtig. Bitte", hatte Lenia gesagt, als er einberufen worden war.
"Das bin ich immer. Ich liebe dich, mein Goldkind."
Lenia hatte geweint."Wir hätten das Land verlassen sollen."
"Und wohin? Es herrscht überall der Krieg."
Er hatte mit der Hand ihren Bauch berührt. "Es wird ein tapferer Junge werden."
Plötzlich riss ihn ein dumpfer Schlag zurück in die Gegenwart der Schlacht. Ein Ritter in dunkelroter Platte schritt wie ein Gigant durch die Reihen. Als der junge Eisenwaller das Ziel des Ritters sah, als er sah, wie zwei gewaltige Klingen gegeneinander schlugen, da wollte er sich erneut dazwischen stellen. Doch der Speer eines Feindes beendete seinen Weg. Es war seltsam. Der Schmerz im Augenblick des Todes war gar nicht so schlimm. Viel quälender waren die Erinnerungen. Und der Wunsch, er hätte gemeinsam mit seiner kleinen Familie das Land verlassen.

Der bleiche König

Petyr erinnerte sich kaum an den Augenblick, in dem seine Mutter ihn endlich in ihre Arme geschlossen hatte. Die Wärme, die Liebe und Fürsorge im Jenseits, die Hallen des Liras, die Engel, sie alle verblassten, als eine Schwärze ihn umfangen hatte, eine Kälte, schlimmer noch als im Norden der Welt. Alles war fort. Er hatte seine Augen geöffnet, schaute auf sich herab, aber konnte sich nicht bewegen. Seine Haut war weiß wie Schnee und kalt wie Eis, obwohl er selbst nicht fror. Er war nun umgeben von anderen, die wie er waren: bleich.
Gedanken, die er eben noch hatte fassen wollen, als Hlifas Dolch ihn traf, konnte er nicht mehr packen. Sie glitten durch seinen Geist wie kleine Krebse durch ein Fischernetz. Alles schien dumpf, leer und weit weg. Er war wie ein Kind in einem Kerker, tief in den Urgründen der Welt, für immer gefangen. Wenn jemand seine Hand durch die Gitterstäbe hielt, um ihn zu trösten, wollte er schreien, aber keiner hörte ihn, weil er keinen Schrei heraus bringen konnte. Langsam fühlte er, dass es nur einen Weg gab, zu leben: dienen.
"Willkommen, Petyr."
Ein Elaya, dachte er. Aber er konnte nicht reden.
"Ich bin kein Elaya. Ich bin ein Ledharthien, und mein Name ist Esthelion. Du wirst dich bald erinnern. Noch bist du in einer Phase der Eingewöhnung, Petyr. Und ja, ich lese, was du sagen möchtest. Bald wirst du auch wieder sprechen können. Fürchte dich nicht."
Petyr schaute ihn fragend an.
"Ich habe dich gerufen, weil ich dich brauche. Sie haben den Schlussstein eingesetzt. Nun wird der Gründrache kommen, um den Totendrachen zu vernichten. Ich hatte gehofft, dies hätte noch Zeit. Wie gern hätte ich Aenthalas getötet", seufzte Esthelion.
Der bleiche König nickte nur.
"Du hast mich also verstanden. Gut. Und nun, Petyr, denk an das, was du zuletzt gedacht hast. Nein, nicht gerade eben. Ich meine, als sie dich umgebracht haben. Als du erwacht bist aus den Schrecknissen, die du Aenthalas verdankst."
Petyr suchte, forschte, kletterte wie ein Wurm durch seine Hirnwindungen, durchsuchte das Labyrinth an Irrwegen und Gefahren, die seine Seele ausmachten. Dann, vor einer verschlossenen Tür aus Ebenholz, machte er Halt.
"Öffne sie", befahl Esthelion.
Und so geschah es. Petyr riss seine Augen auf. Esthelion lachte kühl. "Ausgezeichnet!"

Mercutio

Der schwarze Lord ließ sich die neuesten Entwicklungen berichten. Der Tod Irinias war ein ausgesprochener Glücksfall, und Lord Tyrell war ebenso fort. Dies dürfte für genug Unruhe sorgen, sodass er nunmehr Zeit hatte, das weitere Vorgehen zu planen, was den Sukkubus betraf. Da gab es noch keine Erfolge. Und dass Bruder Owen den Lethos noch nicht hatte prüfen können, stimmte Mercutio auch nicht glücklich.
"Mylord?", fragte ein Drakoskrieger.
"Ja, mein Sohn?"
"Lord Trar wünscht Euch zu sprechen. Er erwartet Euch in seinem Heerlager."
"Ist das so. Was wünscht der Moormensch von mir?"
"Es geht um Velthan. Lord Trar fragt sich, inwiefern Ihr daran denkt, dass er der neue König sein muss. Ob er die Gerüchte vernommen hat, dass Ihr eher an Aran denkt?"
Mercutio musste lächeln. "Lassen wir sie alles glauben. Sagt Lord Trar, ich werde kommen. Sonst noch etwas?"
"Ja. Gerüchte..."
"Noch mehr davon? Nur raus damit."
Der Drakoskrieger nickte. "Zwei Drachen haben Midgard verlassen. Der eine aus Eis, der andere aus Feuer. Sie sollen auf dem Weg hierher sein."
"Argans Weissagung. Der Gründrache", stellte Mercutio fest. Nach langer Zeit war er wirklich beunruhigt.
"Ja, Mylord. Außerdem ist der Begriff 'Königin des Westens' hier und da gefallen. Man stellt vielerorts Nachforschungen an. Es muss etwas mit Sicarion Grauwind zu tun haben."
Davon wusste er nichts. Wie war das möglich? Hatte er nicht alles bedacht? Wer war diese Königin des Westens nun wieder? "Holt mir den Untoten!"
Caldorvan verneigte sich. "Mylord Giltheas."
"Bringt den Drachen in Sicherheit. Dann reitet in den Norden und stattet jemandem einen Besuch ab."
"Wem?", fragte der Untote.
Giltheas beschrieb ihm den Weg und nannte einen Namen. "Und eilt Euch. Nehmt Argas und Jamrish mit."
Caldorvan brach auf, und das erste Mal nach langer Zeit spürte Giltheas etwas: Furcht.

Roan

Hauptmann Aran hatte ihn informiert über die Erkenntnisse und über die Art, wie man Julthos Malig bestraft hatte. Roan war zufrieden damit. Zwar spürte er immer noch den Wunsch, diese ganze Bande zu bestrafen für diesen unverzeihlichen Frevel, doch es gab zur Stunde durchaus andere Sorgen:
Die verfluchten Eunuchen hatten es getan, hatten Jargu von Caenor abgesetzt, und nun war Sicarion Grauwind Herr über Hohenfels und eine Armee, die zahlenmäßig nicht geringer war als die Schrecken von Lord Giltheas. Noch standen die Eunuchen auf Dryrs Seite, so wie Dryr noch auf Kitheis Seite stand. Was Sir Roymar anging, so war Roan ebenso skeptisch. Würde er den Intrigen Grauwinds standhalten und sich nicht einnehmen lassen? Die Armee unter Roymar war die gewaltigste unter allen Truppen dieses Krieges. Roan musste schnell handeln, wenn er die Kontrolle behalten wollte.
"Sir Leyris, bitte ruft mir Lord Melther und Lord Brioless."
Der grüne Ritter salutierte, und kurz darauf kamen sie zusammen.
"Lord Brioless, Lord Melther, wie weit sind wir?"
Brioless sprach zuerst. "Unsere Waldläufer sind mehr als bereit. Heermeister Emes sagt das auch von den Gloriannäern."
"Was ist nun das Ziel? Die Lage in den Kernlanden scheint sich täglich zu ändern, und man hört, Lord Baelon habe gewisse Pläne mit den Tyrells."
"Mit DEM Tyrell", antwortete Roan, "denn Ivar von Tyrell ist ebenso tot wie die Glanhure. Zentral dürfte sein, Sir Roymar von Grauwind zu trennen. Mit Farths Truppen steht uns alles bereit, was wir brauchen, um diesen vermaledeiten Krieg zu gewinnen."
"Wie wollt Ihr vorgehen?", fragte Melther.
"Schicken wir einen kleinen Trupp gen Hohenfels. Sie sollen Sir Roymar dazu bewegen, einzulenken. Notfalls üben wir Druck aus. Außerdem marschieren wir bis Thyms Rast. Was die Schlacht in der Ebene angeht, so sollten wir die Beteiligten kämpfen lassen. Besser, wenn Trars Wölfe beschäftigt sind."
Brioless runzelte die Stirn. "Und Giltheas?"
"Wenn ich es recht sehe, dann dürfte Giltheas sich in Kürze sorgen um seinen Untotenheermeister."
"Caldorvan?", fragte Melther.
"Ja. Er bewegt sich auf schmalen Pfaden. Mir ist zu Ohren gekommen, dass jemand seinen Drachen töten wird."
"Gut, ich werde alles vorbereiten", sagte Melther und ging zu den Truppen, um mit Emes zu sprechen.
"Lord Brioless, ist Euch nicht wohl", fragte Roan, als er sah, dass Brioless unruhiger wurde.
"Um ehrlich zu sein", antwortete Brioless, "seit meiner Gefangenschaft bei den Eiswesen des Wilderlandes habe ich schlechte Träume." Er rieb seine Handschuhe.
"Was ist mit Euren Händen?"
Brioless schien sich ein Herz zu fassen und zog die Handschuhe aus. "Das ist mit meinen Händen, Lord Carmon."
Roan stockte der Atem.

Lucius

Die Schlacht in der Ebene wurde zu einem wochenlangen Gemetzel ohne Sieger. Ewig schienen Glans anderen Glans nach zu folgen. Zwar waren seine Wölfe zahlreich, und die Verbündeten aus Lord Giltheas Reihen ebenfalls, aber war sein Ziel nicht die Stadt? Oshinya hatte schon zu Anfang gesagt, es würde ein langer und beschwerlicher Weg werden, doch langsam verlor er die Geduld. Außerdem war Velthan bei Giltheas. Sollte nicht Velthan König des Reiches werden? Nein, allmählich verlor Lucius die Geduld, die er zu Anfang des Krieges noch beschworen hatte. Er hatte alles, was es brauchte, und doch schien es mit jedem Tag in noch weitere Ferne zu verschwinden. Wie ein Sack Gold, den man niemals erreichte, weil die Arme schrumpften oder der Beutel immer kleiner wurde, bis er am Horizont verschwand wie ein kleines Schiff, an das sich irgendwann niemand mehr erinnerte.
"Schickt Giltheas eine Nachricht. Ich verliere langsam die Lust, mich in der Ebene im Schlamm zu wälzen. Wir sind keine Wildschweine, wir sind Wölfe!", raunte er.
"Ja, Mylord. Ach, da wäre noch etwas."
"Ja?"
"Eine weitere Nachricht von Sir Starys."
"Er kann nicht genug kriegen, was? Sagt mir, was ist es heute?", fragte Trar.
"Er lässt mitteilen, dass es einen Weg der Einigung gibt. Und für Euch einen Platz im Reich. Einen, der mehr wäre, als Vasall der Glans zu sein."
"Für mich gibt es keine Glans mehr. Ich denke nicht, dass Lord Baelon diese Sache noch lange überstehen wird, und Prinzessin Alysare ist viel zu jung."
Der Herold nickte. "Und doch scheint Starys eine Idee zu haben. Man sollte ihn anhören. Er schreibt, es habe eine Entwicklung gegeben."
"Die da wäre?"
Der Herold berichtete, und Lucius sah einen Weg, die Sache zu klären. Das würde Giltheas aber nicht gefallen. "Lord Giltheas wird wenig begeistert sein, nicht wahr?"
"Durchaus. Aber lasst Euch sagen, Mylord, wir haben vielleicht neue Verbündete. Lord Carmon ist auf dem Weg hierher."
"Carmon? Mit ein paar Waldläufern? Was soll uns das bringen, mh?", lachte Lucius.
"Sie allein vielleicht nichts. Aber Ihr solltet mit Sir Leyris sprechen. Er führt einen Trupp an, der auf dem Weg in die Kernlande ist. Er wartet auf Euch."
Lucius betrat das offene Feld. Der grüne Ritter erwartete ihn schon. "Lord Trar."
"Sir Leyris, es ist lange her. Was gibt es zu besprechen? Ich hörte, Lord Carmon, und damit wohl auch Melther und Brioless, wären auf dem Weg in die Ebene?"
Sir Leyris nickte. "So ist es, Mylord. Hauptziel des Marsches ist und wird sein das Überzeugen von Sir Roymar."
"Nun, die Idee in allen Ehren, aber Sicarion Grauwind und seine Eunuchen sind bei ihm und auf seiner Seite. Oder meint Ihr, seine Templer und die Yaruner werden sich gegen Grauwind stellen, wenn Roymar es will? Ihr überschätzt diesen Mann."
"Wir bieten ihm etwas an. Wenn Lady Theresia nicht zur Verfügung steht, muss er den Thron nehmen."
Und was war mit Velthan? Hörte denn niemand mehr auf die Weissagungen? "Velthan ist der rechtmäßigste Herrscher. Außerdem gibt es noch einen Weg."
"So? Sagt mir, welchen es gibt?"
Lucius teilte Leyris mit, was er von Starys erfahren hatte. Sir Leyris schüttelte den Kopf. "Das ist ehrlos und falsch."
"Dann lasst mich etwas vorschlagen: Ich gebe Euch Zeit, Roymars Loyalität zu prüfen. Kommt mit einem Beweis zurück, sonst haben wir uns nichts weiter zu sagen."
Sir Leyris war einverstanden und setzte seinen Weg fort, während Lucius in sein Zelt ging.
"Bei den Göttern. Wenn das alles schief geht, wird Giltheas mich zermalmen."

Marryn

Der Ritter ohne König stürzte sich in den Kampf. Sir Starys hatte ihn, Allyen und Belforr in die Schlachten entsandt. Belforr musste nun in der Ebene sein, doch wohin es Allyen verschlagen hatte, wusste Marryn nicht. Was er jedoch wusste oder ahnen konnte, das war die Freude, die Starys empfinden musste, dass ausgerechnet er gegen die Wilderländer kämpfen musste. Gegen jene Krieger der Frau, die er liebte. Zwar konnte Starys es nur ahnen, doch das allein durfte wohl ausreichen, ein Lächeln auf sein hässliches Gesicht zu zaubern.
Immer wieder schaute er in dem Schlachtenwirrwarr, ob er Kithei erblicken konnte. Ein Teil von ihm hoffte sogar darauf, während der andere nach jedem prüfenden Blick erleichtert war, dass die schönste aller Frauen nicht zu sehen war. Also war sie in Sicherheit. Marryn schwor sich, sie zu nehmen und weit weg zu gehen, das Land zu verlassen, vielleicht tief in die Wildnis zu gehen, wenn dies alles vorüber wäre.
Kithei hatte viele Söhne, darunter den Tierwanderer Grimo, aber vielleicht wollte sie einen von Marryn empfangen, eines Tages. Nichts war so wertvoll wie eine eigene Familie. Um der Krone zu dienen, hatte er all das aufgegeben und nie versucht, zu erreichen. Doch nun, angesichts des Blutes und des Elends, nun, wo die Könige wechselten wie andere ihre Huren, spürte er, dass das einzige, was wichtig war und was allem standhalten konnte, die Liebe war. Fast hätte er geweint, denn nichts schien gerade ferner zu sein als Kithei. Aber noch war er ein Ritter, noch hatte er die Pflichten. Und die waren, das Reich zu schützen. Der Feind in dieser Schlacht war eigentlich ein Freund, aber er musste den Schein wahren. So entschied er, den ein oder anderen Eisenwaller zu erschlagen, die ihm von allen Gegnern dann doch die liebsten waren. Mischten sich Eunuchen ein, ging es auch ihnen an den Kragen.
Plötzlich rief einer seinen Namen. "Sir Marryn, Vorsicht!"
Es war ein junger Soldat Dryrs. Warum warnte er ihn? Ein Speer durchbohrte den Burschen. Marryn wollte zu ihm reiten, in dem Gewirr würde es nicht auffallen, wenn er den jungen Kerl schnell in Sicherheit bringen würde.
Aber ein Hüne stellte sich ihm in den Weg. Galt die Warnung diesem unbekannten Ritter? Seine Rüstung war dunkelrot wie Blut, und der Helm hatte die Form eines Jagdhundes. Er zog eine riesige Klinge und schlug in Marryns Richtung, der darauf vom Pferd stürzte, im Fall noch parierte. Der Zweikampf war etwas, das er schon immer geliebt hatte. Aber der Unbekannte war stark, und sein Schwert glänzte wie Feuer. Marryns Klinge zerbrach, dann brach sein Brustpanzer, als die Feuerklinge sein Herz traf.
Bevor er das Gesicht seines Mörders erkennen konnte, zog dieser davon. Marryn atmete kaum noch, spuckte Blut, aber es tat nicht weh. Schmerzen verursachten die Worte des Wilderländers, der seinen sterbenden Leib in ein Zelt zerrte: "Sir Marryn, er darf nicht sterben! Kithei erwartet ein Kind von ihm!"
Aber Sir Marryn starb trotzdem.

Aenthalas und Esthelion

Immer wenn Aenthalas in die Kapsel des Feuers stieg, hoffte er, er würde Esthelion nicht begegnen. Angst hatte der Rote Narr keine, doch er glaubte daran, dass Esthelion die Gedanken aller Menschen kannte. Und obwohl des Narren Geist im Leib eines Feuergolems ruhte, würden seine Gedanken dennoch Freiwild für den Mann sein, dem einst missgönnt gewesen war, die Königin des Westens zu rufen. Ja, Esthelion war ihm der beste Freund gewesen. Doch Eis und Feuer konnten niemals wahre Freunde sein!
Heute war wieder so ein Tag. Er war in die Kapsel gegangen, um nach Sir Starys und dem Thron zu sehen. Dann spürte er plötzlich die Kälte; Esthelions Eiskapsel berührte die Feuerkapsel.
"Esthelion. Es ist schön, dich zu sehen", log er.
"Ich grüße dich, Aenthalas. Natürlich sagst du nicht die Wahrheit, aber ich muss dafür kein Gedankenleser sein. Ist es nicht traurig, dass ein direktes Aufeinandertreffen das Ende der Welt wäre? Nur in diesen Kapseln können wir reden über die alten Zeiten."
"Ich mag darüber aber nicht reden! Geh weg!"
Esthelion lachte. "Ich habe zu tun. Und du?"
"Ich auch. Was willst du von mir?"
"Ich habe Informationen von meinem kleinen Petyr bekommen. Er macht sich gut in der Sammlung. Soll ich dir auch Ivar holen?"
"Du weißt, dass das nicht geht. Provoziere mich nicht. Was hat Petyr dir gesagt?", fragte Aenthalas.
"Du wirst es nicht erfahren. Du sollst nur wissen, dass ich dich vernichten werde."
"Das kannst du gar nicht! Sie haben den Schlussstein eingesetzt. Wir werden beide verlieren!"
Wieder lachte Esthelion. "In der Tat hat mich das auch beunruhigt. Aber nun weiß ich, was zu tun ist. Also solltest du dich fürchten, denn bald habe ich es geschafft. Bald habe ich sie gerufen."
"Dann sterben wir alle. Außerdem solltest du wissen, dass ein anderer das besser kann als du."
"Wen meinst du?", fragte Esthelion.
Er weiß es nicht, dachte der Narr freudig. "Schon gut. Das ist mein Geheimnis, so wie du eines hast."
Ihre Wege trennten sich, Aenthalas ging seinen Beobachtungen nach und lachte zufrieden. Sicarion Grauwind. Ein Trumpf in diesen gemeinen Zeiten, die so schwer für ihn waren.
Keiner mochte ihn.
Auf einmal kicherte er, denn bevor die Verbindung zu Esthelion abbrach, schob sich ein schwarzer Schatten in das Bild, kälter als der Tod selbst.

Starys

Nun hatte es auch die Regentin und Lord Tyrell dahin gerafft. Und Lethos Ascanio war nun ebenso im Norden, wie die Prinzessin. Nun, einerseits waren einige dieser Neuigkeiten auch gut. So musste er sich nicht mehr darum sorgen, wer die Urteile absegnen würde. Irgendein verdammter Priester wäre schon bereit, für das Ende der Seperatisten einen Segen zu sprechen, das war doch nur eine Formsache. Und die Prinzessin störte ohnehin. Zu viele mögliche Attentäter, und Starys hatte keine Zeit, für ihre Sicherheit zu sorgen. Bloß war der Tod der Regentin ein Problem. Wer sollte nun das Reich regieren?
Man würde ihn selbst niemals akzeptieren, auch wenn er die illoyalen Ritter und Soldaten durch die Notstandsgesetze schnell auf die Schlachtfelder getrieben hatte; die Bürger waren mächtig, und die würden es niemals hinnehmen, wenn einer wie er regierte. Bei den Tyrells gab es keinen, dem man vertrauen konnte. Der Rote Narr war ein mächtiger Freund, aber ebenso verrückt. Kein Tyrell für den Thron, stellte Starys ärgerlich fest. Und doch brauchte er Tyrells Truppen, angesichts der Probleme, die ihm Farth und Grauwind machen würden. Giltheas schien sich nicht für die Stadt zu interessieren, vorerst.
"Die Stadt ist der Schlüssel", murmelte er.
Was konnte er tun? Alle stellten sich gegen das Reich! Es schien keine Hoffnung zu geben. Zornig schritt Starys auf und ab, fluchte leise, betrachtete die Schlachtengemälde der Kanzlei. Erst da bemerkte er, dass er noch einen vergessen hatte: Baelon, und er kam kreidebleich zur Tür herein.
"Sir Starys."
"Lord Baelon, willkommen zurück", sagte Starys matt.
"Könnt Ihr mir erklären, wann Ihr gemeinsame Sache gemacht habt mit diesem Esthelion?"
Das hatte er keineswegs. "Wie meinen?"
"Soeben kehre ich von einer kurzen Reise zurück, um die Scherben aufzusammeln, die meine Schwester hinterlassen hat. Und ich stellte fest, Petyr ist recht lebendig. Auf eine gewisse Art."
"Wie bitte? Ich verstehe nicht."
Baelon knurrte. "Nicht? Gut, Ihr habt Sir Allyen und Sir Marryn in die Schlacht geschickt. Euer Recht in Eurer Position. Aber sagt, seit wann wusstet Ihr es?"
"Wusste ich was?", fragte Starys ärgerlich.
"Petyr ist ein Bleicher!"
Da wurde er selbst wohl auch kreidebleich. "Bei den Göttern, nein, das wusste ich nicht! Was sollen wir nun tun?"
Baelon schien ihm zu glauben. "Eine gute Frage, auf die ich noch keine Antwort habe. Ich kann Euch aber sagen, was IHR tun werdet. Beendet die Kämpfe! Lediglich an der Abei lasst kämpfen. Wir müssen versuchen, uns zu einigen mit den Gegnern."
"Mylord, sie werden die Stadt überrennen!"
"Nicht, wenn wir einen König haben, der allen gefällt. Ich denke an Sir Roymar."
"Das ist nur noch mehr Wein im Kelch Grauwinds!", warnte Starys.
"Das ist mir bewusst. Aus diesem Grund muss sich Sir Roymar auch zuerst gegen Grauwind stellen. Was dann übrig ist, zieht in die Stadt. Dann ist Giltheas dran."
Der Plan war gut. Starys war einverstanden. "Gut, und wer redet mit ihm?"
"Ich werde noch heute aufbrechen. Ihr beendet das Gemetzel vor der Stadt!"
"Ja, Mylord."
Baelon verließ die Kanzlei, schwer bewaffnet. Nun, der Plan war einleuchtend, aber die Lösung, was aus den Tyrells werden sollte, war es nicht. Würden auch sie einen König Roymar von Farth, verwandt mit den Bretons, akzeptieren? Und was war mit Theresia? Den Gerüchten nach war sie bei Esthelion, dem Berater Dryrs.
Da war er, der Schlüssel! Dryr. Auf dem Wege würde Starys alle Probleme lösen. Ein Verbündeter, gierig genug, entschlossen genug. Man musste ihm nur einen geeigneten Schubser geben. Starys ließ sich von seinen Spatzen alles Neue berichten, und darunter war diese eine wertvolle Information: Kithei.
"Oh, wie ich dieses Reich liebe", murmelte er lächelnd.

Bathir

"Warum sollte ich mich nochmals mit den Tyrells einlassen, wenn doch Ivar tot ist, genau wie Irinia und der wahnsinnige König?", murrte er.
Der Bote des Reiches räusperte sich. "Lord Dryr, wir gehen konform, dass der Rote Narr wahrlich kein geeigneter König des Reiches wäre."
"Gut, und warum erschlage ich Euch nicht sofort?"
"Das könntet Ihr tun. Aber Sir Starys hat Euch, durch mich, zu sagen, dass wir gegen einen König Roymar sind."
"Schön. Sagt das Sir Roymar und nicht mir. Sagt das den Eunuchen, die in Grauwinds Namen diese Schlacht für sich entscheiden werden. Oder sagt es Roan von Carmon, der eine Unterredung mit Roymar führen will. Tut was Ihr wollt, wenn Ihr nicht aufgebt, wird die Stadt fallen. Und dann wird es eher einen König Roymar geben als einen Narrenkönig. Oder will es Starys selbst tun? So dumm kann er gar nicht sein!"
"Mylord, Ihr missversteht eklatant."
Bathir zog sein Schwert. "Sagt das noch einmal."
"Bitte, bitte. Lasst mich erklären!"
"Schnell!"
"Lady Kithei erwartet ein Kind."
War er etwa nicht vorsichtig gewesen? Nun, dann müsste man den Balg eben ertränken. "Was habe ich damit zu schaffen?"
"Es ist das Kind von Sir Marryn, wie man uns versicherte. Nicht alle Wilderländer sind Freunde des Krieges, den die freie Frau führt."
Da schau her. "Von Marryn. Und was sollte es mich kümmern? Kithei ist für mich ein Loch für meinen Schwanz, mehr nicht. Nun, und eine Verbündete mit vielen Soldaten und Viechern."
"Aber Ihr habt Euren Stolz. Das habt Ihr bewiesen, als Ihr Euch gegen Petyr gestellt habt, nicht wahr? Dann bedient diesen Stolz... Majestät", sagte der Bote und gab ihm ein großes Bündel. "Ein Geschenk von Starys und dem Narren."
Bathir betrachtete die Feuerklinge und den Helm. "Was soll das werden?"
Unerkannt trat er einige Stunden darauf auf das Schlachtfeld, befahl einem ängstlichen Eisenwaller diesen lästigen Knaben los zu werden, der sich vor Marryn stellen wollte, dann schritt er auf den Ritter zu und besiegte ihn.
"Eure Mannen lasst weiter kämpfen, wenn es getan ist. Die Sache muss geheim bleiben", hatte der Bote erläutert.
"König Bathir", war die nachdenkliche Antwort des Lords gewesen.

Sicarion

"Der Mann will dem Herrn berichten."
"Sprich, Eunuch."
Der Eunuch kniete immer noch vor Sicarion. "Zwei Drachen. Auf wem Weg, Giltheas anzugreifen."
"Tatsächlich? Gut, danke, du darfst gehen."
Als der Eunuch den Saal verlassen hatte, um sich den Truppen Roymars anzuschließen, hatte Sicarion Zeit genug, eine Entscheidung zu treffen. Zwar wollte er ursprünglich dem schwarzen Lord noch die Gelegenheit geben, die wahren Absichten hinter allem zu sehen, aber so war es auch recht. Dann musste er dieses Hindernis eben früher beseitigen. Es musste ohne sie gelingen, wie er feststellte.
"Sicarion?", fragte die Hun.
"Was ist, mein Täubchen?"
"Er ist da."
Sicarion empfing Sir Leyris hier im Saal. Der grüne Ritter hatte um eine Unterredung mit Roymar gebeten, die Sicarion als Heerführer der Flusslande erlaubt hatte. Nun war es an der Zeit, sich alles anzuhören.
"Sir Leyris, eine Ehre ist es, Euch zu sehen."
"Spart Euch das. Ich bin hier, weil wir Euch brauchen. Sir Roymar hält es für riskant, Euch gleich hier zu töten, Grauwind."
Sicarion musste lachen. Wie närrisch sie waren! "Mich töten, ich verstehe. Noch nicht, wie ich höre. Wohl an, was wünscht Ihr genau?"
"Lord Carmon und Lord Melther ziehen in die Kernlande. Werdet Ihr uns im Wege stehen?"
"Es kommt wohl darauf an, wen Ihr auf dem Thron seht, künftig."
"Dies steht mir nicht zu. Doch Lady Theresia ist unser Favorit. Sir Roymar mag ein Breton sein, aber sein derzeitiger Umgang ist doch etwas fragwürdig."
"Ich verstehe", murmelte Sicarion, "nun, dann sagt mir doch, Sir Leyris, wie gedenkt Ihr, Lady Theresia zu überzeugen? Das Mädchen ist doch etwas flügge geworden, nicht wahr? Ich hörte, Lord Baelon wäre selbst nicht mehr sehr überzeugt? Nun, von Sir Roymar ist er es. Und er ist auch MEIN Favorit!"
"Sicarion, Ihr müsst eines wissen: Niemand wird Euch trauen. Und damit auch nicht mehr Roymar."
"Mir ist klar, dass man versuchen wird, mich zu vernichten, sobald der Thron gesichert ist, egal, wer darauf sitzt. Lasst mich EUCH versichern, grüner Ritter, ich habe mehr Ressourcen zu bieten, als Ihr hier seht oder auf den Schlachtfeldern, wo meine Eunuchen siegreich sein werden. Ihr fürchtet Giltheas? Fürchtet Grauwind!"
"Weil Ihr dem Blutigen Stumpf die Eunuchen genommen habt?"
"Caldorvan war nur der Anfang. Ich habe Pläne. Und wenn der Drache beseitigt ist, dann ist Giltheas nur noch einer von vielen, Leyris."
"Seine Bestien?"
"Kümmerlich."
"Was werdet Ihr tun, Sicarion?"
"Siegen. Sagt Lord Carmon, ich bin bereit, ihn zu unterstützen. Die Thronfrage stellen wir besser erst dann, wenn es einen freien Weg bis dorthin gibt. Da müssen wir hoffen, Lord Baelon ist ebenso weise wie umsichtig, Starys davon zu überzeugen, dass die Reichsarmee am Ende ist."
So entließ er den grünen Ritter. Dann zog er sich in seine Kammer zurück, lehnte an der Wand und öffnete die kleine Schatulle. Die goldete Statuette, sie zeigte einen Kraken, glänzte im Kerzenlicht.
"Bald werden wir vereint sein, schönste aller Frauen", lächelte der verbannte Inquisitor, der auf seinen Reisen so viel gesehen hatte, aber diese eine Frau niemals hatte vergessen können. Der Preis war hoch gewesen, der Gewinn umso wertvoller.
"Herr?", störte ihn eine der regulären Wachen.
"Was ist denn noch?"
"Lord Baelon ist hier."
Alea iacta est.

Die Würfel sind gefallen!

Gesperrt